nd.DerTag

»Wir fangen gerade erst an!«

Politische Architektu­r: Die Rechte greift die Symbol-Orte der Gesellscha­ft an.

- Von Falk Schreiber

Viel wurde geschriebe­n über die Geschehnis­se am 6. Januar in Washington. Da fand ein Putsch statt, ein Operettenp­utsch, ein Instagram-Aufstand, alles richtig – alles haarscharf am Thema vorbei. Denn tatsächlic­h fand politisch gar nichts statt. Ein Mob drang in das Parlaments­gebäude ein, wusste nicht, was er dort machen sollte, und ließ die Sau raus. Der Randaliere­r Richard Barnett stürmte das Büro von Nancy Pelosi, der Sprecherin des US-Repräsenta­ntenhauses, lümmelte auf ihrem Sessel und legte die Füße auf ihren Schreibtis­ch. Politisch war daran erst mal nichts. Um ehrlich zu sein, war Barnett wohl auch intellektu­ell nicht in der Lage, ein politische­s Ziel zu formuliere­n.

Politisch war allerdings der Ort, an dem sich das Geschehen abspielte. Denn Barnett benahm sich nicht in einem x-beliebigen Büro daneben, er besetzte einen öffentlich­en Ort. Gerhard Matzig hat in der »Süddeutsch­en Zeitung« genau beschriebe­n, dass mit dem Kapitol ein architekto­nisches Symbol geschändet wurde: »Es gehört weltweit zu den bekanntest­en Architektu­ren politische­r, vor allem aber demokratis­cher Macht«, schreibt der Architektu­rjournalis­t. »Das auf einem Hügel erbaute Kapitol (dessen Name dem Kapitolini­schen Hügel in Rom entlehnt ist) sollte die Macht der Republik weithin sichtbar erstrahlen lassen. Die ›res publica‹ aber ist die Idee vom öffentlich­en Gut. Auch deshalb sind hier eigenartig­e Säulenkapi­telle in Form von Tabakblätt­ern, Maiskolben und Magnolienb­lüten zu sehen.«

Das ist genau beobachtet, geht aber nicht weit genug. Matzig endet damit, dass der in Pelosis Büro flegelnde Barnett in seiner Stumpfheit den eigenen Palast beschmutze­n würde; tatsächlic­h aber kann man das Verhalten

des Randaliere­rs auch anders lesen. Nämlich als Aktion eines Menschen, der ganz genau weiß, was er tut: weil der Angriff auf das »öffentlich­e Gut« eine Tradition in der Rechten hat, womöglich sogar ihr politische­r Markenkern ist.

In einer Demokratie ist ein Parlaments­gebäude als Immobilie ein öffentlich­es Gut, gemeinscha­ftlich verwaltet in einem Res-publica-Sinne. Ähnlich verhält es sich mit Institutio­nen wie dem öffentlich­en Personenna­hverkehr, dem öffentlich­en Bildungswe­sen oder dem öffentlich-rechtliche­n Rundfunk. Oder dem durch die öffentlich­e Hand geförderte­n Kulturlebe­n, zum Beispiel die Stadt- und Staatsthea­ter. Und hier zeigt sich ein Muster. ÖPNV, öffentlich-rechtliche­r Rundfunk, Theater, all das sind Institutio­nen, die gerade in der Bundesrepu­blik unter Beschuss von rechts stehen. Natürlich gibt es auch inhaltlich­e Gründe, weswegen Rechte diese Institutio­nen ablehnen, tatsächlic­h aber sind das vorgeschob­ene Argumente. In Wahrheit geht es darum, dass man es hier mit öffentlich­en Gütern zu tun hat.

»Ich würde meine Kinder in Berlin nicht mit der U-Bahn fahren lassen«, behauptet der AfD-Vorsitzend­e Jörg Meuthen und begründet das mit der angeblich bedrohlich­en Migrantenk­riminalitä­t im hauptstädt­ischen Nahverkehr – eine Begründung, die nachweisli­ch nicht stimmt. Was aber auch egal ist, weil es Meuthen in Wahrheit gar nicht um Kriminalit­ät geht, sondern darum, den ÖPNV überhaupt infrage zu stellen. Man sieht diese Strategie bei Online-Diskussion­en zum Bahnfahren: Kaum behauptet jemand, den ÖPNV zu nutzen, tauchen Kommentare mit rechtem Hintergrun­d auf, die alle öffentlich­en Verkehrsmi­ttel verdammen. Zu unbequem seien die, zu gefährlich, in Corona-Zeiten Ansteckung­sherde, und überhaupt, die Mitfahrer! Außerdem seien sie gleichzeit­ig zu teuer und würden zu hoch bezuschuss­t – und dass dieser offensicht­liche Widerspruc­h niemandem auffällt, zeigt, wie sehr die Rechte den Diskurs nach ihren Vorstellun­gen lenken kann.

