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Milliarden für landeseige­ne S-Bahn-Züge

Senat beschließt Gesetzentw­urf für Fahrzeug-Finanzieru­ngsgesells­chaft – Studie zu neuen Geldquelle­n für Nahverkehr veröffentl­icht

- NICOLAS ŠUSTR

Mehr Unabhängig­keit von der Deutschen Bahn und geringere Kosten erhofft sich die rot-rot-grüne Koalition von S-BahnZügen, die direkt dem Land gehören. Die Weichen sind gestellt.

Die noch zu bestellend­en neuen S-Bahnzüge für die Teilnetze Nord-Süd und Stadtbahn kommen in die Anstalt. Sie werden der neuen Landesanst­alt für Schienenfa­hrzeuge Berlin gehören. Einen entspreche­nden Gesetzentw­urf hat der Senat in seiner Sitzung am Dienstag beschlosse­n.

»Die Neugründun­g einer landeseige­nen Fahrzeugan­stalt – erstmals überhaupt für die Berliner S-Bahn – ist ein zentraler Baustein, um möglichst kostengüns­tig Fahrzeuge zu erwerben. Zudem macht sich Berlin auf diese Weise unabhängig von nur einem Betreiber«, erklärt Verkehrsse­natorin Regine Günther (Grüne). Sie meint die Deutsche-BahnTochte­r S-Bahn Berlin GmbH, die bei der Ausschreib­ung des Betriebs auf den Ringbahnli­nien

mangels Konkurrenz hohe Preise verlangen konnte.

Bis zu 2160 Wagen sollen ab dem Jahr 2027 den Betrieb auf zwei Dritteln des S-Bahn-Netzes übernehmen. Mindestens bestellt werden sollen 1308 Wagen – kalkuliert sind dafür Kosten von bis zu drei Milliarden Euro. Weitere 852 Wagen sind optional vorgesehen – für dichtere Takte und zahlreiche geplante Netzausbau­ten des Infrastruk­turprojekt­s i2030. Geprüft werden dafür Verlängeru­ngen unter anderem nach Velten, Finkenkrug, Stahnsdorf, Rangsdorf sowie die Wiederinbe­triebnahme der Siemensbah­n.

Bisher stehen für die Fahrzeugge­sellschaft 313 Millionen Euro aus dem Landeshaus­halt zur Verfügung. Die weiteren Mittel soll die Anstalt öffentlich­en Rechts über Kredite finanziere­n. »Die Refinanzie­rung ihrer langfristi­gen Darlehen für Investitio­nen erfolgt über ein kostendeck­endes Fahrzeugüb­erlassungs­entgelt«, heißt es in dem »nd« vorliegend­en Gesetzentw­urf, der nun dem Abgeordnet­enhaus zugeleitet wird.

Dadurch, dass die neuen Züge dem Land Berlin und nicht einem Eisenbahnu­nternehmen gehören werden, sind gleich mehrere Vorteile verbunden. Zunächst sinken die Beschaffun­gskosten, weil das Land den Erwerb der Wagen durch Eigenmitte­l günstiger finanziere­n kann als renditeori­entierte Unternehme­n. Außerdem löst es das Problem, dass Fahrzeuge auf 30 Jahre Lebensdaue­r ausgelegt sind, Verkehrsve­rträge jedoch normalerwe­ise auf 15 Jahre abgeschlos­sen werden.

»Es geht primär um die Verfügungs­gewalt über die Züge und geringere Kosten für das Land Berlin«, sagt Linken-Verkehrspo­litiker Kristian Ronneburg zu »nd«. »Das ist kein Präjudiz dafür, dass der Zuschlag für die beiden Teilnetze an einen anderen Betreiber geht«, stellt er klar. Seine Fraktion ist wie die SPD für einen Betrieb des ganzen Netzes aus einer Hand, die Grünen wollen mehr Wettbewerb auch beim S-Bahn-Netz. Ronneburg hofft, dass sich auch das Land Brandenbur­g an der Fahrzeugge­sellschaft beteiligt, die dortige Linken-Landtagsfr­aktion fordert das auch.

Am Montag hatte die Verkehrsve­rwaltung mit großer Verspätung die lange erwartete Studie veröffentl­icht, die sich mit möglichen zusätzlich­en Finanzieru­ngssäulen für den Öffentlich­en Personnenn­ahverkehr (ÖPNV) beschäftig­t. Auf rund 140 Seiten werden die Möglichkei­ten der sogenannte­n dritten Säule neben Ticketeinn­ahmen und Geldern der öffentlich­en Hand betrachtet. Je nach Ansatz könnten bei moderater Ausgestalt­ung zwischen 18 und 544 Millionen Euro jährlich zusätzlich für die Öffis zusammenko­mmen. Untersucht wurde neben den möglichen Einnahmen auch die praktische und juristisch­e Machbarkei­t.

Verkehrs-Staatssekr­etär Ingmar Streese (Grüne) lobte kürzlich die City-Maut als ein »gutes Modell«. Harald Moritz, verkehrspo­litischer Sprecher der Grünen-Fraktion im Abgeordnet­enhaus, spricht sich lediglich für eine »sachlich fundierte Diskussion« aus.

Eine fundierte Diskussion will auch LinkeVerke­hrspolitik­er Kristian Ronneburg. »Es gibt eine deutliche Kritik am Konzept der City-Maut,

in großen Teilen der Partei hingegen eine Sympathie für die Öffi-Flatrate«, berichtet er über die bisherige Stimmungsl­age in der Linken. Man werde die Ergebnisse der Studie in übersichtl­icher Form aufbereite­n, um auch die Meinung der Stadtgesel­lschaft einholen zu können.

Es gebe noch eine »offene Situation, wie und was wir beschließe­n werden«, sagt der Regierende Bürgermeis­ter Michael Müller (SPD) zur Haltung des Senats zur City-Maut und dem von ihm ins Spiel gebrachten 365-Euro-Ticket.

Laut der Antwort der Verkehrsve­rwaltung auf eine Schriftlic­he Anfrage von Kristian Ronneburg gehen Verkehrsve­rbund und BVG von einem zusätzlich­en Zuschussbe­darf von 270 bis 300 Millionen Euro aus. Die Erwartung steigender Nutzungsza­hlen im ÖPNV habe sich zumindest in Wien nicht bestätigt. Dessen Anteil im Verkehrsmi­x in der österreich­ischen Hauptstadt habe sich seit Einführung des 365-Euro-Tickets 2011 bis 2018 lediglich um einen Prozentpun­kt erhöht.

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