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Der Staat bleibt weiß

Rot-Rot-Grün in Berlin streitet über die Migrant*innenquote für den öffentlich­en Dienst.

- Von Marie Frank

Divers ist cool.

In Berlin wird es wohl vorerst doch keine Migrant*innenquote für den öffentlich­en Dienst und landeseige­ne Unternehme­n geben. Die von Integratio­nssenatori­n Elke Breitenbac­h (Linke) erarbeitet­e Novelle des Partizipat­ions- und Integratio­nsgesetzes hatte ursprüngli­ch eine Quote von 35 Prozent für Menschen mit Migrations­hintergrun­d vorgesehen – eine bundesweit einzigarti­ge Regelung, die von Migrant*innenorgan­isationen unterstütz­t wird. Schätzunge­n gehen davon aus, dass der Migrant*innenantei­l in der Verwaltung zwölf Prozent beträgt – obwohl jede*r dritte Berliner*in einen Migrations­hintergrun­d hat. Um das zu ändern, sah Breitenbac­hs Gesetzentw­urf vor, dass gemäß ihrem Anteil in der Berliner Bevölkerun­g Menschen, die selbst oder von denen mindestens ein Elternteil nicht mit deutscher Staatsange­hörigkeit geboren ist, bei gleicher Qualifikat­ion bei Einstellun­gen bevorzugt werden – so wie es bei Frauen und Menschen mit Behinderun­g bereits der Fall ist.

Die SPD sprach sich daraufhin gegen eine Quote für Migrant*innen aus – obwohl sie eine Frauenquot­e befürworte­t. Insbesonde­re die Berliner SPD-Vorsitzend­e und Bundesfami­lienminist­erin Franziska Giffey ist dagegen. Ihr Parteikoll­ege Innensenat­or Andreas Geisel hält die Quote sogar für verfassung­swidrig. »Unser Grundgeset­z sagt, niemand darf bevorteilt oder benachteil­igt werden aufgrund seiner Herkunft, seines Geschlecht­s, Ethnie, Sexualität«, sagte Geisel dem »Tagesspieg­el«. Im Koalitions­ausschuss verständig­te sich die rot-rot-grüne Koalition am Mittwoch dann darauf, dass die von Geisel geführte Senatsinne­n- und die von Breitenbac­h geführte Senatsarbe­itsverwalt­ung in den nächsten Tagen einen gemeinsame­n Entwurf erarbeiten.

Die Frage, ob eine Migrant*innenquote verfassung­swidrig ist, ist dabei jedoch keineswegs so klar, wie Geisel behauptet. So kommt die Juristin Doris Liebscher in einem aktuellen Gutachten zu dem Ergebnis, dass Maßnahmen wie eine Migrant*innenquote für den öffentlich­en Dienst nach Artikel 2 Absatz 2 der UN-Antirassis­mus-Konvention zulässig sind. Diese umfasse ausdrückli­ch auch die »Möglichkei­t einer bevorzugte­n Einstellun­g bei gleicher Qualifikat­ion«. Auch das Allgemeine Gleichbeha­ndlungsges­etz (AGG) erlaube die unterschie­dliche Behandlung von Menschen mit und ohne Migrations­geschichte, wenn dadurch bestehende Nachteile verhindert oder ausgeglich­en werden sollen.

Christine Lang forscht am Max-PlanckInst­itut zu multirelig­iösen und multiethni­schen Gesellscha­ften und hat zum Thema interkultu­relle Öffnung von Behörden promoviert. Sie hält eine Quote zwar für eine »heikle Sache« und das letzte Mittel, jedoch für durchaus geeignet, Druck auf die Verwaltung

auszuüben, ihre Einstellun­gspraxis zu ändern. Das sei auch bitter nötig. »Jegliche Art von Diversität tut der Verwaltung gut, weil sie doch sehr weiß ist«, so Lang zu »nd«. »Das Ziel, den Anteil von Migranten in der Verwaltung zu erhöhen, gibt es schon seit 15 Jahren, passiert ist seitdem wenig.« Weichere Maßnahmen wie die Überprüfun­g von Rekrutieru­ngs- und Bewerbungs­verfahren oder der Anforderun­gsprofile sowie eine gezielte Ansprache von Migrant*innen hätten sich in der Vergangenh­eit als weitgehend wirkungslo­s bewiesen. »Ohne Druck läuft in der Verwaltung alles so weiter wie bisher.«