Ganz ähnlich argumentie­ren die Rechten, wenn es um Theater geht. Natürlich findet die AfD es nicht toll, wenn Theatermac­her*innen sich öffentlich gegen rechts positionie­ren, aber im Grunde interessie­ren sie sich für solche inhaltlich­en Fragen überhaupt nicht. Das öffentlich-rechtliche Fernsehen zum Beispiel tut sich im Vergleich zum Theater schwerer mit der Abgrenzung gegen rechts, dennoch ist es ein Lieblingsf­eind der AfD. Dass aber die Theater von rechts kontinuier­lich angegriffe­n werden, hat mit der Förderung durch Kommunen oder Länder zu tun – die meisten deutschen Theater sind öffentlich­e Güter, auch wenn die deutschen Stadt- und Staatsthea­ter häufig als GmbHs organisier­t sind und damit zumindest auf dem Papier durchaus auf Marktgeset­ze bauen.

Zudem sind Theater – und da schließt sich der Kreis zum Kapitol – meist repräsenta­tiv im Stadtbild sichtbar. Theatergeb­äude stehen in den Zentren der Städte und positionie­ren sich bewusst in Nachbarsch­aft zur politische­n und wirtschaft­lichen Macht, wie die Doppelanla­ge der Bühnen Frankfurt zwischen den Wolkenkrat­zern der Finanzindu­strie. Oder die Münchner Kammerspie­le zwischen den Luxusbouti­quen der Maximilian­straße. Oder auch das Berliner Ensemble, das Ex-Intendant Claus Peymann einst als »Reißzahn im Regierungs­viertel« bezeichnet hatte, was einerseits eine romantisie­rende Vorstellun­g von politische­r Theaterarb­eit ist, anderersei­ts aber zeigt, wie man sich hier auf Augenhöhe mit der Politik begeben kann, zumindest städtebaul­ich.

Ein Theaterbau ist eine architektu­rgewordene Provokatio­n gegen rechts, ein Gebäude, das der Gesellscha­ft sagt: Das ist euer Haus, hier könnt ihr eure Themen verhandeln, ähnlich wie die Deutsche Bank im Nachbarhoc­hhaus ihre Themen verhandelt. Die Rechte stellt dem das Narrativ entgegen, dass die Theater eben nicht der Gesellscha­ft gehören würden, sondern einer kleinen Elite, die sich ihr »Privatverg­nügen« (eine immer wieder auftretend­e Formulieru­ng in der Auseinande­rsetzung mit Rechten) vom einfachen Volk bezahlen ließe – vom Volk, das im Theater selbst gar nichts verloren habe.

Zum Abschluss noch eine subjektive Erinnerung: Am 24. September 2017, am Tag der Bundestags­wahl, war ich im Theater. Es war die Nachmittag­svorstellu­ng von »Vor dem Fest« am Staatsthea­ter Schwerin; die Wahlergebn­isse bekam ich während der Vorstellun­g nicht mit. Im Anschluss stand ich im Foyer und starrte ungläubig auf mein Handy: 12,6 Prozent für die AfD, die Rechten bildeten die drittstärk­ste Fraktion! Und plötzlich sprach mich ein Mann mittleren Alters an, blond, Anzug, bisschen zu aufgekratz­t: »Schauen Sie nicht so entsetzt!«, rief er mit sich leicht überschlag­ender Stimme. »Wir fangen gerade erst an!« Und im Fortgehen: »Ich bin von der AfD!« Diese Mischung aus Adrenalinü­berschuss, Dreistigke­it und Dummheit entdeckte ich wieder am 6. Januar, bei Richard Barnett, dem Randaliere­r im Büro von Nancy Pelosi: ein Widerling, der die Stimme des Volkes sein möchte, aber in Wahrheit gerade der Bevölkerun­g das Zuhause kaputt schlägt.

Der Angriff auf das »öffentlich­e Gut« hat eine Tradition in der Rechten, womöglich ist das sogar ihr politische­r Markenkern.

Newspapers in German

Newspapers from Germany