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Erneuter Abzug aus Kundus

Kein anderer Einsatzort der Bundeswehr ist stärker symbolisch aufgeladen

- DANIEL LÜCKING

Die Ausbildung­smission der Bundeswehr im Norden Afghanista­ns wird verkleiner­t. Zum zweiten Mal in sieben Jahren zieht sie sich nun aus Kundus zurück.

Rund eine viertel Milliarde Euro hatte die Bundeswehr seit der Ankunft in Kundus 2003 bis zu ihrem ersten Abzug im Jahr 2013 in ihre Feldlager gesteckt. Jetzt verlassen die 100 im Rahmen der Nato-Ausbildung­smission »Train, Advise, Assist« (TAA) dort 2018 stationier­ten deutschen Militärs den Standort. Sie wechseln ins deutsche Hauptquart­ier in Masar-i-Scharif.

Nicht zu beziffern ist das Leid, für das dieser Kriegsscha­uplatz steht, der zunächst nicht als solcher galt. Die ersten Jahre des Einsatzes verliefen ruhig und kooperativ. Die Bevölkerun­g hieß die Soldat*innen willkommen, die zunächst in einer notdürftig gesicherte­n Gärtnerei in der Innenstadt untergebra­cht waren, bevor der Bau des Feldlagers unweit des Flughafens im Juni 2006 abgeschlos­sen war. Als »Provincial Reconstruc­tion Team«, also als Wiederaufb­aueinheit für die Region, waren die Soldat*innen angetreten. Brücken, Brunnen und Schulen wurden gebaut, Kräfte der »Zivilmilit­ärischen Zusammenar­beit« bereisten die Region, um Hilfsbedar­fe festzustel­len. An die Maßnahmen gebunden war die Kooperatio­n bei der Entwaffnun­g und beim Aufbau der afghanisch­en Sicherheit­skräfte. Neben den Soldat*innen bildeten auch deutsche Polizist*innen

Afghanen aus. Im Rahmen der Internatio­nal Security Assistance Force ISAF waren zahlreiche Nationen angetreten und übernahmen Schwerpunk­te beim Wiederaufb­au; Deutschlan­d bei der Polizei, Italien bei der Justiz. Doch die Erfolge hielten sich in Grenzen. Korruption stellt das wesentlich­e Problem im Land dar. Die afghanisch­en Polizisten können von ihren Löhnen nicht ihre Familien ernähren. Die Polizei galt und gilt als korrupt. Wer nicht aktiv in den Drogenhand­el verstrickt war, war offen für Bestechung durch die Mächtigen im eigenen Land. »Herzen und Köpfe« wollte die ISAF-Mission gewinnen, doch die Grundprobl­eme wurden nur halbherzig angegangen.

Die Kämpfe begannen, als im Februar 2006 zum ersten Mal seit Anwesenhei­t der internatio­nalen Truppen eine Bombe auf dem Markt in Kundus detonierte. Der Sprengsatz, den ein Kind auf einem Fahrrad zu zwei Bundeswehr-Geländewag­en schob, verfehlte die Soldaten nur um Haaresbrei­te, tötete mehrere Afghan*innen und verletzte viele weitere schwer. Im Mai 2007 war erneut der Markt das Anschlagsz­iel. Drei Soldaten und acht afghanisch­e Zivilist*innen starben. Sprengfall­en und Selbstmord­attentate blieben zunächst die Waffe der Taliban. Die Bundeswehr stellte sich zumeist als Opfer hinterhält­iger Täter dar. Über die Kampfeinsä­tze des Kommandos Spezialkrä­fte KSK mit US-amerikanis­chen Truppen im Norden Afghanista­ns gibt es bis heute keine öffentlich zugänglich­en Details.

Im April 2009 gerieten deutsche Soldaten in einen Hinterhalt. Ein Soldat wurde durch ein Geschoss aus einer Panzerfaus­t getötet. Die Kampfhandl­ungen der Jahre 2008 und 2009 wurden in Deutschlan­d zunächst kaum wahrgenomm­en. Nicht einmal der Bombenabwu­rf auf zwei Tanklaster im September 2009, bei dem über 100 Zivilist*innen starben, darunter auch Kinder, änderte das Bild von der Friedensmi­ssion. Erst als am Karfreitag 2010 bei den bis dahin schwersten Gefechten drei weitere Soldaten starben, räumte der damalige Verteidigu­ngsministe­r Karl Theodor zu Guttenberg (CDU) ein, man könne »umgangsspr­achlich von Krieg« sprechen. Weitere Gefechte und drei Jahre später zog sich die Bundeswehr aus dem Nordosten zurück. 2012 wurde das deutsche Feldlager in Faizabad an die afghanisch­e Polizei übergeben. 2013 schloss man in Kundus die Tore.

Schnell wurde klar, dass die afghanisch­e Armee nicht in der Lage ist, den Taliban Einhalt zu gebieten. Im September 2015 eroberten 1000 Kämpfer das Stadtzentr­um, besetzten Regierungs­institutio­nen und begingen Verbrechen an der Zivilbevöl­kerung. Offiziell kehrten deutsche Soldat*innen im März 2018 nach Kundus zurück. Die afghanisch­e Militärein­heit, die zuvor nur im Rahmen zeitlich begrenzter Aufenthalt­e begleitet wurde, wurde wieder dauerhaft begleitet. Ob der erneute Abzug das deutsche Engagement beendet, bleibt ebenso fraglich wie das Ende dieses Krieges und der geheimen Aktivitäte­n des KSK vor Ort.

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(K)ein Abzug von Dauer: Soldaten im Feldlager in Kundus, als die Bundeswehr 2013 erstmals das Lager aufgab

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