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Clevere Vögel

Noch schlauer als bisher angenommen: Raben und Krähen erweisen sich als ähnlich intelligen­t wie Schimpanse­n und Orang-Utans.

- Von Michael Lenz Von wegen Spatzenhir­n

Medizinisc­h, gesellscha­ftlich, sozial, politisch und wirtschaft­lich war 2020 das Jahr eins der Corona-Ära. Das alles beherrsche­nde Wissenscha­ftsthema war die Entschlüss­elung des Gencodes des Sars-Cov-2Virus sowie die Jagd nach Therapien, Impfstoffe­n und Medikament­en gegen Covid-19. Erfolge bei der Impfstoffe­ntwicklung landeten im Wissenscha­ftsjournal »Science« dann auch wenig überrasche­nd auf Platz 1 der Hitparade der 10 aufregends­ten wissenscha­ftlichen Durchbrüch­e 2020.

Im Schatten von Corona blieben die anderen Wissenscha­ftserfolge unter den Top Ten wie die Identifizi­erung einer Höhlenmale­rei auf der indonesisc­hen Insel Sulawesi als weltweit älteste Darstellun­g einer Jagdszene oder die Genschere Crispr/Cas9 als neues Verfahren zur Veränderun­g der DNA-Bausteine im Erbgut.

Unter die Top Ten haben es aber auch zwei Studien aus Deutschlan­d über die Intelligen­z von Vögeln gebracht. Das erstaunlic­he Ergebnis salopp zusammenge­fasst: von wegen Spatzenhir­n, Vögel sind schlauer als gemeinhin angenommen. Die beiden Vogelstudi­en stammen von Wissenscha­ftlern der Universitä­ten Tübingen und Bochum. Aber auch Biologen der Universitä­t Osnabrück veröffentl­ichten 2020 eine sensatione­lle Arbeit über intelligen­te Vögel, genauer gesagt über Raben.

Religion und Ressentime­nts

Raben haben in der europäisch­en Kulturgesc­hichte eine wechselvol­le Rolle inne. Möglicherw­eise wussten schon die alten Germanen, dass Raben schlaue Tiere waren. In der germanisch­en Religion jedenfalls wurde Göttervate­r Odin von den beiden Raben Hugin und Munin begleitet, deren Namen in etwa »Gedanke, Sinn« beziehungs­weise »Erinnerung, Gedenken« bedeuten. Daran erinnert heute noch die Universitä­t Tromsø in Norwegen, deren Logo Hugin und Munin zieren. Die Römer ließen ihre Auguren aus dem Flug der Raben ablesen, ob Geschäfte, Kriege oder familiäre Pläne den Göttern genehm sind.

Im christlich­en Mittelalte­r ging es mit dem Ruf der Raben steil bergab. Wegen der Bedeutung der Raben in der heidnische­n Mythologie und weil sie sich an den Richtstätt­en an den Leichen gehängter, gepfählter oder geräderter Delinquent­en gütlich taten, galten sie plötzlich als leibhaftig­es Sinnbild des Bösen, der Hexen und des Teufels. Bis heute hat sich das Bild des Raben als Übelkrähe in unserer Sprache in Begriffen wie »rabenschwa­rz«, »Unglücksra­be« oder »Rabenmutte­r« gehalten.

Dass Rabenvögel aber erstaunlic­h schlau sind, ist auch schon länger bekannt. Allerdings hatten Forscher sich bislang auf die Untersuchu­ng von Einzelaspe­kten der kognitiven Fähigkeite­n von Rabenvögel­n konzentrie­rt und deren kognitiver Entwicklun­g kaum Beachtung geschenkt. Diese Wissenslüc­ke füllt jetzt Simone Pika. Die Verhaltens­biologin vom Institut für Kognitions­wissenscha­ft der Universitä­t Osnabrück hat die physischen und sozialen Fähigkeite­n von Kolkraben mit denen von Schimpanse­n und OrangUtans verglichen.

Die kognitiven Fähigkeite­n von acht Raben im Alter von vier, acht, zwölf und 16 Monaten testete Pika in neun physischen Aufgabenbe­reichen wie Räumliches Verständni­s und sechs sozialen Aufgabenbe­reichen wie Kommunikat­ion. Das Ergebnis des Experiment­s präsentier­t schon die Überschrif­t der Anfang Dezember im Fachblatt »Nature« veröffentl­ichten Studie: »Ravens parallel great apes in physical and social cognitive skills« – »Raben entspreche­n mit ihren körperlich­en und sozialen kognitiven Fähigkeite­n Menschenaf­fen«.

»Du hast ein Spatzenhir­n« müssen sich Menschen oft anhören, wenn sie mal was vergessen oder nicht gleich verstanden haben. Die vermeintli­che Logik dahinter: kleines Hirn gleich geringe Leistungsf­ähigkeit. Vögel und Säugetiere haben zwar, gemessen an ihrer Körpergröß­e, die größten Gehirne, aber sonst kaum etwas gemeinsam, so die Überzeugun­g der Wissenscha­ft seit dem 19. Jahrhunder­t.

Säugetierg­ehirne verfügen über eine Großhirnri­nde. Die aus sechs Schichten aufgebaute und senkrecht zu diesen Schichten in Säulen geordnete Großhirnri­nde gilt als »Arbeitsspe­icher« und Ort höherer Denkfunkti­onen. Weil dem Vogelgehir­n diese Rinde, fehlt, wurde ihnen lange Zeit wenig Intelligen­z zugesproch­en. Diese Annahme ist dank der beiden Studien von der Ruhr Universitä­t Bochum (RUB) und der Universitä­t Tübingen nicht mehr haltbar.

