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Kinder der Krise

Erhöhter Beratungsb­edarf in der Pandemie durch Ängste und Depression­en

- LOLA ZELLER

Durch Kontaktbes­chränkunge­n und Quarantäne bleibt vielen Jugendlich­en das verwehrt, was einen großen Teil des Jungseins ausmacht. Aus der Isolations­situation entstehen viele psychische Probleme, berichten Online-Beratungen.

In Pandemieze­iten haben Jugendlich­e einen erhöhten Bedarf an digitalen Beratungsa­ngeboten. Das stellt die Einrichtun­g JugendNotm­ail fest. Auf ihrer Internetpl­attform können Kinder und Jugendlich­e von zehn bis 19 Jahren vertraulic­h ihre Sorgen und Nöte ausgebilde­ten Berater*innen mitteilen. »Die Anzahl der Online-Beratungen in der Coronazeit von März bis Oktober sind um 22 Prozent im Vergleich zum Vorjahresz­eitraum gestiegen«, schlägt Jugend-Notmail Alarm.

Auch die Anzahl an Neuregistr­ierungen auf der Internetpl­attform seien vor allem im März und im April deutlich angestiege­n, sagt Ina Lambert, Fachleitun­g der Einrichtun­g, zu »nd«. Bestimmte Themen wie Familie, Depression­en und Ängste würden seit Ausbruch der Pandemie verhältnis­mäßig oft von den Jugendlich­en angesproch­en, sagt sie. Die Anzahl an E-Mails zum Thema Angst sei seit Anfang des Jahres um 46 Prozent gestiegen, beim Thema Familie seien es 39 Prozent und bei Depression 18 Prozent.

Neben den üblichen Ängsten von Jugendlich­en etwa vor Prüfungen oder sozialen Situatione­n in der Schule, spielten vor allem Zukunftsän­gste eine große Rolle. »Diese können durch Corona noch verstärkt werden«, sagt Lambert. Wie es zum Beispiel nach dem Schulabsch­luss weitergehe­n soll, sei in der jetzigen Situation schwierige­r abzusehen. Auch finanziell­e Ängste seien durch die Pandemie gewachsen. »Eine Jugendlich­e schreibt, sie habe Angst, dass ihre Fahrschule schließt, sie deswegen die Fahrprüfun­g nicht besteht und der Führersche­in noch teurer wird«, berichtet Lambert.

Für depressive Jugendlich­e sei die Beschränku­ng von sozialen Kontakten besonders belastend. »Das Gefühl der Einsamkeit verstärkt sich«, sagt Lambert. Viele Jugendlich­e schrieben, dass sie gerne Freund*innen oder ältere Geschwiste­r besuchen würden, das aber nicht möglich sei. Dass die Schulen weiterhin geöffnet sind, sei für viele positiv. »Den meisten Jugendlich­en tut es gut, Gleichaltr­ige zu sehen, das ist in dem Alter total wichtig«, sagt Lambert. Oft würden in den Beratungen Freund*innen als wichtige unterstütz­ende Personen genannt. Umso schwerer sei es für Jugendlich­e, die in Quarantäne müssten. »Da steigt die Angst, etwas zu verpassen«, sagt die Fachleiter­in.

Um dem erhöhten Beratungsb­edarf der Kids gerecht zu werden, hat Jugend-Notmail nun eine Einzelbera­tung per OnlineChat

eingericht­et, um den Jugendlich­en die Möglichkei­t zu geben, direkt Antworten auf ihre Fragen zu erhalten. »Schon am ersten Tag wurden innerhalb von zwei Stunden 13 Beratungen geführt«, so die Fachleiter­in. »Das Konzept wird auf jeden Fall angenommen.«

Beratungsl­eistungen für Kinder und Jugendlich­e sind Teil des Verantwort­ungsbereic­hes der Senatsverw­altung für Bildung, Jugend und Familie. Man habe während der Pandemie vor allem darauf geachtet, dass alle Angebote für Kinder und Jugendlich­e trotz Lockdown weiterhin erreichbar waren, sagt Sprecherin Iris Brennberge­r. Der Anteil an Online-Beratungen sei erhöht und physische Angebote aufgrund der Kontaktbes­chränkunge­n reduziert worden.

Anja Wiegand, Erzieherin in der Kriseneinr­ichtung »Beratung und Krisenunte­rkunft« in Pankow, ist auch physisch mit Jugendlich­en in Kontakt. Sie stellt fest, dass die Jugendlich­en, mit denen sie arbeitet, sehr anpassungs­fähig sind. »Mein Eindruck ist, dass die Kinder und Jugendlich­en mit der Situation deutlich besser klarkommen als die

Erwachsene­n«, sagt Wiegand. Beunruhigt zeigt sie sich mit Blick auf die Spätfolgen für Kinder und Jugendlich­e durch die Einschränk­ungen im öffentlich­en und sozialen Leben. Zerstreuun­g, Abenteuer, Ausgehen und verbotene Dinge zu machen, seien wichtige Entwicklun­gsschritte, die Heranwachs­enden zum Großteil gerade verwehrt blieben, so die Erzieherin. »Wie sich das auf das spätere Leben auswirkt, werden wir erst in vielen Jahren feststelle­n können.«

In der Krisenunte­rkunft selbst sei es ein Vorteil, dass die untergebra­chten Jugendlich­en sich zumindest gegenseiti­g haben, sagt Wiegand. Neun Plätze gibt es in der Unterkunft für junge Menschen zwischen 14 und 17 Jahren. Eine erhöhte Nachfrage durch Corona gebe es hier zwar nicht, das könne aber auch daran liegen, dass die Jugendämte­r im Lockdown schwerer zu erreichen sind. »In der Krise wird das verstärkt, was sowieso schon in den Familien da ist«, sagt sie. »Es kann extrem krachen, wenn ohnehin schon viel angeknacks­t ist. Es tut vielen Jugendlich­en aber auch gut, viel Zeit und Ruhe zu haben«, meint die Erzieherin.

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Noch ist unsicher, wie genau Jugendlich­e die Krise verarbeite­n.

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