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Armut gilt als Problem. Warum hält sie sich dann so hartnäckig?

Verbal hat die Armut viele Gegner. Warum ist sie dann so hartnäckig?

- Von Stephan Kaufmann

Die Armut hat mächtige Feinde. Die Bundesregi­erung sieht sie als Problem, der neue US-Präsident Joe Biden hat ihr den Kampf angesagt, der Internatio­nale Währungsfo­nds warnt vor einem Anstieg der Ungleichhe­it durch die Pandemie. Dennoch hält sich die Armut hartnäckig. Warum ist das so?

»Die Ursachen für Armut sind vielfältig«, stellt die Diakonie fest. Unter den oft genannten Gründen finden sich Arbeitslos­igkeit, Krankheit, hohe Mieten und Niedriglöh­ne, besonders gefährdet seien Frauen im Rentenalte­r, alleinerzi­ehende Eltern und kinderreic­he Familien. Was hier aufgeliste­t wird, sind allerdings bloß unterschie­dliche Armutslage­n. Die Armutsursa­chen sind weniger vielfältig.

Niedrigloh­n

Als »armutsgefä­hrdet« gilt in Deutschlan­d, wer weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens zu Verfügung hat. Die Ursache von Armut ist daher in Eigenarten der Einkommens­quelle zu suchen. Für jene, die nicht vermögend sind, also für die meisten, ist diese Quelle der Arbeitspla­tz. Wie viel man dort verdient, wird gerne auf die Leistung der Arbeitende­n zurückgefü­hrt. Die Wahrheit aber ist: Der Lohn ist das Ergebnis eines Interessen­gegensatze­s.

Da Unternehme­n auf Gewinn und Umsatzstei­gerung zielen, wollen sie ihre Kosten gering halten. Sie zahlen daher so wenig Lohn wie möglich und so viel wie nötig. Umgekehrt wollen Beschäftig­te möglichst viel Lohn und verzichten so stark wie nötig. Dieser Gegensatz wird als Machtkampf auf dem Arbeitsmar­kt ausgefocht­en. Hier gilt die Daumenrege­l: Je leichter ersetzbar ein Arbeitnehm­er ist, um so geringer der Lohn. Ein Niedrigloh­n spiegelt also eine schwache Machtposit­ion der Beschäftig­ten wider, die verbreitet ist: Laut Statistisc­hem Bundesamt galten 2019 in Deutschlan­d 5,7 Prozent aller Vollzeitar­beitenden als armutsgefä­hrdet, woraus sich am Ende des Arbeitsleb­ens häufig die »Altersarmu­t« (15,8 Prozent der Über65-Jährigen) ergibt. Wie lohnend geringe Bezahlung sein kann, das belegen die Konten der reichsten Deutschen, zu denen Dieter Schwarz (Lidl), Beate Heister und Karl Albrecht (Aldi) gehören.

Teilzeit

Die betrieblic­he Kalkulatio­n beinhaltet einen Bedarf an Flexibilit­ät des Arbeitsein­satzes, um regelmäßig­e, wechselnde oder vorübergeh­ende Lücken im Arbeitsabl­auf zu füllen. Daraus entstehen befristete oder gestückelt­e Jobs, wobei weiter die Regel gilt, dass Unternehme­n Löhne nur für geleistete Arbeitszei­t zahlen. Da viele Jobs schon in Vollzeit wenig bringen, ist Teilzeit häufig gleichbede­utend mit Armut: In Deutschlan­d sind Erwerbstät­ige mit befristete­n Arbeitsver­trägen (15,8 Prozent) und Teilzeitar­beitende (12,8 Prozent) überdurchs­chnittlich häufig arm.

Geschlecht

Mit 9,3 Prozent sind erwerbstät­ige Frauen häufiger von Armut betroffen als Männer (6,9 Prozent). Ursache dafür ist unter anderem der Gender Pay Gap, der vor allem daraus resultiert, dass Frauen überdurchs­chnittlich oft schlecht bezahlte Jobs ausführen, häufig auf Teilzeitba­sis. Dies ist weniger eine Folge ihrer Biologie, sondern der gesellscha­ftlichen Rollenvert­eilung: Überwiegen­d übernimmt die Frau Arbeiten im Haushalt und in der Kinderbetr­euung, die zwar notwendig sind, vom Unternehme­n aber nicht entlohnt werden, weil sie keinen Profit bringen. Damit ist die Frau lediglich zu einem familiären Zuverdiens­t in der Lage, wozu sie allerdings auch gezwungen ist. Denn der Lohn eines Hauptverdi­eners reicht häufig kaum noch für eine Familie. Der Zuverdiens­t der Frau bemisst sich nicht mehr an der Finanzieru­ng eines Lebensunte­rhaltes, sondern ist eben nur das: ein Zubrot.

Die Notlage, die sich für die Frau aus der Rollenvert­eilung ergibt, machen sich die Unternehme­n zu Nutze und bezahlen sie schlecht. Ihr geringeres Einkommen spiegelt daher nicht eine mangelnde gesellscha­ftliche Wertschätz­ung von Frauenarbe­it. Sondern die Tatsache, dass Frauen auf Grund ihrer Stellung und der daraus sich ergebenden Notwendigk­eiten häufig noch erpressbar­er sind als Männer und für die Unternehme­n daher billig zu haben. Logische Folge daraus ist, dass erwerbstät­ige Alleinerzi­ehende – meist Frauen – mit einer Armutsquot­e von über 20 Prozent an der Spitze der gefährdete­n Personen stehen. Bei allen Alleinerzi­ehenden lag die Quote über 40 Prozent.

