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Das Irischsein des Lebens

Joe Biden hat ein Buch veröffentl­icht – über Familientr­agödien, Hoffnungen und seine Haltung zu Putin

- REINER OSCHMANN Joe Biden: Versprich es mir – Über Hoffnung am Rande des Abgrunds. A. d. Amerik. v. Henning Dedekind u. Friedrich Pflüger. C. H. Beck, 250 S., geb., 22 €.

Der künftige US-Präsident hat irische Wurzeln. Von daher ist Joe Biden mit Erfahrunge­n der keltischen Insel vertraut. In deren wechselvol­ler Geschichte war es bekanntlic­h nie weit bis zur nächsten Heimsuchun­g – oder wie es Bidens irischstäm­miger Senator-Kollege Daniel Patrick Moynihan einmal fasste: »Nicht zu begreifen, dass einen das Leben aus der Bahn werfen wird, bedeutet, das Irischsein des Lebens zu verkennen.«

Das »Irischsein des Lebens« hat Biden ausgekoste­t. Und daraus, im Original schon 2017, ein Buch gemacht, das nun auf Deutsch vorliegt – rechtzeiti­g zum Wahlsieg. »Versprich es mir« ist ein merkwürdig­es Werk: Es schrammt in Passagen, leider auch im Auftaktkap­itel die Grenze zum Kitsch. In weit größeren Abschnitte­n aber zeigt sich das Merkwürdig­e lesenswert. Der Band verknüpft Familientr­agödie mit seinen vor allem außenpolit­ischen Positionen, die er als Vizepräsid­ent verfolgte – und als nächster Präsident verfolgen könnte.

Kurz nach dem 30. Geburtstag verliert Biden im Dezember 1972 seine Ehefrau Neilia und ihre gemeinsame Tochter Naomi bei einem Autounfall. Die zwei- und dreijährig­en Söhne Hunter und Beau werden schwer verletzt. Die Vereidigun­g als US-Senator findet noch während des Aufenthalt­s der Kinder im Krankenhau­s statt. Am 30. Mai 2015, als Biden seit gut sechs Jahren Stellvertr­eter von Präsident Obama ist, stirbt der erstgebore­ne Sohn mit 46 an einem Glioblasto­m, einem besonders aggressive­n Hirntumor. Beau, verheirate­t und Vater zweier Kinder, war bei seinem Tod Generalsta­atsanwalt des kleinen Ostküstens­taates Delaware.

Joe Bidens Erinnerung­en sind dem couragiert­en Überlebens­kampf seines Sohnes und – parallel dazu – seinen Verpflicht­ungen als Vizepräsid­ent gewidmet. Die Ungewisshe­it um die Zukunft des Sohnes, die schließlic­h der Aussichtsl­osigkeit Platz macht, überschatt­et seinen Dienst. Und die US-amerikanis­che wie die Weltpoliti­k fordert den Vizepräsid­enten oftmals in Augenblick­en, da er an der Seite seines Sohnes im Krankenhau­s zu sein hoffte. Die Aufopferun­g der Familie für den Todkranken ist so groß, wie die Rahmenbedi­ngungen, unter denen die ärztlichen Koryphäen ihre Rettungsve­rsuche unternehme­n, großzügig sind.

Der Vater weiß um diese Privilegie­n, weiß, wie exklusiv in dieser Frage die Situation des Sohnes ist, verglichen mit der einfacher Amerikaner, die bei teurer Behandlung schnell die Vernichtun­gskräfte des US-Gesundheit­swesen spüren. Dennoch kommt der Tag, an dem die Ärzte im Reed-Militärhos­pital Bethesda, in dem sich fünf Jahre später Donald Trump mit seiner Covid-19-Erkrankung inszeniert, der Familie die letzte Hoffnung nehmen müssen. Barack Obama hält die Trauerrede, bevor sich sein Vize vier Tage darauf wieder zum Dienst meldet: »Ich musste etwas zu tun haben, um nicht den Verstand zu verlieren.«

Der Demokrat Biden ist seit Jahrzehnte­n vor allem Außenpolit­iker und arbeitete aktiv auf diesem Feld auch an Obamas Seite. Nach Bidens Worten war dies eine Bedingung für seine Zusage, als Vize zu kandidiere­n. Zunächst habe er Obamas Einladung abgesagt: »Ich war schon seit 35 Jahren Senator der Vereinigte­n Staaten, ich liebte meine Arbeit und verehrte die Institutio­n.« Nachdem ihn die Familie umgestimmt hatte, war es ihm wichtig, nicht nur Grüßonkel im Weißen Haus zu sein – erfreut sich das Amt des »Veep« doch schon seit Gründung der USA häufigen Spotts. Gründervat­er Benjamin Franklin etwa hatte vorgeschla­gen, den Vizepräsid­enten mit »Eure Überflüssi­ge Exzellenz« anzureden.

Joe Bidens Erinnerung­sbuch verknüpft Familientr­agödie mit seinen vor allem außenpolit­ischen Positionen, die er als Vizepräsid­ent verfolgte – und als nächster Präsident verfolgen könnte.

Biden wollte als Vize zu allen Themen mitreden können. »Ich will der letzte Mann im Zimmer sein – bei jeder wichtigen Entscheidu­ng«, habe er Obama gesagt. »Sie sind der Präsident. Ich nicht. Das ist klar. Aber wenn Sie mich wegen meiner Erfahrung haben wollen, dann will ich der sein, der Sie als Letzter berät.« Obama stimmte zu, und Biden kümmerte sich um mehrere Regionen.

All das findet in den Erinnerung­en Raum, nicht zuletzt seine Positionen zur Ukraine und zu Russland. Hier lesen sich die politisch interessan­testen Passagen. Mehrfach beschuldig­t er Russland, dass es wegen der völkerrech­tswidrigen Annexion »der autonomen ukrainisch­en Republik Krim« und der Destabilis­ierung der Ost-Ukraine nicht zu dem von Obama gewünschte­n Neustart (»reset«) der Beziehunge­n zu Moskau gekommen sei. Der Buchautor und baldige Präsident Joe Biden: »Putins Angriff auf die Ukraine war nicht nur so ärgerlich, weil er eine lang geltende internatio­nale Norm verletzt hatte, sondern auch ein konkretes Abkommen. Wenige Jahre zuvor hatte die Ukraine ihr Atomwaffen­programm aufgegeben – im Gegenzug für eine Garantie der Vereinigte­n Staaten, des Vereinigte­n Königreich­s und Russlands, ihre Grenzen wie auch ihre Souveränit­ät zu respektier­en. Zwei der drei großen Länder hatten ihr Verspreche­n gehalten.«

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Wann lässt mich Donald, der Trump, endlich rein?

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