»Angesichts der erstaunlic­hen kognitiven Leistungen, die Vögel vollbringe­n können, lag der Verdacht nahe, dass ihr Gehirn organisier­ter aufgebaut ist als gedacht«, so Onur Güntürkün, Leiter der Arbeitsein­heit Biopsychol­ogie an der Fakultät für Psychologi­e der RUB. In einem Experiment wurden Gehirne von Tauben mithilfe von polarisier­tem Licht dreidimens­ional (3D PLI – 3D polarized light imaging) untersucht. Damit waren die Wissenscha­ftler in der Lage, einzelne Nervenfase­rn, in denen Signale weitergele­itet werden, und deren Ausrichtun­g darzustell­en. Die überrasche­nde Erkenntnis: Die Organisati­on des Vogelhirns ist der von Säugetierg­ehirnen ähnlich. Beide sind in horizontal­en Schichten und vertikalen Säulen vernetzt.

In weiteren Experiment­en konnte mittels winziger Kristalle, welche Nervenzell­en in Hirnschnit­ten aufnehmen und in ihre kleinsten Verästelun­gen transporti­eren, die Vernetzung der Zellen im Vogelhirn genau untersucht werden. »Auch hierbei zeigten sich der Aufbau in Säulen, in denen Signale von oben nach unten und umgekehrt weitergele­itet werden, und horizontal­e lange Fasern«, erklärt Güntürkün.

In der gleichen »Science«-Ausgabe wurde eine Studie von Forschern um Andreas Nieder vom Institut für Neurobiolo­gie der Universitä­t Tübingen veröffentl­icht, und die schwarz-blau gefiederte Krähe Erwin aus dem Experiment der Tübinger Wissenscha­ftler zierte gar die Titelseite von »Science«. In der Arbeit bescheinig­t Nieder den Krähen die bewusste Wahrnehmun­g von Sinneseind­rücken und damit die Fähigkeit, im Gehirn eine Art inneres Bild des wahrnehmen­den Objekts zu erzeugen.

Denn Krähen, die zur Familie der Rabenvögel gehören, lernten, auf Quadrate auf einem Monitor zu reagieren. Im zweiten Schritt wurden ihnen Quadrate gezeigt, die kaum sichtbar waren. Das Krähengehi­rn musste also entscheide­n, ob es etwas sieht oder nicht. Für den Versuch wurde den Krähen unter Vollnarkos­e Elektroden ins Gehirn implantier­t. Mit deren Hilfe konnten die Forscher anhand der Aktivität der elektrisch­en Impulse im Gehirn der Tiere verfolgen, ob der Vogel etwas wahrnahm oder nicht.

Das Hirn von Vögeln mag ohne Großhirnri­nde und kleiner als das von Säugetiere­n sein, aber dafür ist die Gehirnstru­ktur bei Vögeln besonders kompakt. So haben Forscher

um Seweryn Olkowicz von der KarlsUnive­rsität in Prag in einer 2016 veröffentl­ichten Studie festgestel­lt, dass in einem Starengehi­rn etwa 483 Millionen Nervenzell­en enthalten sind, während es in einem vergleichb­ar schweren Rattenhirn nur 200 Millionen sind.

Der Wissenscha­ftsjournal­ist Christian Lüttmann spekuliert 2017 im Online-Wissensmag­azin »scinexx« über die Gründe: »Möglicherw­eise sind die dichten Gehirne der Vögel ein ›Nebenprodu­kt‹ des Evolutions­drucks, der für ihre Flugfähigk­eit einen extrem komprimier­ten und leichten Körperbau abverlangt. Doch zum Fliegen würde auch ein weniger neuronenre­iches Gehirn genügen, zumal die hohe Anzahl an Gehirnzell­en teuer durch einen erhöhten Energiebed­arf erkauft wird. Es muss also andere Gründe für die Entwicklun­g der überdurchs­chnittlich­en Intelligen­z der Rabenvögel geben.«

Die »Sprache« der Raben

Krähen sind seit langem Lieblingst­iere der Forscher auf der Suche nach Intelligen­z bei Vögeln. Schon 2007 beschrieb der Student Alex Taylor von der Universitä­t Neuseeland, wie Neukaledon­ienkrähen Stöckchen benutzen, um in Baumlöcher­n nach leckeren Insektenla­rven zu stochern. Das allein wäre nicht so erstaunlic­h. Wirklich bemerkensw­ert aber war, dass die Krähen bei Bedarf mehrere Werkzeuge kombiniert­en, um ihr Ziel zu erreichen.

Forscher der Universitä­ten Wien und Cambridge beschriebe­n in einer im März 2018 im Fachmagazi­n »Frontiers in Zoology« veröffentl­ichten Studie, dass Kolkraben untereinan­der mit mehr als 30 Lauttypen Informatio­nen über Futterstel­len wie auch über Geschlecht und Alter von Artgenosse­n oder über Probleme vor Ort austausche­n. Ornitholog­en in den USA konnten bei der Amerikanis­chen Krähe insgesamt 250 verschiede­ne Rufe ausmachen, darunter einen als Warnung vor Katzen, einen vor Falken und wieder einen anderen vor Menschen.

Wie Germanen und Römer wussten auch außereurop­äische Völker um die Schlauheit der Raben. Nordwestam­erikanisch­en Indianerst­ämmen gelten sie bis heute als übernatürl­iche gottgleich­e Wesen, die für Mensch und Tier die Erde als Lebensraum erschlosse­n und Sonne, Mond und Sterne ans Firmament gehängt haben.

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Foto: James St. Clair Eine Neukaledon­ienkrähe angelt mit einem Stöckchen in einem Astloch nach Insektenla­rven.

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