Advent mit Abstand
Bund und Länder diskutieren neue Corona-Regelungen für den Winter
Berlin. Es klingt paradox: Die Menschen in Deutschland müssen sich auf eine Verschärfung des Teil-Lockdowns in der CoronaPandemie einstellen – dürfen aber auch auf Lockerungen zu Weihnachten hoffen. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und die Ministerpräsidenten der Länder begannen am Mittwochnachmittag mit Beratungen zum weiteren Vorgehen. Nach Vorberatungen der Ministerpräsidenten untereinander und mit dem Kanzleramt zeichnete sich ab, dass der zunächst bis Ende November befristete Teil-Lockdown voraussichtlich bis zum 20. Dezember bundesweit verlängert wird. Der Beginn der Weihnachtsferien soll vorgezogen werden. Wahrscheinlich war nach den Vorbesprechungen, dass die Kontaktbeschränkungen über die Weihnachtstage und Silvester gelockert werden. Details waren bis zum Redaktionsschluss aber noch unklar – etwa, wie weit Lockerungen für Silvester gelten. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) sprach sich für strenge Kontaktbeschränkungen auch über das Neujahrsfest aus – anders als von den meisten Ländern angestrebt. »Denn Weihnachten ist das Fest der Familie, Silvester natürlich mehr das Fest der Freunde«, sagte er gegenüber Medien. Ihm sei lieber, dass man über den Jahreswechsel konsequenter sei. Unklar
ist auch, ob Restaurants und Hotels über die Feiertage und zum Jahreswechsel wieder öffnen dürfen.
Die Zahl der gemeldeten Corona-Neuinfektionen binnen 24 Stunden lag nach Angaben des Robert-Koch-Instituts vom Mittwoch bei 18 633. Der Teil-Lockdown wirke »etwa halb so stark, wie wir gerechnet haben«, sagte der SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach. Grund seien Infektionsherde etwa in Schulen. Zur Verbesserung der Nachverfolgung steht seit Mittwoch eine neue Version der Corona-Warn-App des Bundes bereit.
Derweil ist auch über die sozialen Folgen der Corona-Pandemie am Mittwoch im Bundestag
gestritten worden. Linke und Grüne warfen der Bundesregierung vor, die gesellschaftliche Spaltung voranzutreiben. Die Große Koalition wies dies zurück. »Wohl kaum ein anderes Land leistet derzeit auf dieser Welt so viel wie unser Sozialstaat«, sagte Sozial-Staatssekretärin Kerstin Griese (SPD). Sie verwies auf Maßnahmen wie die Verbesserungen beim Kurzarbeitergeld. Die Vizefraktionschefin der Linken, Susanne Ferschl, kritisierte, Deutschlands Milliardäre seien in der Krise um fast 100 Milliarden Euro reicher geworden, während ein Drittel der Arbeitnehmer Einkommenseinbußen zu beklagen habe.
Die Maßnahmen zur Eindämmung der Covid-19-Pandemie halten zahlreiche Härten bereit. So bedeuten geschlossene Schulen, dass sich die Eltern um die Betreuung kümmern müssen. Und auch wenn die Schulen offen sind, sind Eltern häufig gefragt: als unfreiwillige IT-Experten. Bund und Länder wollen die zweite Corona-Welle unter Kontrolle bekommen. Dafür haben sie Maßnahmen verfügt, die für viele große Belastungen bedeuten. Vor den Beratungen wiesen Betroffene und Interessenvertreter auf die Folgen hin.
Die Zahlen des Robert-Koch-Instituts (RKI), an denen Bund und Länder maßgeblich ihre Corona-Politik ausrichten, sprachen auch am Mittwoch eine deutliche Sprache: 18 633 Neuinfektionen (gut 1000 Fälle mehr als Mittwoch vergangener Woche) und 410 neue Todesfälle (neuer Höchstwert seit Beginn der Pandemie) binnen 24 Stunden. Gleichzeitig weist die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) darauf hin, dass der bisherige Lockdown »zwar das rasante Wachstum der Infektionszahlen gebrochen« habe. Doch seien diese »weiterhin auf einem hohen Niveau«. Infolge der hohen Infektionszahlen seien auch die Patientenzahlen auf den Intensivstationen hoch, weshalb die DKG es begrüße, dass »nicht vorzeitig und voreilig gelockert wird«.
Aus Sicht der (Belegungs-)Zahlen reagieren Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und die Regierungschefs der Länder also durchaus adäquat, wenn sie versuchen, mit einer Verlängerung des Teil-Lockdowns und einer teilweisen Verschärfung der Maßnahmen, das Infektionsgeschehen in Deutschland weiter einzudämmen. Doch bedeutet das natürlich auch, dass sich dadurch ebenso die Probleme für die von Schließungen und anderen Maßnahmen Betroffenen verlängern – oder erneut auftun.
