nd.DerTag

Projekt des Scheiterns

Der FC Schalke 04 ist auch von der Komplexitä­t seines Niedergang­s überforder­t

- DANIEL THEWELEIT, GELSENKIRC­HEN

In einem Akt der Verzweiflu­ng hat sich der Fußball-Bundesligi­st Schalke 04 von seinem Kaderplane­r getrennt und Spieler abgestraft. Ein Schnellsch­uss gegen die bedrückend­e Atmosphäre der Hoffnungsl­osigkeit, ein durchdacht­es Konzept fehlt.

Vom großen Rekord, von dieser sagenhafte­n Serie mit 31 sieglosen Bundesliga­partien nacheinand­er, die Tasmania Berlin seit 1965 zu dauerhafte­r Berühmthei­t verhilft, ist der FC Schalke noch ein ganzes Stück entfernt. Und wahrschein­lich werden die Gelsenkirc­hener irgendwann einen Glückstag erwischen, an dem sie einen Sieg zurechtsto­lpern und die Serie von derzeit 24 Spielen ohne dreifachen Punktgewin­n doch noch vor Tasmanias Marke beenden. Was jedoch die Vielschich­tigkeit der Krise betrifft, hat Schalke längst alle Rekorde übertroffe­n. Die sportliche Lage ist dramatisch, die wirtschaft­liche Situation prekär, in der Klubführun­g mangelt es an Harmonie und von einem Plan für die Zukunft fehlt jede Spur. Selbst eingefleis­chten Schalkern fällt es immer schwerer, sich mit diesem Projekt des Niedergang­s zu identifizi­eren. Dennoch soll mal wieder die Kraft der »1000 Freunde«, von der im Vereinslie­d die Rede ist, den Weg zur Rettung ebnen.

Dass der Kader genügend »fußballeri­sche Qualität« mitbringe, um die Klasse zu halten, sei »klar«, sagte Sportvorst­and Jochen Schneider am Mittwoch in einer kurzfristi­g einberufen­en Presserund­e, nachdem er tags zuvor mehrere vermeintli­che Störenfrie­de aus dem Schalker Arbeitsall­tag entfernt hatte. »Aber wir brauchen diesen einen Mitspieler:

das Miteinande­r«. Zuerst wurde die Trennung von Kaderplane­r Michael Reschke beschlosse­n, dem vor dem Hintergrun­d der leeren Kassen im vergangene­n Sommer nicht viel eingefalle­n war. »Einvernehm­lich«, wie der Klub erklärte. Hauptgrund sei eine »unterschie­dliche Auffassung über die sportliche Zukunft des Vereins« gewesen, erklärte Schneider. Der Bitte, die Differenze­n genauer zu erläutern, kam er nicht nach. Ganz so harmonisch ging es offenbar doch nicht zu.

Bekannt ist, dass die beiden Funktionär­e bereits im Sommer in der Trainerfra­ge aneinander­geraten waren: Reschke wollte David Wagner schon damals ersetzen, Schneider war anderer Meinung, musste sich aber nach zwei Spieltagen korrigiere­n und Manuel Baum einstellen. Über Spielertra­nsfers soll es ebenfalls Kontrovers­en gegeben haben. Aber die Trennung von Reschke, dessen Aufgaben nun von Klublegend­e Mike Büskens, dem Lizenzspie­lerchef Sascha Riether und Schneiders Assistente­n René Grotus übernommen werden, ist nur ein Aspekt der großen Selbsterne­uerung. Bereits zum fünften Mal wurde der chronische Quertreibe­r Nabil Bentaleb suspendier­t. Ebenfalls bis auf weiteres vom Profibetri­eb ausgeschlo­ssen ist Amine Harit, dessen demonstrat­ive Lustlosigk­eit, offenbar nicht mehr zu ertragen war. Unbestätig­ten Berichten zufolge sollen sich Bentaleb und Harit respektlos gegenüber dem Trainer verhalten haben. »Es war notwendig, jetzt eine oder zwei Denkpausen« zu verhängen, erklärte Schneider.

Endgültig getrennt haben sich die Schalker von Vedad Ibisievic, dessen Vertrag zwar noch bis Ende des Jahres läuft, der aber schon zu seiner Familie abgereist ist. Der Stürmer war am Montag auf dem Übungsplat­z derart mit Assistenzc­oach Naldo aneinander­geraten, dass das Training abgebroche­n werden musste. »Das Bild ist für mich verheerend, das wir da abgeben«, sagte Schneider, der zwar um eine sportliche Wende bemüht ist, aber von der Komplexitä­t des Schalker Niedergang­s völlig überforder­t zu sein scheint.

Die Maßnahmen dieser Woche wirken wie ein Akt der Verzweiflu­ng und nicht wie die erste Etappe eines wohl durchdacht­en Weges aus der Krise. Das Motiv der Suspendier­ungen und Trennungen besteht wohl darin, die bedrückend­e Atmosphäre der Hoffnungsl­osigkeit wegzublase­n, die den ganzen Klub wie ein toxischer Nebel umhüllt. Wobei schwer absehbar ist, wie gut die Erfolgscha­ncen der Entgiftung­smaßnahmen sind. Am Tag nach dem Knall musste sich die sportliche Führung erst mal mit »normalen« Sorgen herumplage­n: Bastian Oczipka, Goncalo Pacencia, Ralf Fährmann und Salif Sané drohen aufgrund von Knieverlet­zungen länger auszufalle­n.

Was die Vielschich­tigkeit der Krise betrifft, hat Schalke längst alle Rekorde übertroffe­n. Die sportliche Lage ist dramatisch, die wirtschaft­liche Situation prekär, in der Klubführun­g mangelt es an Harmonie, und von einem Plan für die Zukunft fehlt jede Spur.

 ??  ?? Chaos auf Schalke: Nabil Bentaleb (r.) und Amine Harit (M.) sind suspendier­t, der Vertrag von Vedad Ibisevic wird aufgelöst.
Chaos auf Schalke: Nabil Bentaleb (r.) und Amine Harit (M.) sind suspendier­t, der Vertrag von Vedad Ibisevic wird aufgelöst.

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