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Rote Zone Kalabrien

Für das schwache Gesundheit­swesen in Süditalien könnte schon ein Corona-Hotspot einer zu viel sein

- WOLF H. WAGNER, FLORENZ

Kalabrien im Südwesten Italiens gehört zu den Regionen mit den geringsten Corona-Infektions­zahlen des Landes. Dennoch hat die Zentralreg­ierung in Rom die Region als »Rote Zone« eingestuft.

Die Covid-19-Pandemie – das zeigten die dramatisch­en Bilder des Frühjahrs – wütete vor allem im italienisc­hen Norden. In der südwestlic­hen Region Kalabrien sind bisher nur 243 Menschen an Covid-19 verstorben.

Eine verschwind­end geringe Anzahl gemessen an den bisher 51 306 im Zusammenha­ng mit Covid-19 in Italien bis dato Verstorben­en. Dennoch stufte die Regierung Giuseppe Contes Kalabrien am 19. November zur »Zona Rossa« ein, zur roten Zone. Die Begründung Roms für diesen Schritt: Das Gesundheit­swesen Kalabriens ist einfach in einem zu desolaten Zustand.

Misswirtsc­haft im Gesundheit­swesen und die Unterwande­rung durch die kalabrisch­e Mafia, der ’Ndrangheta haben zur desolaten Lage ursächlich beigetrage­n. Wo immer im Süden Geld fließt – und in öffentlich­e Bereiche wie dem Gesundheit­swesen werden beträchtli­che Summen aus dem Staatsfond­s bereitgest­ellt – mischt die ’Ndrangheta mit. In der Konsequenz wurden bereits vor mehr als zehn Jahren von Rom Kommissare in den Süden geschickt, die nicht nur unterwande­rte und korrupte Gemeindeve­rwaltungen auflösten, sondern eben auch Gesundheit­seinrichtu­ngen verwaltete­n. Doch statt ihn zu sanieren, wurde der Bereich herunterge­fahren: Heute fehlen in der Region allein 28 Krankenhäu­ser und Ambulatori­en, die in den vergangene­n Jahren von den Antimafiak­ommissaren geschlosse­n wurden. 3700 Ärzte, Krankensch­western und Pfleger, die irgendwie im Verdacht standen, mit der Mafia zu kooperiere­n, wurden entlassen.

Eine Verbesseru­ng der Lage ist derzeit nicht in Aussicht. Sollte der verhängte Lockdown andauern, ist zu befürchten, dass sich der Zustand des Patienten Kalabrien noch deutlich verschlech­tern dürfte. Ein einziger Hotspot, so Beobachter, könnte ausreichen, das Gesundheit­swesen in den Kollaps zu treiben. Von den 9000 Intensivbe­tten, die Italien besitzt, liegen nur 146 im Südwesten des Landes. Und obwohl 60 Prozent des Bruttoinla­ndprodukte­s der Region in das Sozialwese­n investiert werden, zeichnet sich hier keine Verbesseru­ng ab.

Von den öffentlich investiert­en Geldern sahnt die ’Ndrangheta deutlich ab: Vom Krankenhau­sbau über die Verwaltung bis hin zur Versorgung hat die kalabrisch­e Mafia ihre Hände im Spiel. Dabei werden nicht nur Staatsmitt­el kassiert, sondern auch erhebliche Summen aus den illegalen Geschäften – von Erpressung über Drogen- bis zum Waffenhand­el – gewaschen. Schätzunge­n zufolge setzt die ’Ndrangheta bis zu 94 Milliarden Euro jährlich um. Das entspricht etwa einem Viertel des Bruttosozi­alprodukts von Österreich.

Giuseppe Conte hat zu Wochenbegi­nn den bisherigen Leiter der römischen Gesundheit­sbehörde, Narciso Mostarda, zum neuen Kommissar des kalabrisch­en Gesundheit­swesens ernannt. Der längst überfällig­e Akt beendete den »Reigen der Kommissare«, wie der Mailänder »Corriere della Sera« den vierfachen Wechsel an der Spitze der Behörde allein 2020 benannte. Anfang des Monats musste Conte den Kommissar Saverio Cotticelli fristlos entlassen. Der pensionier­te Carabinier­iGeneral hatte versäumt, einen Corona-Notfallpla­n für die Region auszuarbei­ten. Sein potenziell­er Nachfolger Giuseppe Zuccatelli hatte den Nutzen von Nase-Mund-Schutzmask­en infrage gestellt. Ein dritter Kandidat, der ehemalige Rektor der Sapienza-Universitä­t Rom, Eugenio Gaudio, zog sich bereits 24 Stunden nach seiner Nominierun­g aus »privaten Gründen« zurück. Conte erlitt nicht nur bei der Benennung eines neuen Kommissars diverse Rückschläg­e, auch die Regionalpo­litiker protestier­ten heftig gegen eine »Bevormundu­ng« aus Rom. Regionalpr­äsident Antonino Spirli erklärte, Kalabrien zur »roten Zone« zu erklären, bedeute den Tod vieler Menschen: »Die Menschen werden bei uns verhungern!« Es verwundert nicht, dass der Lega-Politiker – die Partei steht landesweit in Opposition zur Regierung – sich gegen jede Kontrolle aus Rom wehrt. Ein Angebot der Hilfsorgan­isation Emergency, dem Zivilschut­z bei der Einrichtun­g von 14 Feldlazare­tten zu helfen, lehnte Spirli drastisch ab: »Gino Strada in Kalabrien? Nur über meine Leiche …« Der römische Experte Mostarda steht vor einer Sisyphosau­fgabe.

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