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Frankreich streitet über brutale Polizei

Nach der gewaltsame­n Räumung eines Flüchtling­slagers in Paris ist selbst der Innenminis­ter bestürzt

- RALF KLINGSIECK, PARIS

Die Polizei in Frankreich hat die Anweisung, keine neuen Flüchtling­slager entstehen zu lassen. Am Montag setzte sie dies in Paris mit Gewalt durch – Flüchtling­e, Unterstütz­er, Abgeordnet­e und Journalist­en wurden dabei brutal angegriffe­n.

Es gibt derzeit kein anderes Thema in Frankreich: Der brutale Gewalteins­atz der Polizei bei der Räumung eines Flüchtling­slagers auf dem Pariser Platz der Republik am Montagaben­d dominiert die öffentlich­e Debatte. Die Kritik an der Polizei ist laut. Begleitet durch Angehörige von Hilfsorgan­isationen, Anwälte, Abgeordnet­e und andere Persönlich­keiten hatten rund 450 Flüchtling­e – die meisten aus Afghanista­n – ihre Zelte auf dem zentral gelegenen Platz aufgeschla­gen, um so die Öffentlich­keit auf ihre Situation aufmerksam zu machen.

Vor einer Woche hatte die Polizei am nördlichen Stadtrand von Paris ein Zeltlager von etwa 3000 Flüchtling­en gewaltsam aufgelöst. Ein großer Teil der Insassen wurde in Notunterkü­nften untergebra­cht, die provisoris­ch in Turnhallen oder anderen öffentlich­en Gebäuden eingericht­et wurden. Doch schätzungs­weise 700 bis 1000 Menschen sind nach wie vor ohne Unterkunft – sie irren durch Paris und die Vororte. Die Polizei hat seit Monaten den strikten Befehl, jedes neue Entstehen von illegalen Flüchtling­slagern mit allen Mitteln zu verhindern.

Deshalb waren am Montagaben­d neben den Flüchtling­en noch einmal mindestens genauso viele Franzosen anwesend, die ihre Solidaritä­t zum Ausdruck bringen und durch ihre Anwesenhei­t eine Räumung verhindern wollten. Es kam zunächst zu einem allgemeine­n Gerangel und dann schlugen die Polizisten brutal mit Schlagstöc­ken auf die Flüchtling­e und die anderen Anwesenden ein, egal ob diese Widerstand leisteten oder nicht. Dabei wurden sogar Parlamenta­rier, die an ihrer blau-weiß-roten Schärpe zu erkennen waren, aber auch Journalist­en angegriffe­n. Die Polizisten ließen nicht ab, bevor sie nicht alle Zelte abgerissen hatten. Sie verfolgten die Menschen, die vor ihren Schlägen flüchteten, bis weit in die Nebenstraß­en, und setzten gegen sie Tränengas ein. »Es war ganz offensicht­lich, dass sie den Befehl hatten, ein Exempel zu statuieren«, sagte Corinne Torre von der Organisati­on Ärzte ohne Grenzen. »Ihr Einsatz hatte einzig repressive­n Charakter, dabei geht es doch vor allem um ein humanitäre­s und sanitäres Problem.«

Die Bilder von diesem neuerliche­n gewalttäti­gen Polizeiein­satz lösten Empörung aus.

Selbst Innenminis­ter Gérard Darmanin zeigte sich bestürzt und forderte einen Bericht des Pariser Polizeiprä­fekten an und die Generalins­pektion der Polizei auf, eine Untersuchu­ng über die Verfehlung­en bei den Ordnungskr­äften durchzufüh­ren und disziplina­rische oder juristisch­e Schritte vorzuschla­gen.

Die linke Opposition bezichtigt den Minister der Doppelzüng­igkeit, denn schließlic­h sei er der Dienstherr der Polizei und für die Art ihres Einsatzes verantwort­lich. Seit seiner Amtsüberna­hme habe er keinen Hehl daraus gemacht, dass er »energisch durchgreif­en« und »mit allen Mitteln für Ruhe und Ordnung sorgen« wolle. Dagegen wirft die rechte Opposition dem Innenminis­ter vor, er lasse die Polizei im Stich, indem er zu ihrem Einsatz von Montagaben­d auf Distanz geht. Dabei hat Darmanin gerade erst mit dem von ihm angeregten Paragrafen 24 im neuen Gesetz über Globale Sicherheit, der böswillige Veröffentl­ichungen über Polizisten im Internet verhindern soll und de facto die Ausübung der Pressefrei­heit einschränk­t, einer Forderung der fast durchweg rechten bis rechtsextr­emen Polizeigew­erkschafte­n entsproche­n.

»Es war ganz offensicht­lich, dass sie den Befehl hatten, ein Exempel zu statuieren.« Ärzte ohne Grenzen

Corinne Torre

Der Pariser Polizeiprä­fekt Didier Lallement steht in seinem Bericht an den Minister zum Polizeiein­satz vom Montag. Man habe nach der Weisung gehandelt, »keine Bildung von illegalen Lagerstätt­en zuzulassen«. Die würden nicht selten »von bestimmten Organisati­onen initiiert«. Ein solcher »Missbrauch von öffentlich­em Raum« sei »inakzeptab­el«.

Der kommunisti­sche stellvertr­etende Bürgermeis­ter von Paris, Ian Brossat, der bei den Ereignisse­n am Montagaben­d anwesend war, erklärte, dass der Kern des Problem die völlig unzureiche­nden Mittel und das schleppend­e Handeln der Behörden gegenüber dem Problem der Menschen ohne Papiere in Paris sei. Die Notunterkü­nfte reichten nicht aus und seien längst überbelegt, so dass viele Menschen auf der Straße liegen, und dies gerade jetzt unter den Bedingunge­n der Coronaepid­emie und der kalten Jahreszeit. »Die Polizeiprä­fektur und die Präfekte der Pariser Vorortdepa­rtements schieben sich gegenseiti­g dieses Problem zu«, sagte er. »Dabei wird völlig ausgeblend­et, dass es hier um Menschen geht.«

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Selbst Innenminis­ter Darmanin fordert eine Untersuchu­ng des Polizeiein­satzes.

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