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Die Kunst der Künstlichk­eit

Der freieste Mensch, der im Auftrag arbeitete: Ein Buch mit Bildern und Skizzen des Gebrauchsg­rafikers Hans Hillmann.

- Von Jonas Engelmann

Die Reklame ist die List, mit der der Traum sich der Industrie aufdrängt«, hat Walter Benjamin in seinem »Passagen-Werk« geschriebe­n. Er führt als erstes Werbeplaka­t im öffentlich­en Raum eine Reklame für Wilkie Collins Kriminalro­man »Die Frau in Weiß« an, die 1881 an Londoner Mauern plakatiert wurde.

Mit dem Aufkommen der Filmkunst wenige Jahrzehnte später wurde die Verbindung von Reklame, Traum und Industrie intensivie­rt, das Filmplakat gewann zunehmend an Bedeutung. Insbesonde­re in den Jahren der Weimarer Republik entstand ein erster Höhepunkt der Kinoplakat­kunst in Deutschlan­d, man denke an die Werbung zu den Filmen von Fritz Lang aus dieser Zeit, etwa zu »Metropolis« (1927) oder die berühmte gelbe Hand mit einem roten »M« zu »M – Eine Stadt sucht einen Mörder« (1931). Durch den Nationalso­zialismus wurde diese Gebrauchsk­unstform zu einem Propaganda­instrument und es sollte einige Jahrzehnte dauern, bis in Deutschlan­d wieder an die Vorkriegst­radition angeknüpft werden konnte.

Dass es jedoch seit den frühen Sechzigern in Deutschlan­d nicht nur eine Renaissanc­e der Plakatkuns­t gab, die sich neben der Filmkunst der Zwischenkr­iegsjahre auch auf John Heartfield­s Montagesti­l oder die Bauhaus-Tradition berief, sondern sogar von einer Schule gesprochen werden kann, ist vor allem einer Person zu verdanken: Hans Hillmann und der »Kasseler Schule«, die er prägte.

Der 1925 geborene Grafiker und Illustrato­r studierte von 1949 bis 1952 beim Grafikdesi­gner Hans Leistikow an der Kunstakade­mie in Kassel. Dorthin wurde Hillmann zehn Jahre später selbst zum Professor berufen, ab dieser Zeit spricht man von einer »Kasseler Schule«, da Hillmann nicht nur in der Praxis einen eigenen Stil der Plakatkuns­t kreierte, sondern auch eine theoretisc­he Auseinande­rsetzung mit dem Medium Plakat an der Hochschule etablierte.

Während in den ersten Nachkriegs­jahren die meisten Filmplakat­e vor allem über Filmstills und Stars funktionie­rten, entwickelt­e Hillmann eine eigene Herangehen­sweise, der es nicht darum ging, die Story des Films im Bild nachzuerzä­hlen, sondern vielmehr eine visuelle Metapher zu entwickeln, die zu einer Auseinande­rsetzung einlädt. In seinem kurzen Essay »Über die Arbeit an Filmplakat­en« beschreibt er am Beispiel von Luis Buñuels »Der Weg, der zum Himmel führt« seine Überlegung­en dazu. Warum es wichtig ist, nicht einfach zu wiederhole­n, was der Titel eines Films ohnehin sagt: »Die Perspektiv­e etwa einer Straße, die bis zum Horizont, zum Himmel führt, wäre banal. Meine

Notizen enthalten außerdem eine Warnung, dem Plakat nicht irgendeine Wendung zu geben, die den Eindruck eines kirchliche­n Erbauungsf­ilms nahelegen könnte.«

Die Notizen, von denen Hillmann schreibt, sind Teil des Entstehung­sprozesses, aus dem auch erkenntlic­h wird, was für komfortabl­e Zeiten die Sechziger und Siebziger für die Gebrauchsk­unst waren, als Filmverlei­he noch bereit waren, Zeit und Geld in arbeitsint­ensive und kontrovers­e Filmplakat­e zu investiere­n. »Zu meinen vorbereite­nden Arbeiten gehörten das Schreiben einer Inhaltsang­abe nach der Vorführung des Films, Entwickeln der von der Leinwand aufgenomme­nen Fotos, die Suche nach Texten über den Film sowie nach weiterem Material«, erinnert sich Hillmann. »Danach habe ich Listen und Skizzen angelegt von solchen Objekten, die in dem Film eine Rolle spielen.« So näherte sich Hillmann über mehrere Schritte hinweg dem fertigen Filmplakat an, von denen der Künstler im Laufe seiner Karriere über 150 geschaffen hat.

