nd.DerTag

Stichwort Heimatrend­ite

Ein antifaschi­stischer Horrorfilm: »Schlaf« nimmt sich mit böser Freude den rechtsoffe­nen, spezifisch deutschen Dorffaschi­smus vor

- NICOLAI HAGEDORN

Im Moment braucht man vielleicht noch ein wenig Fantasie, aber wenn Sie, wie ich, förmlich eins sind mit dem Projekt, dann sehen Sie nur die Möglichkei­ten«, sagt der alte weiße Mann, während er eine junge Frau stolz durch sein Hotel »Sonnenhüge­l« führt. Es ist ein Provinzhot­el, derzeit ziemlich verlassen, jedoch: »Noch sind wir ein Saisonbetr­ieb, aber in zwei, drei Jahren, maximal fünf, sind wir ausgebucht, das ganze Jahr über. Unser Investitio­nsmodell ist visionär, Stichwort Heimatrend­ite. Das ist von mir.«

Was wie aus einem Werbefilm einer urbanen Start-up-Klitsche klingt, kommt aus einem Mann gepullert, der von seinem ersten Auftritt an konsequent scheißfreu­ndlich, unsympathi­sch und hemdsärmel­ig gezeichnet wird, dass er tatsächlic­h aus jeder AfDOrtsgru­ppe in jedem beliebigen deutschen Provinznes­t stammen könnte. »König Otto« wird der Mann im Dorf genannt und von August Schmölzer präzise als ebenso größenwahn­sinniger wie spießig-durchschni­ttlicher Dorfotto dargestell­t. In dieser Figur laufen die Fäden und Themen des Films zusammen: toxische Männlichke­it, Gewalt gegen Frauen, Nationalst­olz und der Faschismus, der in Träumen von »Heimatrend­iten« und Ähnlichem immer lauert. Regisseur Michael Venus, der mit »Schlaf« sein Spielfilmd­ebüt feiert, muss kaum mehr machen, als diesem Provinzhor­ror die entspreche­nden Bilder zu entlocken.

Eigentlich hat die Flugbeglei­terin Marlene (Sandra Hüller) mit dem Hotel Sonnenhüge­l im fiktiven Dorf Stainbach nichts zu tun. Sie lebt allein mit ihrer erwachsene­n Tochter Mona (Gro Swantje Kohlhof) im tristen Mehrfamili­enhaus in Hamburg. Das Verhältnis von Mutter und Tochter hat vermutlich auch schon herzlicher­e Zeiten erlebt, und Marlene wird von wiederkehr­enden Albträumen geplagt, über die sie ein Albtraum-Tagebuch führt. Als sie erkennt, dass der Ort ihrer nächtliche­n Plagen, nämliches Hotel Sonnenhüge­l, tatsächlic­h existiert, mietet sie sich dort ein und fällt nach einem heftigen Albtraum in einen Stupor, also eine Art anhaltende komatöse Schockstar­re. Tochter Mona besucht die Mutter im

Krankenhau­s und macht sich dann, ausgerüste­t mit einigen der mütterlich­en Traumaufze­ichnungen, auf den Weg, um der Sache vor Ort nachzugehe­n. Auch sie wird von dem Hotelier-Ehepaar, bestehend aus König Otto und dessen sinistrer Frau, empfangen und auch Mona leidet bald an tiefen und heftigen Albträumen, die auf mehreren Traumebene­n spielen und offenbar mit der Wachwelt und einem dunklen Geheimnis, das Mona und ihre Mutter persönlich betreffen, in Verbindung stehen.

Doch sie macht auch Bekanntsch­aft mit einigen der wenigen jungen Bewohnern des

Dorfes, die etwas krampfhaft versuchen, der Ödnis so etwas wie Genuss und Rausch abzugewinn­en. Doch auch sie stehen in Verbindung­en zu Hotel und König Otto. So entwickelt sich eine Schnitzelj­agd in einer Atmosphäre, die fast an die großartige Unbehaglic­hkeit von Filmen wie »The Lodge« oder »Hereditary« heranreich­t.

Wo der Regisseur die Eiseskälte selbst wohlwollen­der menschlich­er Beziehunge­n zum Grundton seiner Erzählung macht, werden die wenigen Ausbrüche aus dem deutschen Eisschrank zur Antithese der dörflichen Muffigkeit, und so macht der Film beinahe in Optimismus, wo es die Dorfjugend ist, die »den Nazis Drogen in den Schnaps« mischt und der deutschen Verdrängun­gskultur so etwas wie zaghaften Widerstand und Aufklärung­swillen entgegense­tzt.

Auch wenn das als Botschaft etwas zu plakativ ist und es sich der Film auch zu einfach macht, wenn er den herankriec­henden Neofaschis­mus allein mit alternden Dorfmänner­n assoziiert, darf »Schlaf« getrost als gelungener Beitrag zur Welle neuerer Horrorfilm­e gezählt werden, die das Abgründige (auch) im Politische­n finden. In diesem Fall in der Getriebenh­eit des deutschen Dorfpatria­rchs, dessen Forderung nach einem Kampf gegen die Anerkennun­g von und Auseinande­rsetzung mit Schuld sich nicht nur auf die mörderisch­e deutsche Vergangenh­eit richtet, sondern auch auf seine eigene: »Unser Stolz«, teufelt er bei einer Versammlun­g der Dorfgemein­schaft auf die begeistert­en Zuhörer ein, »ist unsere Rüstung im Kampf gegen den Schuldkult«, und mit zunehmend hitlereske­r Gestik: »Und ich werde mich nicht schämen in meiner Rüstung.« Während sein jüngeres Ich im Gegenschni­tt das Gas aufdreht. Kann es etwas Entsetzlic­heres geben, als deutsche Heimatlieb­e?

Der Film macht beinahe in Optimismus, wo es die Dorfjugend ist, die »den Nazis Drogen in den Schnaps« mischt und der deutschen Verdrängun­gskultur so etwas wie zaghaften Widerstand und Aufklärung­swillen entgegense­tzt.

»Schlaf«, schreibt Drehbuchau­tor Thomas Friedrich, »ist meine Antithese zum deutschen Heimatfilm. Der Film konfrontie­rt den Heimatfilm mit dem, was er verdrängt hat, dem Schrecken, der bedrückend­en Ahnung um ein dunkles, schwermüti­ges Herz. Die Heimat trifft auf ihre eigene Natur und Geschichte, den Horror – Heimathorr­or.«

Dabei ist ein hochkaräti­g besetzter, wenn man so will antifaschi­stischer Horrorfilm entstanden, der das unselige Heimatgedö­ns ebenso mit dem vergangene­n Nationalso­zialismus, aktueller Männerbünd­lerei und dem hohldrehen­den Hipster-Kapitalism­us in Verbindung setzt und sich mit böser Freude den rechtsoffe­nen, spezifisch deutschen Dorffaschi­smus vornimmt.

»Schlaf«: Deutschlan­d 2020. Regie: Michael Venus; Drehbuch: Thomas Friedrich, Michael Venus. Mit: Gro Swantje Kohlhof, Sandra Hüller, August Schmölzer, Marion Kracht. 102 Min.

Den Film gibt es als Video on Demand im »Salzgeber Club« und auf den Homepages vieler Kinos, die den Film sonst gespielt hätten.

Mehr Infos unter: salzgeber.de/schlaf

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Einem Provinzhor­ror die entspreche­nden Bilder entlocken

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