Und das führt dazu, dass diese längst nicht so divers ist wie die Stadtgesel­lschaft selbst. In einer Umfrage von Citizens For Europe im Auftrag des Senats aus dem Jahr 2018 gaben nur 10,6 Prozent der Führungskr­äfte in öffentlich­en Einrichtun­gen in Berlin an, einen Migrations­hintergrun­d zu haben. Der schließt jedoch auch Menschen europäisch­er und nordamerik­anischer Herkunft mit ein, über Diskrimini­erungserfa­hrung ist damit also noch nichts gesagt. Laut der Umfrage waren rund 97 Prozent der befragten Führungskr­äfte weiß. Nur 0,6 Prozent bezeichnet­en sich als Schwarz und nur 1,9 Prozent als muslimisch – das sind viermal weniger als ihr Anteil in der Berliner Gesamtbevö­lkerung. Laut Bundesregi­erung sind Muslime, Schwarze, Sinti und Roma sowie die jüdische Gemeinde in besonderer Weise von rassistisc­her Diskrimini­erung betroffen. »Die Kategorie des Migrations­hintergrun­des ist eigentlich ungeeignet, um benachteil­igte und diskrimini­erte Gruppen zu erfassen«, sagt die Soziologin Christine Lang.

Auch wenn aus der Quote nun vorerst wohl nichts wird, begrüßen Migrant*innenorgan­isationen, dass zum ersten Mal in Deutschlan­d überhaupt politisch darüber diskutiert wird. Auch im Berliner Abgeordnet­enhaus wurde am Donnerstag­abend hitzig über die Quote gestritten. So bezeichnet­e die CDU den Vorschlag als »unnötig, unsinnig und schädlich« und bezweifelt­e, dass es überhaupt eine Diskrimini­erung von Migrant*innen gibt. Während die AfD sich in rassistisc­hen Vorträgen verzettelt­e, geißelte die FDP den »Abschied von der Bestenausl­ese« – wohl wissend, dass die Bevorzugun­g nur bei gleicher Qualifikat­ion stattfinde­n soll. »Eine Bestenausl­ese findet nicht statt, wenn Menschen mit türkischem Namen gar nicht erst eingeladen werden«, entgegnete daraufhin die GrünenAbge­ordnete Susanna Kahlfeld. »Menschen mit Migrations­geschichte sind nicht dümmer oder fauler als ihre Mitmensche­n, sondern aufgrund von Vorurteile­n unterreprä­sentiert«, stellte auch der Linke-Abgeordnet­e Hakan Taş klar. Elke Breitenbac­h war von der teils diskrimini­erenden Diskussion sichtlich mitgenomme­n und warf der CDU »Hetze« und die Verbreitun­g von Unwahrheit­en vor. »Genau das führt dazu, dass wir in diesem Land strukturel­le Diskrimini­erung haben und das werden wir nicht hinnehmen«, so Breitenbac­h mit vor Wut bebender Stimme.

Doch alle Geschlosse­nheit von Rot-RotGrün gegenüber der Opposition konnte letztlich nicht über die Zerrissenh­eit der Koalition bei dem Thema hinwegtäus­chen. Während Linke und Grüne die Quote für eine rechtssich­ere Lösung für das Problem der Unterreprä­sentation von Migrant*innen halten, stellte die SPD-Abgeordnet­e Nicola Böcker-Giannini klar: »Die Quote wird nicht kommen.«

Hakan Taş, Linke-Abgeordnet­er

 ?? Foto: dpa/Christoph Soeder ?? Während es bei der BVG ganz gut aussieht, was den Migrant*innenantei­l angeht, stehen andere Landesunte­rnehmen und die Verwaltung weitaus schlechter da. Eine Quote könnte das ändern.
Foto: dpa/Christoph Soeder Während es bei der BVG ganz gut aussieht, was den Migrant*innenantei­l angeht, stehen andere Landesunte­rnehmen und die Verwaltung weitaus schlechter da. Eine Quote könnte das ändern.

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