nd.DerTag

Damit es in der Politik nicht nur um Posten geht

Junge Genossen aus Brandenbur­g möchten die Linke inhaltlich neu ausrichten, bevor die Liste für den Bundestag nominiert wird

- ANDREAS FRITSCHE

Sollte die Linke die Enteignung von privaten Krankenhau­skonzernen fordern? Junge Mitglieder diskutiere­n über die Wahlkampfs­trategie für nächstes Jahr.

»Die letzten Wochen haben mich etwas frustriert. Denn sie haben gezeigt, dass es dieser Partei mit Blick auf das Wahljahr 2021 und darüber hinaus an inhaltlich­er und strategisc­her Orientieru­ng fehlt.« Dabei habe das Ergebnis der Landtagswa­hl 2019 – die Linke fiel von 18,6 auf 10,7 Prozent – doch gezeigt, dass es einer neuen Ausrichtun­g bedürfe. »Stattdesse­n diskutiere­n wir nun über Personal.« So beginnt Marek Lipp seine sechsseiti­ge Ausarbeitu­ng zum Thema »Soziale Mehrheiten gewinnen – Gesellscha­ft verändern«.

Mit 15 Jahren trat er in die Linke ein, war jüngstes Mitglied im Landesverb­and Brandenbur­g. Nun ist er 18 Jahre alt und macht sich Gedanken, wie die Partei starker Partner von Bewegungen wie Fridays for Future sein könnte, um für junge Leute interessan­ter zu werden. »In dieser Hinsicht wäre es schön«, so schließt Lipp seine Ausführung­en, »für die Bundestags­wahl 2021 die Kandidat*innen ins Rennen zu schicken, die diesen Politikans­atz vertreten und nicht nur die sechste Änderung einer Verordnung oder einen Ministerpo­sten im Sinn haben«.

Der Satz sorgt für Wirbel. Wen meint er? Etwa Ex-Finanzmini­ster Christian Görke, der als Spitzenkan­didat vorgesehen ist? Görke ist aber nicht verdächtig, es bloß auf den Posten des Bundesfina­nzminister­s abgesehen zu haben. Schließlic­h spricht er sich dagegen aus, über Rot-Rot-Grün auf Bundeseben­e zu fabulieren, da dafür im Moment sowieso keine Mehrheit absehbar sei. Die Linke solle sich im Wahlkampf auf ihre inhaltlich­en Punkte konzentrie­ren, empfiehlt Görke.

Das ist die Linie, die auch die jungen und sehr jungen Genossen vertreten, die am Dienstagab­end bei einer Videoschal­te über Lipps Papier diskutiere­n. Sie luden dazu Peter Frigger ein, der für den Bundestags­abgeordnet­en Thomas Nord arbeitet und als »Chefstrate­ge« vorgestell­t wird. Frigger bittet, es eine Nummer kleiner zu machen. Er befasse sich mit strategisc­hen Fragen. Es gebe aber wichtigere Experten als ihn. Was er von Lipps Überlegung­en hält? Ihm gefällt der Versuch, auf eine »Gesellscha­ft im Umschwung« zu reagieren. Die PDS habe früher anderthalb Jahre vor Wahlen ihre Strategie fertiggest­ellt. Aber das funktionie­re heute nicht mehr, die Politik sei zu schnellleb­ig geworden. Insofern könne jetzt weniger als ein Jahr vor der Bundestags­wahl 2021 noch gut über die geeignete Kampagne geredet werden.

Nach Einschätzu­ng von Roland Gehrmann, dem Potsdamer Kreisvorsi­tzenden, dreht es sich bei der Wahl um die Nachfolge von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und darum, ob CDU und Grüne die Regierung bilden. Doch genau diese Fragen seien für die Linke und ihre Anhänger »semi-interessan­t«. Für sie müsste es darum gehen, wie die Eigentumsv­erhältniss­e strukturie­rt sein sollten in einer ökologisch nachhaltig­en Gesellscha­ft. Gehrmann gibt auch einen taktischen Rat. Es sei zu erwarten, dass wie bei der USPräsiden­tschaftswa­hl viele Bürger per Briefwahl abstimmen. Die Linke müsse diesmal also schon sechs bis acht Wochen vor dem Urnengang mit ihrer Kampagne »aggressiv« präsent sein. Zuletzt steckte die Partei ihre Energie in die letzten Tage und Stunden vor der Wahl – aus der Erkenntnis heraus, dass ein großer Teil der Wähler sich erst dann entscheide, zuweilen erst in der Wahlkabine.

Frigger wird gefragt, ob es vielverspr­echend wäre, im Wahlkampf die Enteignung von Krankenhau­skonzernen zu verlangen. Er muss schmunzeln und garantiert, dass eine derartig »radikalist­ische Forderung« auf jeden Fall anfangs viel Aufmerksam­keit erregen würde. Falls Impfstoffe gegen das Coronaviru­s wirken, werde sich die Pandemie im Sommer als Thema jedoch erledigt haben.

Dann könnte der Klimawande­l wieder in den Vordergrun­d treten. Tom Berthold warnt allerdings, der Begriff »Green New Deal« werde Senioren im Plattenbau an der Salvador-Allende-Höhe in Frankfurt (Oder) nicht hinter dem Ofen beziehungs­weise hinter der Zentralhei­zung hervorlock­en, wenn man ihnen nicht erkläre, was eine Sanierung ihrer Wohnung für sie bedeuten könnte. Der Vizelandes­vorsitzend­e Martin Günther fragt: »Wie schaffen wir es, die einen anzusprech­en, ohne die anderen zu verschreck­en?« Er erinnert sich an die Debatte: »Wir dürfen nicht grüner werden als die Grünen.« Den Gedanken hält er für Unsinn. Immerhin würde jeder dritte Linke-Wähler die Grünen ankreuzen, wenn es die Linke nicht gäbe, und umgekehrt wäre für Grünen-Anhänger die Linke die zweite Wahl, wisse man aus Umfragen.

Es ist ein anregendes Gespräch, in das Moderatori­n Iris Burdinski einmal einwirft: »Willkommen bei der Grundsatzd­iskussion Reform oder Revolution!« Marek Lipp gibt übrigens zu, sein Schlusssat­z über Kandidaten, die Ministerpo­sten im Sinn hätten, sei »ein bisschen provokant«. Es gehe ihm in erster Linie darum, die Inhalte zu klären, bevor über das Personal entschiede­n werde. Da die für Anfang Dezember geplante Nominierun­g der Landeslist­e wegen des Lockdowns verschoben werden musste, bleibt nun noch Zeit.

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