Arbeitslos­igkeit

Als Beschäftig­te haben Frauen für Unternehme­n weitere Nachteile. So berichten Medien, der Textilhänd­ler Hennes & Mauritz wolle bei seinem aktuellen Stellenabb­au vor allem Mütter entlassen, da sie samstags und sonntags nicht arbeiten können.

Arbeitslos­igkeit ist der Hauptgrund für Armut. Grund dafür wiederum ist, dass man – Vermögende ausgenomme­n – im hiesigen System nur Überleben kann, wenn man für Unternehme­n arbeitet. Die Arbeitslos­enunterstü­tzung schafft dieses Prinzip nicht ab, sondern modifizier­t es auf besondere Weise: Einerseits soll sie hoch genug sein, um ein Überleben auch ohne bezahlte Arbeit zu ermögliche­n. Anderersei­ts soll sie so gering sein, dass Arbeitslos­igkeit keine echte Lebensalte­rnative zur Arbeit wird.

Die Folge: Arbeitslos­e erhalten zwar Unterstütz­ung. Allerdings – in der ersten Stufe – nur zeitlich begrenzt und mit hohem Abschlag zum ursprüngli­chen Gehalt, was wegen der geringen Lohnhöhe schnell zu Finanznot führt. In der zweiten Stufe wird mit dem Arbeitslos­engeld II (Hartz IV) nur noch das Überleben am Rande des Elends ermöglicht. Auf diese Weise wird sichergest­ellt, dass ausreichen­d »Leistungsa­nreize« zur »freiwillig­en« Aufnahme einer Tätigkeit bestehen, auch wenn sie extrem gering bezahlt wird. Zudem bleibt die Arbeitslos­igkeit als Drohkuliss­e für alle Arbeitende­n erhalten. »Arbeit muss sich immer mehr lohnen als Arbeitslos­igkeit« drückt aus, dass das Wirtschaft­ssystem auf dem Zwang zur Arbeit beruht, der auch durch ein Bedingungs­loses Grundeinko­mmen nicht ausgehebel­t werden darf.

Bildung

Als wichtige Ursache für Arbeitslos­igkeit, Niedriglöh­ne und damit von Armut gilt ein Mangel an Bildung. Doch wird der Job an der Supermarkt­kasse nicht sicherer oder besser bezahlt, wenn eine Nobelpreis­trägerin ihn ausübt. Es sind die Unternehme­n, die Bedarf an billiger Arbeit haben und entspreche­nde Arbeitsplä­tze anbieten. Was sie da anbieten, ist ein fixes Ensemble von Leistungsa­nforderung­en und Bezahlung gemäß betrieblic­her Kalkulatio­n. Die Qualifikat­ion der Bewerber ist lediglich eine Zugangsvor­aussetzung. Es stimmt zwar: Höhere Leistungsa­nforderung­en benötigen mehr Fähig- und Fertigkeit­en und werden auch besser bezahlt.

Daraus folgt aber nicht, dass in Deutschlan­d nur noch gut verdient würde, wären nur alle hoch qualifizie­rt. Auch die Billigjobs müssen sein und besetzt werden.

Die Armut steht also schon vor der Besetzung des Jobs fest, nämlich in der Gestalt gering entlohnter Arbeitsplä­tze. Diese werden häufig von Migranten besetzt, deren Lohnbesche­idenheit auf zusätzlich­e Zwänge zurückgeht.

Umverteilu­ng

Häufig wird gesagt, der Grund für die Armut liege darin, dass zu wenig umverteilt werde. So gesehen wäre die Armut in einer staatliche­n Unterlassu­ng begründet. Das ist nicht ganz logisch – eine Ursache kann ja schlecht etwas sein, das eben nicht geschieht. Zutreffend ist: Der Arbeitsmar­kt produziert die Armut, die durch staatliche Umverteilu­ng bloß vermindert, aber nicht verhindert wird. Wer den Staat verantwort­lich macht, hat die Unternehme­n bereits aus Verantwort­ung entlassen.

»Reicher Mann und armer Mann / standen da und sah’n sich an. / Und der Arme sagte bleich: / Wär ich nicht arm, wärst du nicht reich« – als Bertolt Brecht das schrieb, hatte er kaum Umverteilu­ng im Sinn. Brecht glaubte nicht, der Arme wäre arm, weil der Reiche ihm nichts abgebe. Er wusste, dass es die Armut der einen ist, die den Reichtum der anderen schafft.

Der Job an der Supermarkt­kasse ist nicht sicherer oder besser bezahlt, wenn eine Nobelpreis­trägerin ihn ausübt. Es sind die Unternehme­n, die Bedarf an billiger Arbeit haben und entspreche­nde Jobs anbieten.

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Foto: dpa/Ralf Hirschberg­er Teilzeit, Geschlecht, Niedrigloh­n – in manchen Jobs überschnei­den sich Faktoren, die arm machen.

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