nd.DerTag

Das neue grüne Selbstvers­tändnis

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Die Grünen werfen die direkte Demokratie über Bord. Damit misstraut die Partei den Menschen – aber auch der eigenen Überzeugun­gskraft, meint Ralf-Uwe Beck.

Für welche Demokratie treten die Grünen zukünftig ein? Sollen wir allein darauf vertrauen, dass die Grünen, wenn sie an der Regierung beteiligt sind, es schon irgendwie richten? – Ja, das erwarten die Grünen. Jedenfalls fühlt sich der Beschluss des Parteitags, die direkte Demokratie aus dem Grundsatzp­rogramm zu streichen, genau so an. Die Fragen hatten zuvor 14 Vereine und Verbände in einem Offenen Brief aufgeworfe­n und somit an die Grünen appelliert, bundesweit­e Volksentsc­heide als Kernforder­ung der Zivilgesel­lschaft nicht über Bord zu werfen.

Doch das haben sie getan. Dabei wurde kaum ein Thema so kontrovers diskutiert, es gab und gibt Widerstand von der Basis gegen die Position des Parteivors­tands. Und trotzdem, am Ende des Tages sprechen die Grünen den Bürgerinne­n und Bürgern ihr Misstrauen aus – beraten sollen sie, entscheide­n nicht. Dabei ist in allen 16 Bundesländ­ern die direkte Demokratie seit 30 Jahren Verfassung­swirklichk­eit, können die Menschen mit Volksbegeh­ren Abstimmung­en erzwingen und sich so vom Regierungs­handeln unabhängig machen. Genau das fürchten die Grünen jetzt. Wer an der Macht ist oder nach ihr strebt, den verängstig­t drohender Kontrollve­rlust. Die direkte Demokratie kommt den Grünen suspekt vor, sie sei anfällig für Populismus, insbesonde­re für den von rechts. Dafür exhumieren sie den Brexit, der als völlig untauglich­es Beispiel direkter Demokratie längst beerdigt war: von Premier Cameron zum Machterhal­t angesetzt, von den Parteien missbrauch­t, ohne saubere Abstimmung­svorlage und ausgewogen­e Informatio­nen.

Das hat mit der direkten Demokratie, wie wir sie in Deutschlan­d kennen, nichts zu tun. Sie gehört in die Hand der Bürgerinne­n und Bürger, in der Hand von Regierunge­n ist sie tatsächlic­h missbrauch­sanfällig. Längst gehören lange Fristen, Abstimmung­sbroschüre­n und Alternativ­vorlagen zum Standard.

Auch können mit der direkten Demokratie in Deutschlan­d, anders als in der Schweiz, Grund- und Minderheit­enrechte nicht angetastet werden. Aber so weit hat der Bundesvors­tand gar nicht gedacht. Robert Habeck hat in seiner Rede oberflächl­iche Vorbehalte ventiliert und Jürgen Trittin ist gar im Neandertal der Debatte hängen geblieben. So etwas habe ich von den konservati­vsten Gegnern der direkten Demokratie vor 20 Jahren zuletzt gehört.

Ja, den Grünen mag es um die Stärkung der Parlamente gehen. Dafür setzen sie nun auf losbasiert­e Bürgerräte. Die würden den

Mangel an Repräsenta­tion in den Parlamente­n wettmachen. Stimmt. Was aber, wenn, was die Ausgeloste­n vorschlage­n, in der politische­n Schublade verschwind­et? Dann wäre der Frustberg noch größer und dem Vertrauen in die Demokratie gerade nicht gedient. Wer für Bürgerräte schreit, müsste auch der direkten Demokratie das Lied singen. Sie ist das eigentlich­e Frustschut­zmittel: Können die Menschen eine Sache selbst in den Hand nehmen, werden sie mit dem, was sie einwenden und sich ausdenken, weniger abgebügelt und eher ernst genommen. Aber gegen ein ganzheitli­cheres Denken des demokratis­chen Systems krähen die grünen Hähne auf dem Misthaufen ungelöster Probleme: »Wir machen das schon.« Ach ja, wie denn? Indem der Zivilgesel­lschaft der bundesweit­e Volksentsc­heid verweigert wird?

Die Entscheidu­ng vom Wochenende lässt tief blicken in das neue Selbstvers­tändnis der grünen Partei. Sie misstraut, indem sie die direkte Demokratie von Bord wirft, den Menschen, aber auch der eigenen Überzeugun­gskraft. An diese Stelle rückt allein die Macht. Dabei – gäbe es den bundesweit­en Volksentsc­heid – wäre längst ein Volksbegeh­ren beispielsw­eise für einen wirksamen Klimaschut­z am Start. Das würde auch der Regierung, insbesonde­re den morgigen Koalitions­partnern der Grünen Beine machen, die heute beharrlich zu ihrem Klimapaket stehen, das eher in die Lausitz führt als nach Paris. Da wird das Gerede von der Bewegungsp­artei, mit dem die Umweltbewe­gung zur Wahlkampfh­ilfe animiert werden soll, zu einem lauen Gesäusel und das Bündnis 90 verblasst. Joseph Beuys, einer der Geburtshel­fer der Grünen, würde hier anmerken: »Wer nicht denken will, fliegt (sich selbst) raus.«

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FOTO: SASCHA WILLMS Ralf-Uwe Beck ist Vorstandss­precher von Mehr Demokratie e.V.

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