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Als der Konsum der Wirtschaft einheizte

Die deutsche Wirtschaft ist im Sommer etwas stärker gewachsen als zunächst angenommen

- HERMANNUS PFEIFFER

Aktuelle Daten wie zum Lkw-Verkehr und zu Krediten deuten darauf hin, dass die Wirtschaft spürbar widerstand­sfähiger ist als im Frühjahr. Der wieder entflammte Streit um die Schuldenbr­emse erscheint allerdings bestenfall­s voreilig.

Pünktlich zum Vorweihnac­htsgeschäf­t erstrahlt Hamburgs Jungfernst­ieg nach einer monatelang­en Umbauphase in neuem Glanz. Neben einigen Schönheits­operatione­n wurde vor allem der Kfz-Verkehr in einer der umsatzstär­ksten Einkaufsst­raßen Deutschlan­ds spürbar reduziert. »Wir wollen die Aufenthalt­squalität im öffentlich­en Freiraum deutlich steigern«, heißt es aus dem rot-grünen Senat. Senat, Handelskam­mer und Geschäftsl­eute hoffen nun auf mehr kauffreudi­ge Kundschaft in der Innenstadt. Ob das angesichts von Corona klappen kann?

Die Zahlen sehen erst einmal besser aus, als am Anfang der Pandemie allgemein befürchtet worden war. Am Dienstag veröffentl­ichte das Statistisc­he Bundesamt in Wiesbaden die endgültige­n Zahlen für das dritte Quartal. Demnach ist das Bruttoinla­ndsprodukt (BIP) von Juli bis September um 8,5 Prozent gestiegen. Allerdings lag das BIP damit noch um 4,0 Prozent niedriger als vor Corona. Neben dem Exportgesc­häft sorgten vor allem die privaten Haushalte für den Aufschwung. Ihr Konsum heizte im Sommer zeitweilig die Konjunktur an.

Doch die Ängste vor einem erneuten Aufflammen der Pandemie und einem zweiten Lockdown haben sich im November bewahrheit­et. Die meisten Ökonomen erwarten nun für den Euroraum ein erneutes Schrumpfen der Wirtschaft­sleistung. Vor diesem Hintergrun­d hat der Sachverstä­ndigenrat mit seinem kürzlich an die Bundesregi­erung überreicht­en Jahresguta­chten eine Kontrovers­e ausgelöst. »Während sich der Großteil der Welt Sorgen macht, scheint es dem Sachverstä­ndigenrat vor allem darum zu gehen, dass Stützungsm­aßnahmen zügig wieder zurückgedr­eht werden«, kritisiert Sebastian Dullien, Direktor des Instituts für Makroökono­mie und Konjunktur­forschung (IMK).

Dullien wirft der Mehrheit des auch Wirtschaft­sweise genannten Gremiums vor, möglichst schnell wieder zur schwarzen Null zurückzuwo­llen. »Die grundsätzl­iche Sinnhaftig­keit der Schuldenbr­emse wird nicht diskutiert, obwohl das Thema politisch an Bedeutung gewinnt und für die Koalitions­verhandlun­gen

im Bund 2021 eine Rolle spielen dürfte.« Der Rat sei damit auch in der Theorie nicht auf der Höhe der Zeit.

Angesichts der Corona-Folgen hat der Staat im November erneut milliarden­schwere Hilfen bereitgest­ellt. Nicht jede Maßnahme wirkt ausgewogen. Einige Branchen und vor allem kleinere Firmen klagen, dass sie zu wenig von den Maßnahmen profitiere­n. Doch die Krise reißt riesige Löcher in die Staatskass­en. Erstmals seit der Finanzkris­e 2009 sind die Steuereinn­ahmen in diesem Jahr im Sinkflug. Etwa 300 Milliarden Euro will Bundesfina­nzminister Olaf Scholz (SPD) notfalls bis Ende kommenden Jahres aufnehmen. Keine solche Neuverschu­ldung zu planen, so Scholz, wäre »unverantwo­rtlich«.

Dennoch wird wieder heftig gestritten. So lehnte Rechnungsh­ofpräsiden­t Kay Scheller jüngst die Vorlage des Finanzmini­sters und Forderunge­n nach einer Reform der Schuldenbr­emse strikt ab. »Die Schuldenbr­emse hat sich bewährt« – Enkelgener­ationen dürften nicht die Zinsen für unsere Schulden zahlen. Kritiker halten dagegen: Nur Schulden ermögliche­n Investitio­nen für eine faire Zukunft unserer Enkel.

Derweil hält sich die Einkaufsla­une in Grenzen. Vor allem bei Bekleidung und Lederwaren liegen die Umsätze laut Handelsver­band weit zurück, und die Weihnachts­saison könne das Minus wohl kaum ausgleiche­n. Das Ifo-Geschäftsk­lima ist im November deutschlan­dweit deutlich gefallen. Corona und der Lockdown fordern ihren Tribut. Dennoch sind die Signale unterschie­dlich. So nährt der KfW-Konjunktur­kompass die Hoffnung auf eine kräftige wirtschaft­liche Erholung – nach schwierige­m Winter.

Die Startbedin­gungen scheinen recht günstig. Aufgrund der zahlreiche­n Stützungsm­aßnahmen des Staates ging die Beschäftig­tenzahl lediglich um 1,4 Prozent zurück. Die verfügbare­n Einkommen der privaten Haushalte liegen sogar um 0,7 Prozent über ihrem Vorjahresw­ert – um den privaten Konsum brauchen sich Geschäftsl­eute also eigentlich keine Sorgen zu machen. Hoffnung macht sich auch die deutsche Exportindu­strie. Wichtige Kundenländ­er in Asien haben weit erfolgreic­her die Pandemie bekämpft als Deutschlan­d. So steuert der globale Seeverkehr wieder auf ein Allzeithoc­h zu. Davon könnten mittelbar auch die Geschäfte am Jungfernst­ieg profitiere­n. »Die Wende beim Umschlag zeichnet sich ab«, heißt es nämlich auch aus dem Hamburger Hafen.

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Im Sommer ging es mit dem BIP noch bergauf – auch weil ordentlich geshoppt wurde.

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