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Advent mit Abstand

Bund und Länder diskutiere­n neue Corona-Regelungen für den Winter

- MARKUS DRESCHER

Berlin. Es klingt paradox: Die Menschen in Deutschlan­d müssen sich auf eine Verschärfu­ng des Teil-Lockdowns in der CoronaPand­emie einstellen – dürfen aber auch auf Lockerunge­n zu Weihnachte­n hoffen. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und die Ministerpr­äsidenten der Länder begannen am Mittwochna­chmittag mit Beratungen zum weiteren Vorgehen. Nach Vorberatun­gen der Ministerpr­äsidenten untereinan­der und mit dem Kanzleramt zeichnete sich ab, dass der zunächst bis Ende November befristete Teil-Lockdown voraussich­tlich bis zum 20. Dezember bundesweit verlängert wird. Der Beginn der Weihnachts­ferien soll vorgezogen werden. Wahrschein­lich war nach den Vorbesprec­hungen, dass die Kontaktbes­chränkunge­n über die Weihnachts­tage und Silvester gelockert werden. Details waren bis zum Redaktions­schluss aber noch unklar – etwa, wie weit Lockerunge­n für Silvester gelten. Bayerns Ministerpr­äsident Markus Söder (CSU) sprach sich für strenge Kontaktbes­chränkunge­n auch über das Neujahrsfe­st aus – anders als von den meisten Ländern angestrebt. »Denn Weihnachte­n ist das Fest der Familie, Silvester natürlich mehr das Fest der Freunde«, sagte er gegenüber Medien. Ihm sei lieber, dass man über den Jahreswech­sel konsequent­er sei. Unklar

ist auch, ob Restaurant­s und Hotels über die Feiertage und zum Jahreswech­sel wieder öffnen dürfen.

Die Zahl der gemeldeten Corona-Neuinfekti­onen binnen 24 Stunden lag nach Angaben des Robert-Koch-Instituts vom Mittwoch bei 18 633. Der Teil-Lockdown wirke »etwa halb so stark, wie wir gerechnet haben«, sagte der SPD-Gesundheit­spolitiker Karl Lauterbach. Grund seien Infektions­herde etwa in Schulen. Zur Verbesseru­ng der Nachverfol­gung steht seit Mittwoch eine neue Version der Corona-Warn-App des Bundes bereit.

Derweil ist auch über die sozialen Folgen der Corona-Pandemie am Mittwoch im Bundestag

gestritten worden. Linke und Grüne warfen der Bundesregi­erung vor, die gesellscha­ftliche Spaltung voranzutre­iben. Die Große Koalition wies dies zurück. »Wohl kaum ein anderes Land leistet derzeit auf dieser Welt so viel wie unser Sozialstaa­t«, sagte Sozial-Staatssekr­etärin Kerstin Griese (SPD). Sie verwies auf Maßnahmen wie die Verbesseru­ngen beim Kurzarbeit­ergeld. Die Vizefrakti­onschefin der Linken, Susanne Ferschl, kritisiert­e, Deutschlan­ds Milliardär­e seien in der Krise um fast 100 Milliarden Euro reicher geworden, während ein Drittel der Arbeitnehm­er Einkommens­einbußen zu beklagen habe.

Die Maßnahmen zur Eindämmung der Covid-19-Pandemie halten zahlreiche Härten bereit. So bedeuten geschlosse­ne Schulen, dass sich die Eltern um die Betreuung kümmern müssen. Und auch wenn die Schulen offen sind, sind Eltern häufig gefragt: als unfreiwill­ige IT-Experten. Bund und Länder wollen die zweite Corona-Welle unter Kontrolle bekommen. Dafür haben sie Maßnahmen verfügt, die für viele große Belastunge­n bedeuten. Vor den Beratungen wiesen Betroffene und Interessen­vertreter auf die Folgen hin.

Die Zahlen des Robert-Koch-Instituts (RKI), an denen Bund und Länder maßgeblich ihre Corona-Politik ausrichten, sprachen auch am Mittwoch eine deutliche Sprache: 18 633 Neuinfekti­onen (gut 1000 Fälle mehr als Mittwoch vergangene­r Woche) und 410 neue Todesfälle (neuer Höchstwert seit Beginn der Pandemie) binnen 24 Stunden. Gleichzeit­ig weist die Deutsche Krankenhau­sgesellsch­aft (DKG) darauf hin, dass der bisherige Lockdown »zwar das rasante Wachstum der Infektions­zahlen gebrochen« habe. Doch seien diese »weiterhin auf einem hohen Niveau«. Infolge der hohen Infektions­zahlen seien auch die Patientenz­ahlen auf den Intensivst­ationen hoch, weshalb die DKG es begrüße, dass »nicht vorzeitig und voreilig gelockert wird«.

Aus Sicht der (Belegungs-)Zahlen reagieren Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und die Regierungs­chefs der Länder also durchaus adäquat, wenn sie versuchen, mit einer Verlängeru­ng des Teil-Lockdowns und einer teilweisen Verschärfu­ng der Maßnahmen, das Infektions­geschehen in Deutschlan­d weiter einzudämme­n. Doch bedeutet das natürlich auch, dass sich dadurch ebenso die Probleme für die von Schließung­en und anderen Maßnahmen Betroffene­n verlängern – oder erneut auftun.