So galt es bereits vor den Beratungen vom Mittwoch als unstrittig, dass Kneipen, Restaurants, Kultur- und Freizeiteinrichtungen bis mindestes 20. Dezember geschlossen bleiben sollen. Mit der Folge, dass in den entsprechenden Branchen, die ohnehin schon durch den November-Lockdown hart getroffen sind, weiterhin kein oder nur marginal Geld zu verdienen ist.
Folgerichtig machte Guido Zöllick, Präsident des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbandes (Dehoga Bundesverband), mit Blick auf das Spitzentreffen klar: »Bei der Bund-Länder-Konferenz am Mittwoch muss endlich Klarheit darüber geschaffen werden, wann die Antragstellung für die Novemberhilfe möglich ist und vor allem, wann die Auszahlung erfolgt.« Gleichzeitig müsse es bei einer Fortsetzung des Lockdowns »auch eine Zusage zur Fortführung der Hilfen geben. Aus der Novemberhilfe muss eine Dezemberhilfe werden«, so Zöllick. Ausdrücklich begrüßte der Dehoga deshalb auch, »dass die Ministerpräsidenten diese Unterstützung in ihrem Beschlussentwurf bereits vorgesehen haben«. Auch Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) stellte vor dem Treffen solche Hilfen in Aussicht, die Bundesregierung werde nicht nachlassen zu versuchen, alle notwendigen Entscheidungen zu flankieren, so Altmaier.
Für Aufregung beim Handelsverband Deutschland (HDE) wiederum sorgte der Vorschlag des Bundes, dass sich in Geschäften nicht mehr als ein Kunde pro 25 Quadratmeter Verkaufsfläche – statt wie bisher ein Kunde pro zehn Quadratmeter – aufhalten dürfen solle. »Wenn nur noch wenige Menschen gleichzeitig den Supermarkt oder das Modehaus in der Innenstadt betreten dürfen, dann führt das zwangsläufig zu langen Schlangen vor den Geschäften und in den Fußgängerzonen«, erklärte HDEHauptgeschäftsführer Stefan Genth. Das aber könne »den Kunden den Eindruck von erhöhter Nachfrage und Warenknappheit vermitteln und am Ende zu erneuten Hamsterkäufen im Lebensmittelhandel führen«. Diese Entwicklung sollte unbedingt vermieden werden. Und ebenso wie der Dehoga dringt der HDE auf weitere staatliche Unterstützung. »Die Bundesregierung muss jetzt den innerstädtischen Handel unterstützen und die Kriterien für die Überbrückungshilfen anpassen. Die Politik muss jetzt handeln oder sie nimmt verödete Innenstädte
sehenden Auges in Kauf«, so Genth.
Auf ein weiteres Problem machte unter anderem der Deutsche Gewerkschaftsbund aufmerksam: die vorgezogenen Weihnachtsferien. Viele Eltern hätten ihren gesamten Jahresurlaub bereits verplant, so Michael Rudolph, Vorsitzender des DGB Hessen-Thüringen. Deshalb fordere man die Politik auf, »betroffenen Eltern von Kindern unter 16 Jahren für die zusätzlichen Ferientage unbürokratisch einen Anspruch auf bezahlte Freistellung zu ermöglichen«. Verdienstausfallentschädigungen, wie sie nach dem Infektionsschutzgesetz möglich seien, kämen im Fall vorgezogener Weihnachtsferien nicht in Frage,
da Ferien explizit von dieser Regelung ausgenommen seien, so der DGB. Und ein »unbürokratische Home Office« sei ebenfalls keine Lösung. »Mittlerweile wissen alle, dass Home Office und Kinderbetreuung nicht miteinander vereinbar sind. Eltern reiben sich auf und haben das Gefühl, weder den Kindern noch der Arbeit gerecht zu werden«. Wenn der Staat die Schulen schließe, müsse er sich auch um die Konsequenzen für die Familien kümmern. Daher helfe »nur ein allgemein geltender unbürokratischer Freistellungsanspruch«, so Rudolph.
Janine Wissler, Vorsitzende und wirtschaftspolitische Sprecherin der Linksfraktion im hessischen Landtag und Kandidatin für den Vorsitz der Linkspartei, weist zudem darauf hin, dass für viele »etwa in der Produktion oder im Handel« Home Office schlicht gar nicht möglich sei. »Wenn Eltern dann bei vorgezogenen Ferien nicht freigestellt werden, müssen Kinder im Zweifel doch wieder von Oma und Opa betreut werden – das kann nicht Sinn der Sache sein.« Familien seien weiterhin stark von den Corona-Einschränkungen betroffen und die Vorweihnachtstage für viele Menschen besonders stressig, so Wissler. »Wenn die Feiertagszeit nun auch noch mit einem Betreuungsproblem beginnt, zeugt das nicht vor Respekt vor den Beschäftigten und ihren Familien.«