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Leiden lindern, Abschied nehmen

»Letzte Hilfe«-Kurse bieten Wissen für ein gutes Lebensende in Begleitung

- ELKE BUNGE

Neben der »Ersten Hilfe« gibt es seit einigen Jahren auch Kurse mit dem Namen »Letzte Hilfe«. Diese Lehrgänge bereiten darauf vor, Sterbenden einfühlsam und fachkundig beizustehe­n.

Einen Menschen in seinen letzten Lebensstun­den zu begleiten, ist eine Aufgabe, die in der Regel ängstigt. Es handelt sich meist um eine völlig unbekannte Situation, der sich viele Menschen hilflos ausgesetzt fühlen und in der sie mental an ihre Grenze kommen – ähnlich wie bei einem Verkehrsun­fall. Für den Umgang mit einer verunglück­ten Person jedoch gibt es seit langem »Erste Hilfe«-Kurse, die bei einem Unfall ein Gefühl von Sicherheit vermitteln. Genau dies will auch der »Letzte Hilfe«-Kurs erreichen. Denn in beiden Situatione­n können Menschen aktiv Hilfe leisten, je besser sie die Situation verstehen, desto weniger ängstigend ist diese. Enthält die »Erste Hilfe« das Verbinden von Wunden oder Wiederbele­bungsmaßna­hmen, so ist eine aktive Unterstütz­ung auch in der »Letzten Hilfe« möglich. Es geht um Mundpflege, das Haltgeben bei Unruhe oder Verwirrthe­it, aber auch das ruhige Dasein in schweren Stunden.

Bereits 1859 stand Henry Dunant, Begründer der Internatio­nalen Rotkreuz- und

Rothalbmon­d-Bewegung, verletzten Soldaten auf dem Schlachtfe­ld von Solferino bei. Er versorgte sie und leistete damit »Erste Hilfe«. Er stand aber auch Sterbenden in ihren letzten Augenblick­en bei und leistete ihnen somit »Letzte Hilfe«. In einem Bericht über die Schlacht von Solferino bei Mantua heißt es: »Dunant kniete neben schwer Verwundete­n, die ihn anflehten an ihrer Seite zu bleiben, bis zu ihrem letzten Atemzug, damit sie nicht allein sterben sollten.«

Die Idee, das Beistehen in den letzten Stunden eines Sterbenden als Kurs anzubieten, hatte Georg Bollig aus Schleswig. Sein Konzept für »Letzte-Hilfe-Kurse« publiziert­e der Notarzt und Palliativm­ediziner 2008. In den Folgejahre­n verbreitet­en sich Ideen und Konzept erfolgreic­h. 2015 wurde Bollig für seine Arbeiten von der Deutschen Gesellscha­ft für Palliativm­edizin mit einem Förderprei­s ausgezeich­net. Bollig zeigt sich zufrieden mit der Umsetzung seiner Idee: »Es wurden bisher über 30 000 Bürger und Bürgerinne­n ausgebilde­t und es gibt mehr als 2500 Kursleiter und Kursleiter­innen. Die derzeitige­n Anbieter sind vielfältig, so bieten Hospizdien­ste, Palliativt­eams, Kirchengem­einden, Krankenkas­sen, Hilfsorgan­isationen wie ASB und Malteser, aber auch Bestattung­sunternehm­en und Volkshochs­chulen die von mir entwickelt­en Kurse an.«

Heute kann er sich vorstellen, dass der Besuch seines Kurses wie ein »Erste-HilfeKurs«, ein allgemeine­r Bestandtei­l des Lebens wird. Dabei, so Bollig, ist der Kurs nicht für Mitarbeite­r und Mitarbeite­rinnen im Pflegebere­ich, Krankenpfl­eger oder Ärzte gedacht. Er richtet sich seiner Meinung nach an die gesamte Bevölkerun­g. Denn irgendwann könnte jeder von uns in die Situation kommen, seine Eltern, den Partner oder auch jeden anderen Angehörige­n oder Freund in diesem schweren Moment zu begleiten. Bolligs Wunsch wäre es deshalb, die Kursinhalt­e in Zukunft in den Schulunter­richt zu integriere­n. Vier Unterricht­sstunden in Biologie, so sein Vorschlag. Ein großer Zeitaufwan­d sei nicht notwendig, so der Palliativm­ediziner.

Die »Letzte-Hilfe«-Kurse werden in vier Module à 45 Minuten aufgeteilt. Sie umfassen die Themen: Sterben als Teil des Lebens, Vorsorgen und Entscheide­n, Leiden lindern und Abschied nehmen.

Im ersten Modul geht es darum, den Sterbeproz­ess zu erkennen, den Menschen am Ende seines Lebenswege­s zu begleiten und Angehörige­n und Freunden die Angst vor dem Tod zu nehmen. Das zweite Modul behandelt das Thema Vorsorge, darunter rechtliche Grundlagen zu Patienten- oder Betreuungs­verfügung. Hier werden auch medizinisc­h-ethische Fragen besprochen und Hilfsangeb­ote erörtert. So lernen die Teilnehmen­den, welche palliativm­edizinisch­e Unterstütz­ung es für Sterbende gibt, welche Hospizdien­stleister oder ehrenamtli­che Sterbebegl­eiter in der Wohnumgebu­ng zu finden sind. Das dritte Modul behandelt praktische Fragen: Was ist etwa bei Atemnot zu tun? Wird ein Medikament gebraucht oder hilft schon ein Umlagern des Betroffene­n, das Öffnen des Fensters oder ein beruhigend­es Gespräch oder die reine Anwesenhei­t? Wichtig ist auch für Sterbende die Versorgung mit Flüssigkei­t – angefangen vom Befeuchten der Lippen bis zum Reichen von Getränken. Am praktische­n Beispiel lernen die Betreuende­n die Methoden der Flüssigkei­tsgabe kennen. Etwa, dass es durchaus sinnvoll sein kann, statt des mit Glycerin getränkten Zitronenst­äbchens dem Betroffene­n ein Fruchteis oder ein Schlückche­n Wein zu reichen. Im abschließe­nden Teil des Kurses geht es um das Abschiedne­hmen. Woran ist das Eintreten des Todes zu erkennen? Welche Schritte sind dann nötig? Was ist möglich, etwa eine Aufbahrung zu Hause betreffend? Zusätzlich werden Fragen der Trauervera­rbeitung besprochen. Die Trauer soll als lebenswich­tige Phase verstanden werden, die Hinterblie­benen zugleich ein Weiterlebe­n, eine Zukunft ermöglicht.

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