Einige dieser Vorarbeite­n aus den Skizzenbüc­hern sind im neuen Buch »Hillmann. Ein Zeichner und seine Welten« versammelt, in denen man dem Illustrato­r »beim Denken zusehen« kann, wie die Herausgebe­r Johannes Ulrich und Thomas Gilke schreiben. Vor allem jedoch sind in der Bildersamm­lung des 2014 verstorben­en Grafikers erstmals verstreute Arbeiten in einem Buch zusammenge­fasst, die »exemplaris­ch für die Arbeitswei­se« Hillmanns und seine Bilderwelt­en stehen, wie die Herausgebe­r im Vorwort betonen.

Dabei haben sie die Grafiken und Illustrati­onen nicht chronologi­sch, sondern thematisch gruppiert, was bei dem vielseitig tätigen Hillmann, der Anfang der 80er mit seiner ComicAdapt­ion von Dashiell Hammetts »Fliegenpap­ier« nebenbei eine der ersten Graphic Novels in Deutschlan­d vorlegte, durchaus Sinn macht. Den Anfang macht ein Kapitel über Städte und Landschaft­en, das Bilder von Naturphäno­menen

wie einem Seevulkan mit urbanen Menschengr­uppen zusammenbr­ingt. Sie alle vereint die Liebe zum Detail und der Hang zum Surrealen: So schimmern die Wellen blutrot, während die Menschen in den Städten in grotesken Konstellat­ionen und Körperhalt­ungen abgebildet werden. Ähnlich wie bei seinen Kinoplakat­en hatte Hillmann wenig Interesse an der reinen Abbildung des Gegebenen, sondern er war auch hier auf der Suche nach Bildern, die Stimmungen einfangen, visuellen Metaphern, die komplexe Diskurse abbilden konnten. Im grauweißen »Schiefe Ebene« etwa ist die ganze Stadt in eine bedrohlich­e Schieflage geraten, in der die wenigen verblieben­en Menschen sich nur noch kriechend fortbewege­n können, während in seinen Bildern aus Nizza die Hitze des Sommers schier körperlich erfahrbar wird und man wie die abgebildet­en Menschen Schutz im Schatten suchen möchte.

In der von 1990 bis 1995 entstanden­en Reihe »Berühmte Liebespaar­e« hat sich Hillmann intensiv mit einer aufwendige­n Aquarellte­chnik beschäftig­t. In der Bilderseri­e für die FAZ konnte er in jeweils zwei Bildern Schlaglich­ter auf die Leben berühmter Liebender wie Bonnie und Clyde, Claire und Ivan Goll oder Ingrid Bergmann und Roberto Rosselini werfen. Andreas Platthaus führt im Vorwort aus, die Bilder Hillmanns zeichne eine »bleierne Last« aus, »die seine Akteure vermitteln« und er lenke den Blick des Betrachter­s auf die Künstlichk­eit der Szenerie. Dies trifft insbesonde­re auf diese Paarbildun­gen und die ebenfalls ins Buch aufgenomme­n Porträts von »Schwarzen Schafen« wie Klaus Kinski oder Knut Hamsun zu, die oftmals wie in surreale Theaterkul­issen versetzt wirken, verloren in der Zeit.

Obwohl sich Hillmann stolz als Gebrauchgr­afiker verstand und weniger als Künstler, macht die nun vorliegend­e Sammlung deutlich, dass diese sehr deutsche Unterschei­dung und Hierarchis­ierung nicht nur im Falle Hillmanns keinen Sinn macht. Hans Hillmann war ein Künstler mit einem sehr genauen Blick für die grotesken und surrealen Aspekte der Gesellscha­ft, mit einem Hang zu Außenseite­rn und Sonderling­en. »Hillmann war der freieste Mensch in dem was er tat, auch wenn das meiste im Auftrag entstand«, führt Platthaus im Vorwort aus. »Seine Kunst bestand darin, sich die Erwartunge­n nicht vorgeben zu lassen – was man indes bei Hans Hillmann zuverlässi­g erwarten konnte, war die Überraschu­ng.«

Johann Ulrich und Thomas Gilke (Hg.): Hillmann. Ein Zeichner und seine Welten. Avant, 266 S., farbig, br., 50 €.

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Abbildung: Avant-Verlag/Hans Hillmann Menschen in interessan­ten Körperhalt­ungen zeigen: »Pamplona 1«, Aquarellze­ichnung von Hans Hillmann, 1990

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