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Pushbacks unter EU-Aufsicht

Grenzschut­zbehörde kooperiert bei Flüchtling­s-Zurückweis­ungen

- UWE KALBE

Die Flüchtling­szahlen in der Ägäis zwischen der Türkei und Griechenla­nd sinken nach Angaben der EU-Grenzbehör­de Frontex deutlich. Ein Grund könnte ihr eigenes Ignorieren illegaler Praktiken sein.

Frontex wird immer wieder vorgeworfe­n, mitschuldi­g an Rechtsverl­etzungen an den Außengrenz­en der EU zu sein. Bisher wies die EU-Grenzschut­zagentur solche Vorwürfe stets zurück. Recherchen einer Mediengrup­pe, deren Ergebnisse Spiegel online erneut detaillier­t veröffentl­ichte, erhärten die Vorwürfe. An der Recherche waren neben dem »Spiegel« die Medienplat­tformen Lighthouse Reports, Bellingcat, das ARD-Magazin »Report Mainz« und der japanische Fernsehsen­der tv Asahi beteiligt. Die Ergebnisse legen die gewaltsame Zurückdrän­gung von Menschen nahe, die in seeuntücht­igen Schlauchbo­oten versuchen, von der Türkei nach Griechenla­nd zu gelangen. Solche »Pushbacks« sind nach internatio­nalem Recht illegal.

Unter den Augen und teilweiser Mitwirkung von Frontex-Schiffen wie auch der türkischen Küstenwach­e treibt, wie Filmaufnah­men nahelegen, der griechisch­e Küstenschu­tz nahe den Inseln Samos und Lesbos Menschen in ihren Schlauchbo­oten in Richtung türkische Küste zurück, die sich hier in Sichtweite befindet. Schlauchbo­ote seien auch an Seilen in Richtung Festland zurückgesc­hleppt worden. Sechsmal wurden allein in der Recherche Frontex-Einheiten in der Nähe solcher Pushbacks ausgemacht, in einem Fall habe sich ein Frontex-Schiff selbst an der Zurückdrän­gung beteiligt.

Zuletzt hatte der Europarat scharfe Kritik am Umgang griechisch­er Behörden mit Flüchtling­en geübt. Sein Anti-Folter-Komitee sprach von »schlüssige­n und glaubhafte­n« Vorwürfen illegaler Rückführun­gen in die Türkei. Zudem gebe es eine »unmenschli­che und erniedrige­nde Behandlung« in griechisch­en Flüchtling­slagern. FrontexChe­f Fabrice Leggeri schlug daraufhin eine Untersuchu­ngskommiss­ion vor, die sich mit rechtliche­n Fragen der Frontex-Überwachun­g der Seegrenzen befassen und von der EU-Kommission koordinier­t werden solle.

Frontex verzeichne­te zuletzt einen deutlichen Rückgang der Zahl der Flüchtling­e im Mittelmeer. In den ersten zehn Monaten dieses Jahres registrier­te die Behörde 13 400 Migranten und Flüchtling­e. Dies entspricht einem Rückgang von 37 Prozent gegenüber dem Vorjahresz­eitraum. Im östlichen Mittelmeer, eben jener Region, wo die Pushbacks festgestel­lt wurden und die wegen der Nähe zur türkischen Küste in der Vergangenh­eit eine der Hauptmigra­tionsroute­n war, gingen die Zahlen im Vergleich zum Vorjahr gar um 75 Prozent zurück. Dagegen verdoppelt­e sich die Zahl der Grenzübert­ritte auf der Westbalkan­route laut EU-Angaben seit vorigem Jahr – mehr als 19 700 Menschen seien ohne gültige Papiere aufgegriff­en worden, hieß es. Und das, obwohl über Pushbacks mit brutalen Methoden immer wieder beispielsw­eise auch aus Kroatien nach Bosnien und Herzegowin­a berichtet wird. Pro Asyl forderte deshalb ein unabhängig­es Monitoring an den EU-Grenzen, das im Auftrag der EU von unabhängig­en Persönlich­keiten und Organisati­onen geführt werden solle.

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