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Gehen wie John Wayne

Inter Mailand könnte erneut eine Ära Real Madrids beenden

- SVEN GOLDMANN

Der Ball ist schon mal runder gerollt bei Real Madrid. Platz vier in Spaniens erster Liga entspricht nicht dem Selbstvers­tändnis des reichsten, erfolgreic­hsten und verrücktes­ten Klubs der Fußballwel­t, auch wenn noch viele Partien zu spielen sind und Lieblingsf­eind FC Barcelona auf Platz 13 (!) noch viel schlechter dasteht. Nach Reals 1:1 am Samstag in Villarreal nörgelten die Tugendwäch­ter von »Marca« darüber, die Mannschaft habe erneut »keine klare Vorstellun­g von einem Spiel« erkennen lassen. Und das so kurz vor dem wichtigste­n Spiel der näheren Zukunft.

Oh ja! Am Mittwoch geht es im Meazza-Stadion zu Mailand vielleicht schon ums Überleben in der Champions League, dem Wettbewerb, den Real als seine liebste Spielwiese betrachtet. 13 Triumphe zieren den Briefkopf. Aber eine Niederlage am vierten Spieltag bei Inter Mailand könnte Undenkbare­s zur Folge haben: das erstmalige Verpassen der K.o.-Runde seit 1997. Damals war Real gar nicht erst dabei im Zirkus von Europas Großmächte­n. Platz sechs in der Liga hatte nach einer historisch schlechten Saison nicht mal zur Teilnahme am Uefa-Cup gereicht.

23 Jahre später liegt Madrid in Gruppe B mit vier Punkten hinter Mönchengla­dbach und Donezk auf Platz drei. Ein Sieg in Mailand würde die Lage sehr verbessern. Gern denken sie in Madrid an den 3:2-Sieg im Hinspiel vor drei Wochen zurück. Ungern dagegen daran, dass die Gegnerscha­ft vom FC Internazio­nale schon mal eine Ära bei Real beendet hat. 1964 war das. Inter siegte 3:1 im Europapoka­lfinale von Wien, dem letzten Spiel, das den großen Alfredo Di Stéfano im damals noch blütenweiß­en Trikot sah.

Di Stéfanos Fußball war anders als der heutige. Taktische Spielchen hat er verachtet und sich immer nur für drei Dinge interessie­rt: Tore, Tore und Tore, in genau dieser Reihenfolg­e. Beim verlorenen Finale gegen Inter stand Di Stéfano kurz vor seinem 38. Geburtstag, Klubpräsid­ent Santiago Bernabéu wollte ihn auf den Posten des Sportdirek­tors abschieben. Di Stéfano aber wollte weiter Tore, Tore, Tore schießen und verließ Real im Streit. Nach elf Jahren, 396 Spielen und 307 Toren.

In der Retrospekt­ive werden Reals frühe Erfolge oft dem Einfluss des Generaliss­imo Franco zugeschrie­ben. Das ist nicht ganz fair und verkennt, dass der vermeintli­che Staatsklub in den ersten 14 Jahren der Diktatur ohne einen einzigen Titel geblieben war. Die Serie von fünf Europapoka­lsiegen begann erst in den späten Fünfzigern, als Francos Einfluss in Europa gegen Null tendierte und das Regime versuchte, von den sportliche­n Erfolgen zu profitiere­n. Von der Schönheit des Fußballs, die ablenken sollte von den Problemen im Land.

Den Tag im Sommer 1964, als Alfredo Di Stéfano Real Madrid verließ, bezeichnet Javier Marías noch heute als den furchtbars­ten seines Lebens. Di Stéfano war schuld daran, dass Marías dem Fußball verfiel, und damit verdankt ihm die Welt das großartigs­te Buch, das diesem Spiel gewidmet ist: »Alle unsere frühen Schlachten«, eine Hymne an die Schönheit des Fußballs, ins Bild gesetzt durch die Schönheit der Sprache. Stellvertr­etend dafür steht der Satz: »Di Stéfanos Art, den Ball zu stoppen, ist genauso unvergessl­ich wie der Gang John Waynes oder Henry Fondas.« Kann man einem Fußballspi­eler ein größeres, ein poetischer­es Kompliment machen?

Real zelebriert­e seine Kunst in dieser Epoche, die noch nicht der Allgegenwa­rt elektronis­cher Medien geweiht war. Keine Fernsehbil­der von missratene­n Pässen, vergebenen Torchancen oder hässlichen Fouls trüben das Bild von Francisco Gento, Ferenc Puskas und eben Di Stéfano. Helden mit Alltagsfeh­lern sind ein Produkt des Medienzeit­alters. Toni Kroos, Luka Modric und Karim Benzema werden es zu spüren bekommen, wenn denn die Sache an diesem Mittwoch in Mailand schiefgehe­n sollte.

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