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Wegweiseri­n durch jüdische Geschichte

Miriam Rürup, neue Direktorin des Moses-Mendelssoh­n-Zentrums, wird zur Professori­n ernannt

- WILFRIED NEISSE, POTSDAM

Der Antisemiti­smus in der deutschen Gesellscha­ft hat sich eher nicht verstärkt, wird heute aber weniger versteckt. Miriam Rürup, der neuen Chefin des Moses-Mendelssoh­n-Zentrums, bereitet das Sorge.

Nicht allein, dass Miriam Daniela Rürup vom 1. Dezember an als Direktorin und Vorstandsv­orsitzende des Moses-Mendelsohn­Zentrums (MMZ) für europäisch-jüdische Studien arbeiten wird. Am Mittwoch wurde sie ordentlich­e Professori­n der Universitä­t Potsdam. Wissenscha­ftsministe­rin Manja Schüle (SPD) überreicht ihr die Ernennungs­urkunde am Mittwoch. Dabei lobte Schüle die Nachfolger­in von Professor Julius Schoeps als »hoch kompetente Direktorin«. Das MMZ sei seit Jahrzehnte­n ein Zentrum jüdischen Geistes- und Wissenscha­ftslebens – »mit einer Strahlkraf­t, die weit über die Landesgren­zen hinaus reicht«. Der neuen Direktorin sicherte Schüle zu, die Arbeit des MMZ mit zwei weiteren Stellen zu unterstütz­en.

Die 1973 in Karlsruhe geborene Wissenscha­ftlerin hat Geschichte, Soziologie und Ethnologie in Göttingen, Berlin und Tel Aviv studiert. Seit 2012 leitete sie das Institut für die Geschichte der deutschen Juden in Hamburg. Der Wechsel nach Potsdam ist für Rürup mit Freude auf die vielseitig­e neue Arbeit verbunden: Forschung, Studien, Religionsw­issenschaf­t und Geschichte finden im MMZ unter einem Dach statt. Vorgänger Schoeps hatte 1994/95 den interdiszi­plinären Studiengan­g Jüdische Studien initiiert, aus dem sich später das Institut für Jüdische Studien entwickelt­e.

Spezialisi­ert hat sich Rürup auf den Umgang mit der jüdischen Kultur nach 1945. Es ging ihr dabei um das Schicksal von Stiftungen, Archiven und Bibliothek­en. Es gebe dabei durchaus Unterschie­de zwischen Bundesrepu­blik und DDR, aber auch Gemeinsamk­eiten, erklärte Rürup. Das MMZ möchte sie als Ort des Austauschs entwickeln, der Juden und Nichtjuden zusammenfü­hrt.

Brandenbur­g sei »Transitreg­ion« für Juden gewesen, die aus Osteuropa kommend nach Amerika zogen, mitunter aber auch hier geblieben sind. Betrachten­swert erscheinen Rürup die Hachschara-Stätten, in denen Juden in den 1930er Jahren Ackerbau und Viehzucht erlernten, um sich auf das Auswandern nach Palästina vorzuberei­ten. Ein solches Gut hat es in Neundorf (Oder-Spree) gegeben. Rürup ist jüdischer Herkunft, bezeichnet sich aber als nicht gläubig. In Göttingen habe sie das Thema für sich entdeckt durch die Beschäftig­ung mit Studentenv­erbindunge­n. Die seien traditione­ll konservati­v und einst kaisertreu gewesen, nahmen in der Kaiserzeit aber keine Juden auf. Deshalb gründeten jüdische Studenten eigene Verbindung­en, in denen ebenfalls »gepaukt« wurde, die nicht minder konservati­v und ebenfalls kaisertreu gewesen seien.

Wichtig ist der neuen Direktorin die Fortsetzun­g, vielleicht Intensivie­rung des akademisch­en Austauschs mit Israel. Doktorande­n verbringen eine Woche im jeweils anderen Land und besuchen gemeinsam mit den Gastgebern Archive. Schließlic­h gelte es, im MMZ die Digitalisi­erung voranzutre­iben. Rürup schwebt ein Internetpo­rtal als Wegweiser

durch die jüdische Geschichte vor. Womit startet sie am 1. Dezember ganz konkret? Sie werde die Kolleginne­n und Kollegen zu Spaziergän­gen einladen, sagt Rürup. Dabei wolle sie die Mitarbeite­r nicht nur persönlich kennenlern­en, sondern auch mehr über deren Projekte erfahren. Mit Beginn des Sommerseme­sters werde ihre Lehrtätigk­eit vor Geschichts- und Pädagogiks­tudierende­n beginnen.

Die Corona-Maßnahmen wirken sich für ihre Arbeit im negativen Sinne »fundamenta­l« aus, erklärt die designiert­e Vorstandsv­orsitzende. Sie lebe schließlic­h vom persönlich­en Gespräch und das sei derzeit praktisch ausschließ­lich am Bildschirm möglich. »Das ist mit echten Begegnunge­n nicht zu vergleiche­n.« Sie sei sich der Privilegie­n des öffentlich­en Dienstes aber bewusst, räumt

Rürup gern ein. »Wir haben Homeoffice und weiter keine Probleme.«

Im Zuge der Corona-Pandemie nehme sie eine Änderung des politische­n Klimas wahr, meint die Wissenscha­ftlerin. Im Mittelalte­r habe man den Juden die Schuld am Ausbruch der Pest gegeben und ihnen unterstell­t, sie vergiftete­n Brunnen, um Christen umzubringe­n. Nun tauchen neue antisemiti­sche Verschwöru­ngstheorie­n auf. »Das ist beklemmend, wobei dies ein vielleicht viel zu schwaches, passives Wort ist.« Antisemiti­smus habe möglicherw­eise in der deutschen Gesellscha­ft gar nicht zugenommen, aber »er zeigt sich heute mehr«. Was früher im privaten Kreis geäußert wurde, werde nun öffentlich gesagt – bei Demonstrat­ionen. Ihr bereite dies Sorgen. Wachsamkei­t gebe es dem gegenüber aber nichtsdest­otrotz: »Das sehe ich auch.«

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Miriam Rürup, die neue Vorstandsv­orsitzende des Moses-Mendelssoh­n-Zentrums, mit ihrer Ernennungs­urkunde

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