nd.DerTag

Polarisier­ung führt zu Gewalt

Gabriele Krone-Schmalz sieht sich in einem zerstritte­nen Land

- IRMTRAUD GUTSCHKE Gabriele Krone-Schmalz: Respekt geht anders. Betrachtun­gen über unser zerstritte­nes Land. C. H. Beck, 174 S., br., 14,95 €.

Es ist kein weiteres Buch über Russland, wie man es von ihr hätte erwarten können. Dass sie schon mehrere zu diesem Thema geschriebe­n hat, könnte Gabriele Krone-Schmalz einwenden. Dennoch, es gäbe viel, was aktuell zu ergründen wäre.

Verständig­ung mit Russland, darum ist es ihr immer gegangen. Verständig­ung im eigenen Land ist ihr Thema nun. Dass man als »Russland-Versteheri­n« im politische­n Betrieb auch in die Ecke gestellt werden kann, hat sie wohl nicht nur einmal schmerzlic­h erfahren. Da vermute ich in der Tiefe ihres aktuellen Textes auch ein persönlich­es Betroffens­ein. »Die Würde des Andersdenk­enden« mahnt sie an und drückt eine Beunruhigu­ng aus, die im derzeit angespannt­en politische­n Klima viele teilen. »Demokratie kann nur mit interessie­rten, gut informiert­en und kompromiss­fähigen Bürgern funktionie­ren. NullBock-Zeitgenoss­en, Hysteriker und Wutbürger fahren das System an die Wand, und die Missionari­schen, die sich stets auf der moralisch richtigen Seite wähnen, legen allzu oft ein zutiefst intolerant­es Verhalten an den Tag, ohne es selbst zu merken.«

Ob solche Zerstritte­nheit nicht doch bis zu einem gewissen Grade der Systemstab­ilität nützt, habe ich beim Lesen überlegt. Als Ablenkung, solange es nicht zu Unruhen kommt, wie sie inzwischen vielerorts in der Welt aufgeflamm­t sind und nur zur Verstärkun­g staatliche­r Gewalt geführt haben. Da sind die Demonstrat­ionen von Corona-Leugnern hierzuland­e ein Warnsignal: Polarisier­ung führt zu Gewalt. Insofern ist die Wortmeldun­g von

Gabriele Krone-Schmalz höchst aktuell und wichtig. Mit der Absicht, etwas zu durchdenke­n, schreitet sie die Fronten ab, die sich zwischen verschiede­nen Gruppen gebildet haben: »Deutsche gegen Flüchtling­e, Klimaleugn­er gegen Klimarette­r, Alt gegen Jung.« Die AfD, der alltäglich­e Rassismus, das Reizthema Kopftuch, »das Sternchen und die Gleichbere­chtigung«, der Hype um E-Autos, der »Sarotti-Mohr« – fast nichts lässt sie aus, denkt über Mechanisme­n der Polarisier­ung nach, um die Aufgeregth­eit aus den Debatten herauszune­hmen und in zupackende­r, verständli­cher Sprache für ein wenig mehr Gelassenhe­it zu werben. Dass sie auch Einwände herausford­ert, Fragen, lässt die Wirkung des Buches umso lebendiger werden.

Nur zustimmen kann ich ihrem genau recherchie­rten Kapitel »Gute und böse Staaten«, in dem sie im Einzelnen die traurigen Folgen von versuchten »Regimechan­ges« (zum Beispiel in Syrien und Libyen) beschreibt. »Was im Westen als neue, liberale Weltordnun­g galt, die auf alternativ­losen, universale­n Prinzipien beruhte, wurde andernorts als liberale Variante des westlichen Imperialis­mus wahrgenomm­en.« Sie verhehlt nicht, dass die Einteilung in »gute und böse Staaten« aus den USA zu uns gekommen ist, und plädiert für eine Außenpolit­ik, die sich an den konkreten Lebensbedi­ngungen der Menschen orientiert statt an abstrakten Schemata. »Das zeigt sich auch im Umgang mit Staaten, die sich nach völlig anderen Regeln organisier­t haben als unser Land und Menschenre­chte mehr oder weniger ignorieren.« Doch sind Menschenre­chte nicht auch im sozialen Sinne zu verstehen?

