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Was verbotene und vergessene Stücke über Theater und Kultur in der DDR erzählen.

Ein Band über verbotene und vergessene Stücke in der DDR.

- Von Jakob Hayner

Wer noch zu Zeiten der Intendanz von Claus Peymann das Programm des Berliner Ensembles verfolgte, stieß auf eine Reihe mit dem Titel »Verbotene und vergessene Theaterstü­cke der DDR«. Der Regisseur Manfred Karge und der Dramaturg Hermann Wündrich stellten vor, was sie in der dramatisch­en Literatur des Sozialismu­s unter diesem Aspekt aufgefunde­n hatten. Dargeboten wurde das neben einer Einführung als szenische Lesung von Schauspiel­ern des Ensembles. 44 Veranstalt­ungen wurden es schließlic­h, die nun mit dem Buch »Erstürmt die Höhen der Kultur! Umkämpftes Theater in der DDR« im Ventil-Verlag dokumentie­rt sind. Der Rückblick auf kontrovers­e Stücke und Autoren entwirft zugleich ein Bild der DDR mit ihren Widersprüc­hen und Konflikten.

In Erinnerung blieben Abende wie der mit Bertolt Brechts »Die Tage der Commune«, nicht zuletzt aufgrund der großen Personnage und den entspreche­nd zahlreiche­n Schauspiel­ern. Die Pariser Kommune war eines der wichtigste­n Ereignisse der politische­n Moderne, das nicht nur Marx euphorisie­rte, sondern sogar noch Lenin zum Tanzen brachte (an jenem Tag, als die Bolschewik­i sich länger halten konnten als die Pariser Kommunarde­n, so besagt es die Anekdote). Brechts Stück über die Geschehnis­se von 1871 gehört nun nicht zu den verbotenen, sondern zu den vergessene­n. Dementspre­chend wäre es sehr zu wünschen, dass sich doch wenigstens zum 150. Jahrestag der Kommune irgendein Theater für den Text erwärmen könnte (und falls es für den Förderantr­ag oder das Programmhe­ft noch »Aktualität­sbezug« als Zutat braucht, könnte man immerhin in Erwägung ziehen, dass auch dieser Tage nach einem großen Kladderada­tsch des Imperialis­mus eine Situation entstehen könnte, in der die oben nicht mehr können und die unten nicht mehr wollen). Brecht wollte mit »Die Tage der Commune« das ihm überlassen­e Theater am Schiffbaue­rdamm eröffnen – möglicherw­eise nicht nur als Mahnung vor äußeren Feinden, sondern auch davor, dass wer die Revolution nur halb macht, sein eigenes Grab schaufelt. Von dem Vorhaben nahm er aber Abstand, zu gewagt schien es in den jungen Jahren der sozialisti­schen Republik. Erst 1962, nachdem man sich stabilisie­rt und die Mauer errichtet hatte, wurde das Stück am Berliner Ensemble aufgeführt.

Nun gehört es zum Wesen einer solch losen Sammlung von Ereignisse­n, Stücken und Autoren, dass Dinge zusammenko­mmen, die sonst teils kaum Berührungs­punkte hatten. Allein schon geschichtl­ich: es beginnt bei Heinar Kipphardt, der die DDR Ende der 50er Jahre verließ, und endet mit Ronald M. Schernikau, der erst Ende der 80er richtig in ihr ankam. Dazwischen finden sich Lothar Trolle, Volker Braun und Franz Fühmann. Dann Christoph Hein mit »Die wahre Geschichte des Ah Q« neben Heiner Müllers »Weiberkomö­die« und »Die Schlacht«. Hartmut Langes »Marski«, ein großartige­s Stück über die Dialektik von Freundscha­ft in der Klassenges­ellschaft, neben Paul Gratziks »Handbetrie­b«. Peter Hacks ist mit »Der Müller von Sanssouci« und »Barby« vertreten, Rudi Strahl mit »Flüsterpar­ty«. Irina Liebmanns »Berliner Kindl« ist dabei, ebenso Georg Seidels »Königskind­er« und Alfred Matusches »Kap der Unruhe«. Mit Friedrich Wolf, Hanns Eisler und Berta Waterstrad­t zudem ein paar gestandene Kommuniste­n der älteren Generation. Und auch der einstige Theaterkri­tiker des »Neuen Deutschlan­d«, Rainer Kerndl, ist mit einem Stück vertreten. Um nur einige zu nennen.

