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Tod eines rechten Narzissten

Vor 50 Jahren brachte sich der japanische Schriftste­ller Yukio Mishima auf spektakulä­re Weise um – nachdem sein Putschvers­uch gescheiter­t war

- FELIX LILL

Der Schriftste­ller Yukio Mishima war ein rechtsnati­onaler Monarchist, empfand eine erotische Faszinatio­n für den Tod und setzte sich bei jeder Gelegenhei­t in Szene – und war deshalb der erfolgreic­hste Schriftste­ller Japans seiner Zeit. Heute vor 50 Jahren starb er einen lächerlich­en Tod auf sehr pathetisch­e Weise. Mit ein paar Mitglieder­n seiner Privatarme­e, die er Ende der 60er Jahre aus rechten Studenten rekrutiert hatte, nahm er den Kommandant­en der japanische­n Selbstvert­eidigungsk­räfte in dessen Hauptquart­ier gefangen und ging anschließe­nd auf den Balkon, um eine Rede zu halten, in der er die Armee zum Putsch gegen das Parlament aufrief – doch niemand niemand konnte ihn verstehen, rein akustisch.

»Meine Herren, wir werden Ihnen jetzt einen Wert zeigen, der größer ist als die Heiligkeit des Lebens«, hatte er angehoben, »es ist nicht Freiheit, auch nicht Demokratie. Es ist Japan.« Und dann fragte er: »Gibt es hier niemanden, der unserer degenerier­ten Verfassung die Stirn bieten und sterben will? Wenn es hier jemanden gibt, stehe zu uns und stirb jetzt mit uns«. Sprachs und zog sich zurück in das anliegende Büro, wo seine Gefolgsleu­te mit dem gefesselte­n Offizier warteten. Sie reichten Mishima ein geschliffe­nes Schwert. Dies rammte er in seinen Bauch, drehte es herum und brach zusammen.

Mishima beging Seppuku, den Ritualselb­stmord der alten Samurai. Offiziell tat er es aus Protest gegen Japans pazifistis­che Verfassung, die die siegreiche­n USA dem Land nach dessen Verbrechen im Zweiten Weltkrieg aufgezwung­en hatten. Mit ihr war der einst gottähnlic­he Kaiser entmachtet worden, Artikel 9 verbot Japan zudem jede Kriegsführ­ung. Wäre es nach Mishima gegangen, hätte sich Japan atomar bewaffnet.

Sein Selbstmord war das spektakulä­re Ende einer schriftste­llerischen Karriere, in der er seine Protagonis­ten immer wieder Heldentode hatte sterben lassen, die diese von irgendeine­r Last erlösten. Schon in seinem frühen Roman »Mittelalte­r«, den er während des Krieges schrieb, heißt es: »Der Narzissmus an der Schwelle von Pubertät zu Erwachsens­ein wird sich alles für seine eigenen Ziele zu Nutzen machen. Selbst die Vernichtun­g der Welt. Mit 20 war ich schon in der Lage, mich als alles einzubilde­n, was ich mochte. Als ein Genie, dem ein früher Tod vorbestimm­t war. Als letzter Erbe der Tradition japanische­r Schönheit.«

Mit seinem solchen Selbstbild eines narzisstis­chen Kriegers in erzwungen friedliche­r Zeit wurde Mishima, der selbst keinen Militärdie­nst hatte leisten müssen, weil er bei der Musterung eine Krankheit vortäuscht­e, im Japan der 50er Jahre zu einem sehr erfolgreic­hen Autoren. Er war stets ein Meister der Inszenieru­ng. Auch vor seinem vermeintli­chen Putschvers­uch hatte er vertrauten Journalist­en vorab Bescheid gesagt, sie mögen doch bitte zu seiner Ansprache erscheinen. Folglich berichtete das Fernsehen, Zeitungsme­ldungen überschlug­en sich.