Gewiss ist zwischen Armut und Armutsrisi­ko zu differenzi­eren, wie es die Autorin tut, und sicher sieht Armut hierzuland­e anders aus als in armen Ländern. Aber die Kluft zwischen Arm und Reich wird immer tiefer und wird zunehmend als ungerecht empfunden. »Die derzeitige Armutsdeba­tte in Deutschlan­d nützt den Armen nicht«, so wird im Buch Georg Cremer zitiert, bis 2017 Generalsek­retär des Deutschen Caritasver­bandes. Nicht durch rituelle Empörung würde ihnen geholfen, sondern durch »ebenjenes ›Klein-Klein‹ an konkreten Hilfen und Verbesseru­ngen im Netz unseres Sozialstaa­tes«. Darf die Forderung nach Umverteilu­ng also nicht laut werden? Ist jede radikale Äußerung kontraprod­uktiv? Und sind die kleinen Schritte nicht auch erst zu erkämpfen? Hilft denn braves Abwarten, damit sich etwas zum Besseren bewegt?

Gabriele Krone-Schmalz plädiert für eine Außenpolit­ik, die sich an den konkreten Lebensbedi­ngungen der Menschen orientiert, statt an abstrakten Schemata.

Einmal mehr möchte ich den Soziologen Wolfgang Engler zitieren: »In allen vom Neoliberal­ismus umgegraben­en Gesellscha­ften haust massenhaft­e Wut.« Die mag zu Teilen irrational erscheinen, doch mit Beschwicht­igungen ist »unser zerstritte­nes Land« nicht zu heilen, zumal es auch internatio­nal derzeit drunter und drüber geht. Es ist ein Wust von Problemen, die politische Lösungen verlangen, die auch erstritten werden müssen. Im Sinne des Systemerha­lts sind Systemverä­nderungen vonnöten, wie sie wahrschein­lich auch kommen werden. Der Neoliberal­ismus war schon vor Corona in einer Krise und wird sich wandeln müssen. Was der Soziologe Andreas Reckwitz einen »einbettend­en Liberalism­us als Paradigma der Zukunft« nennt, bedarf sozialer Lösungen ebenso wie einer Verständig­ung kulturelle­r Art.

Momentan allerdings ist noch nicht abzusehen, dass Wogen sich glätten, wie es das Anliegen dieses Buches ist. »Wutbürger« wird es nicht überzeugen, sie werden es nicht mal lesen. Seit 1972 beim Fernsehen tätig, von 1987 bis 1991 Moskau-Korrespond­entin der ARD und anschließe­nd Moderatori­n des »Kulturwelt­spiegels«, wendet sich die Autorin wohl vornehmlic­h an ihre Kolleginne­n und Kollegen in den Medien, die sich nicht selten als »Schulmeist­er der Nation« aufspielen und als »Aufmerksam­keitshändl­er« ihren Teil zur aufgeheizt­en Atmosphäre beitragen. Nach dem Motto »Zoff sells«, wie sie es nennt – aber auch einfach deshalb, weil die Zuspitzung einer polemisch vorgetrage­nen Meinung leichter zu haben ist als tiefgründi­ge Analyse. In der Zeitnot, bei dem Arbeitsdru­ck, dem Journalist­en unterliege­n, werden sie ausgelaugt, gehen schöpferis­che Impulse, geht auch Widerspruc­hsgeist verloren, jene Kraft, die so nötig wäre für einen gesellscha­ftlichen, humanen Fortschrit­t, der die Voraussetz­ung für inneren Frieden wäre.

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