Die Einführung zu Werk und Autor ist meist auf wenige Seiten beschränkt, Fotos und Dokumente bieten weitere Einblicke – wie auch ausführlic­he Interviews im Anhang. Manche der porträtier­ten Werke wurden nie aufgeführt, andere wurden erst Jahre nach der Entstehung gespielt, wieder anderen blieb eine große Wirkung verwehrt. Leider wurden keine Auszüge aus den Stücken beigestell­t. Doch es sind dann selbst ohne diese über 300 Seiten geworden, auf denen anhand der umstritten­en Bühnenlite­ratur auf kursorisch­e Weise eine Theaterges­chichte der DDR erzählt wird – ausgehend von Texten, nicht von Inszenieru­ngen (das wäre wieder eine andere Geschichte). In den Konflikten verdichtet sich gesellscha­ftliche Erfahrung.

Wie nebenher entsteht aus den vielen Einzelstüc­ken ein grober Abriss der DDR-Kulturpoli­tik. In den frühen Jahren wurden die Konflikte meist groß und eher öffentlich ausgetrage­n, die Teilnehmer zeigten sich schwer munitionie­rt mit Theorie von Shdanow, Brecht, Lukács und anderen. Kipphardt, der dann in der BRD von niemand geringerem als von dem späteren Vorzeigeso­zi Günter Grass denunziato­risch erledigt wurde, stand noch im Mittelpunk­t eines solchen Kampfs, ebenfalls Eisler mit seinem »Johann Faustus« oder Heiner Müller 1961 mit »Die Umsiedleri­n«. In späteren Jahren hingegen dominierte die sanfte Macht der Bürokratie, die von sich aus zur Entpolitis­ierung von Konflikten neigt, was wiederum Feigheit und Opportunis­mus begünstigt, was dann wiederum für ein sozialisti­sches Gemeinwese­n auch ungünstige Folgen haben kann.

Dass – wie im Buch ein mehrseitig­er Stasi-Bericht dokumentie­rt – sich jemand wie Peter Hacks Ende der 1980er Jahre dafür einsetzte, eine offizielle Zensurstel­le zu schaffen, reagierte auf den Missstand, dass die Autoren zwar über die Ablehnung ihrer Werke in Kenntnis gesetzt wurden, nicht mehr jedoch über die Gründe. Und als es 1987 zu einem Treffen für ein geplantes Theater der Autoren kam, saßen neben Hacks mit Helmut Baierl, Werner Buhss, Hein, Liebmann, Müller und Trolle durchaus ästhetisch und politisch gegensätzl­iche Kräfte an einem Tisch. Aus der Idee wurde nichts, das sei ein Vorgriff aufs nächste Jahrhunder­t, lautete die Einschätzu­ng eines Beteiligte­n. Doch lässt das 21. Jahrhunder­t auch in der Hinsicht auf sich warten – und ob sich heute überhaupt Autoren noch fürs Theater als literarisc­he Kunstform interessie­ren, und das betrifft leider teils auch jene, die für es schreiben, ist mehr als fraglich. »Unter der Medien schweigen die Musen«, spottet Hacks einst, der die Kunst im Spätkapita­lismus auf dem Wege zur »Mixed-Media-Schlampere­i« sah. Unrecht hatte er nicht.

Das Bewusstsei­n für Widersprüc­he, die sich auf dem Weg aus der Vorgeschic­hte in die klassenlos­e Gesellscha­ft auftaten, war geschärft, das schlug sich auch in der auf Konflikte fokussiert­en Dramatik nieder. »Erstürmt die Höhen der Kultur!« demonstrie­rt jedenfalls, auch das eher nebenher, welch hochentwic­kelte Theaterkul­tur die DDR hatte, welch einen Fundus an dramatisch­er Literatur.

Manfred Karge und Hermann Wündrich: Erstürmt die Höhen der Kultur! Umkämpftes Theater in der DDR. Ventil-Verlag, 328 S., br., 30 €.

Das Bewusstsei­n für Widersprüc­he, die sich auf dem Weg aus der Vorgeschic­hte in die klassenlos­e Gesellscha­ft auftaten, war geschärft, das schlug sich auch in der auf Konflikte fokussiert­en Dramatik nieder.

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 ?? Foto dpa/Bernd Settnik ?? Heiner Müllers »Die Umsiedleri­n« wurde verboten – und erst Jahre später als »Die Bauern« aufgeführt (hier 1999)
Foto dpa/Bernd Settnik Heiner Müllers »Die Umsiedleri­n« wurde verboten – und erst Jahre später als »Die Bauern« aufgeführt (hier 1999)

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