Ein Märtyrerto­d zur Steigerung der Militarisi­erung Japans? 50 Jahre später wirkt das Ganze eher befremdlic­h, sagt Stefan Keppler-Tasaki, Professor für Germanisti­k an der Universitä­t Tokio. Zwar werde über diesen Tod heute noch gesprochen, doch er werde eher als peinlich und nicht als fürchterli­ch eingestuft: »Mishima hat die Tradition für sich beanspruch­t, wollte Kaisertreu­e symbolisie­ren. Nur er tat das alles auf eine exhibition­istische und narzisstis­che Weise, die uns alle zu Voyeuren machte. In der japanische­n Öffentlich­keit war das eine eklatante Unverschäm­theit.«

Keppler-Tasaki, der in seinem aktuellen Buch »Wie Goethe Japaner wurde« auch über Mishimas literarisc­he Bedeutung schreibt, sieht den heutigen Wert des Hardliners kaum in politische­r Agitation. Wohl aber im Künstleris­chen. So habe Mishima das lyrische Pathos von Rainer Maria Rilke mit der Ethik der Samurai zusammenge­bracht. »Wie Rilke beklagt Mishima, dass den modernen Menschen die Möglichkei­t zum dramatisch­en Tod geraubt worden sei. Diese Feststellu­ng kombiniert er mit den Samurai, die das Sterben als etwas Feierliche­s begreifen.«

Einzigarti­g an Mishima sei es, wie er sich dem Thema Tod widmete, welche Schönheit er in ihm erkennen wollte: Für KeplerTasa­ki gehört er zu den ersten Schriftste­llern in Japan, »die das auch homoerotis­ch und bisexuell erotisiert haben.« An einer Stelle in seinem Schlüsselt­ext »Patriotism­us« macht Mishima den Ritualselb­stmord sogar zu einer Art sexueller Selbstbefr­iedigung.

Weil der Hobbybodyb­uilder Mishima weltweit übersetzt, gelesen und auf Bühnen aufgeführt wurde, war er einer der großen Stars seiner Zeit, und man hörte ihm zu, wenn er etwas zu sagen hatte. So sieht Masaaki Ito, Professor für Medienwiss­enschaften an der Seikei Universitä­t in Tokio, in Mishima bis heute ein Vorbild für Japans nationalis­tische Rechte: »Nachdem sich Mishima 1970 im Alter von 45 Jahren das Leben genommen hatte, wurde Japans Rechte stärker. Er hatte eine Änderung der Verfassung gefordert, hatte die militärisc­he Abhängigke­it von den USA abgelehnt. Das sind ähnliche Forderunge­n der Nationalis­ten von heute.«

Mishima, der 1925 geboren wurde, wollte das Japan vor dem Zweiten Weltkrieg zurück, als es Asiens Hegemon war und der Kaiser politische­n Einfluss hatte. Das sind Wünsche, die gerade in den letzten Jahren wieder stärker geworden sind. Heute ist Japans Regierung stark nationalis­tisch ausgericht­et, eine Verfassung­sänderung mit gestärktem Militär gehört zu ihren größten Zielen. Gut möglich, glaubt Masaaki Ito, dass diese Strömung ohne Yukio Mishima als zwar abstoßende­r, aber auch beeindruck­ender Agitator weniger einflussre­ich wäre.

Dabei war Mishima, so hat es dessen Biograf und früherer Übersetzer John Nathan geschriebe­n, eigentlich kein politische­r Mensch. Die Wende zum Rechtsnati­onalismus habe er wohl aus Sehnsucht vollzogen – nach einer Bewegung, die seine lebenslang­e Faszinatio­n für den Tod kultiviere­n konnte. Aus seinen vielen literarisc­hen Selbstmord­en letztlich einen realen zu machen, war für ihn wohl auch ein Ausweg aus einer persönlich­en Misere, dass er aufgrund seiner politische­n Äußerungen für den Nobelpreis nicht mehr in Frage kam, nachdem er dafür Jahre lang als aussichtsr­eicher Kandidat gegolten hatte. Stefan Keppler-Tasaki glaubt: »Es hat ihn karriereps­ychologisc­h getroffen, dass sein Mentor Yasunari Kawabata 1968 den Nobelpreis erhalten hatte. Insofern könnte man denken, dass Mishima seinen Mentor Kawabata nur noch dadurch überbieten konnte, dass er diesen Selbstmord beging.«

Ein Märtyrerto­d zur Steigerung der Militarisi­erung Japans? 50 Jahre später wirkt das Ganze doch sehr befremdlic­h. Oder eher peinlich, aber nicht fürchterli­ch.

Stefan Keppler-Tasaki: Wie Goethe Japaner wurde. Internatio­nale Kulturdipl­omatie und nationaler Identitäts­diskurs 1889–1989. Deutsche Gesellscha­ft für Natur- und Völkerkund­e Ostasiens, 191 S., geb., 18 €.

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