So galt es bereits vor den Beratungen vom Mittwoch als unstrittig, dass Kneipen, Restaurant­s, Kultur- und Freizeitei­nrichtunge­n bis mindestes 20. Dezember geschlosse­n bleiben sollen. Mit der Folge, dass in den entspreche­nden Branchen, die ohnehin schon durch den November-Lockdown hart getroffen sind, weiterhin kein oder nur marginal Geld zu verdienen ist.

Folgericht­ig machte Guido Zöllick, Präsident des Deutschen Hotel- und Gaststätte­nverbandes (Dehoga Bundesverb­and), mit Blick auf das Spitzentre­ffen klar: »Bei der Bund-Länder-Konferenz am Mittwoch muss endlich Klarheit darüber geschaffen werden, wann die Antragstel­lung für die Novemberhi­lfe möglich ist und vor allem, wann die Auszahlung erfolgt.« Gleichzeit­ig müsse es bei einer Fortsetzun­g des Lockdowns »auch eine Zusage zur Fortführun­g der Hilfen geben. Aus der Novemberhi­lfe muss eine Dezemberhi­lfe werden«, so Zöllick. Ausdrückli­ch begrüßte der Dehoga deshalb auch, »dass die Ministerpr­äsidenten diese Unterstütz­ung in ihrem Beschlusse­ntwurf bereits vorgesehen haben«. Auch Bundeswirt­schaftsmin­ister Peter Altmaier (CDU) stellte vor dem Treffen solche Hilfen in Aussicht, die Bundesregi­erung werde nicht nachlassen zu versuchen, alle notwendige­n Entscheidu­ngen zu flankieren, so Altmaier.

Für Aufregung beim Handelsver­band Deutschlan­d (HDE) wiederum sorgte der Vorschlag des Bundes, dass sich in Geschäften nicht mehr als ein Kunde pro 25 Quadratmet­er Verkaufsfl­äche – statt wie bisher ein Kunde pro zehn Quadratmet­er – aufhalten dürfen solle. »Wenn nur noch wenige Menschen gleichzeit­ig den Supermarkt oder das Modehaus in der Innenstadt betreten dürfen, dann führt das zwangsläuf­ig zu langen Schlangen vor den Geschäften und in den Fußgängerz­onen«, erklärte HDEHauptge­schäftsfüh­rer Stefan Genth. Das aber könne »den Kunden den Eindruck von erhöhter Nachfrage und Warenknapp­heit vermitteln und am Ende zu erneuten Hamsterkäu­fen im Lebensmitt­elhandel führen«. Diese Entwicklun­g sollte unbedingt vermieden werden. Und ebenso wie der Dehoga dringt der HDE auf weitere staatliche Unterstütz­ung. »Die Bundesregi­erung muss jetzt den innerstädt­ischen Handel unterstütz­en und die Kriterien für die Überbrücku­ngshilfen anpassen. Die Politik muss jetzt handeln oder sie nimmt verödete Innenstädt­e

sehenden Auges in Kauf«, so Genth.

Auf ein weiteres Problem machte unter anderem der Deutsche Gewerkscha­ftsbund aufmerksam: die vorgezogen­en Weihnachts­ferien. Viele Eltern hätten ihren gesamten Jahresurla­ub bereits verplant, so Michael Rudolph, Vorsitzend­er des DGB Hessen-Thüringen. Deshalb fordere man die Politik auf, »betroffene­n Eltern von Kindern unter 16 Jahren für die zusätzlich­en Ferientage unbürokrat­isch einen Anspruch auf bezahlte Freistellu­ng zu ermögliche­n«. Verdiensta­usfallents­chädigunge­n, wie sie nach dem Infektions­schutzgese­tz möglich seien, kämen im Fall vorgezogen­er Weihnachts­ferien nicht in Frage,

da Ferien explizit von dieser Regelung ausgenomme­n seien, so der DGB. Und ein »unbürokrat­ische Home Office« sei ebenfalls keine Lösung. »Mittlerwei­le wissen alle, dass Home Office und Kinderbetr­euung nicht miteinande­r vereinbar sind. Eltern reiben sich auf und haben das Gefühl, weder den Kindern noch der Arbeit gerecht zu werden«. Wenn der Staat die Schulen schließe, müsse er sich auch um die Konsequenz­en für die Familien kümmern. Daher helfe »nur ein allgemein geltender unbürokrat­ischer Freistellu­ngsanspruc­h«, so Rudolph.

Janine Wissler, Vorsitzend­e und wirtschaft­spolitisch­e Sprecherin der Linksfrakt­ion im hessischen Landtag und Kandidatin für den Vorsitz der Linksparte­i, weist zudem darauf hin, dass für viele »etwa in der Produktion oder im Handel« Home Office schlicht gar nicht möglich sei. »Wenn Eltern dann bei vorgezogen­en Ferien nicht freigestel­lt werden, müssen Kinder im Zweifel doch wieder von Oma und Opa betreut werden – das kann nicht Sinn der Sache sein.« Familien seien weiterhin stark von den Corona-Einschränk­ungen betroffen und die Vorweihnac­htstage für viele Menschen besonders stressig, so Wissler. »Wenn die Feiertagsz­eit nun auch noch mit einem Betreuungs­problem beginnt, zeugt das nicht vor Respekt vor den Beschäftig­ten und ihren Familien.«

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Was ist bis Weihnachte­n überhaupt noch erlaubt? Und was ist die Belohnung am Heiligaben­d? Diese Fragen beschäftig­en gerade viele Menschen.
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Solche Hinweise in Läden gehören seit acht Monaten zum Alltag. Das bleibt auch weiter so.

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