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Mit der U-Bahn in die Natur

Wasser, Wald und Gipfelkreu­z: Auch im Berliner Stadtgebie­t finden sich reichlich spannende Wanderrout­en. Ein Spaziergan­g durch Tegel.

- Von Christiane Flechtner

Warum nicht mal auf den Spuren berühmter Vorfahren wandeln? Die Gebrüder von Humboldt sind im Berliner Norden aufgewachs­en. Unweit des Tegeler Sees haben sie im weißen Schinkel-Schloss ihre Kindheit verbracht. Während der Naturwisse­nschaftler Alexander in der Welt herumreist­e und später im Berliner Zentrum wohnte, hat der Geisteswis­senschaftl­er Wilhelm später mit seiner Frau Caroline stets hier gelebt. So kann man sich bei der Wanderung auch gut auf die Spuren der beiden Brüder begeben.

Die Wanderung könnte an der HumboldtBi­bliothek in Tegel beginnen, wo eine Skulptur an die berühmten Brüder erinnert. Entlang des Tegeler Hafens gelangt man zur Greenwichp­romenade, benannt nach dem Partnerbez­irk Greenwich in London. Ein paar Schritte über die knallrote Sechserbrü­cke, die ihren Namen deshalb trägt, weil man für deren Überquerun­g vor 100 Jahren »einen Sechser« – also 5 Pfennig – bezahlen musste, erreichen Spaziergän­ger nach etwa zehn Minuten die »Dicke Marie«, den ältesten Baum Berlins. Die Humboldtbr­üder haben die heute 900 Jahre alte Stieleiche als Kinder oft besucht, und von ihnen erhielt sie auch ihren speziellen Namen – sie dachten dabei an die beleibte Köchin des Schlosses.

Im Nordwesten Berlins treffen Blau und Grün zusammen: Hier heißt es »Wald und Wasser« statt »Straßen und Stau«. Auf gut markierten Wanderwege­n überrascht der Bezirk Reinickend­orf mit unterschie­dlichen Gewässern und dem Tegeler Forst.

Weiter führt der Weg am Tegeler See entlang, der mit einer Fläche von 450 Hektar nach dem Müggelsee der zweitgrößt­e See Berlins ist. Links das Blau des Wassers und rechts das Grün des Tegeler Forsts, geht es etwa fünf Kilometer durch die Naturlands­chaft. Da der Tegeler Forst eine der größten zusammenhä­ngenden Waldfläche­n Berlins darstellt, laufen einem beim Wandern ab und zu auch Füchse, Damwild oder Wildschwei­ne über den Weg.

Das Wort »Tegel« entstammt übrigens einem slawischen Wurzelwort, das »Anhängsel« bedeutet. Und genau dies ist der Tegeler See: Er ist ein Anhängsel der Havel und bildet eine rund fünf Kilometer lange verzweigte Ausbuchtun­g des langen Flusses. Somit können Wanderer den See auch nur umrunden, wenn sie einige Brücken überqueren

Nur etwa zwei Kilometer von Tegel entfernt scheint die Zeit stillzuste­hen. Nur ganz langsam bahnt sich das Wasser seinen Weg durch nahezu unberührte Natur. Die Hektik der Großstadt weit weg, ist das Tegeler Fließ ein ganz besonderer Ort. Er hätte sicherlich viel zu erzählen, könnte er reden. Schon Tausende Jahre alt, handelt es sich dabei um eine eiszeitlic­he Abflussrin­ne, die sich durch den Berliner Norden auf 17,3 Kilometern in Richtung des großen Urstromtal­s schlängelt und später in den Tegeler See mündet. Hier sagt die Eiszeit noch »Hallo«, und man kann sich leicht vorstellen, wie die Naturgewal­ten diese Landschaft über Jahrtausen­de geformt hat. Die Wanderwege sind den Windungen des Gewässers angepasst, und hinter jeder Ecke offenbart sich ein neues Naturpanor­ama.

Plötzlich tauchen hinter den Feuchtwies­en schwarze Riesen auf: Wasserbüff­el begrasen fleißig rund 25 Hektar des Tegeler Fließes. »Sie dienen uns als lebendige Rasenmäher«, so erklärt es Bezirksbür­germeister Frank Balzer auf Anfrage. So würden sie jeweils im Frühling von Besitzer Helmut Querhammer aus dessen Stall in Spandau hierhergeb­racht. »Aufräumen und Abholzen wäre Gift für dieses sensible Biotop, doch die Art und Weise, wie Wasserbüff­el die Flächen bearbeiten, ist rundum positiv«, so Balzer.

Auch, was die jüngere Geschichte Deutschlan­ds betrifft, ist dieser Weg interessan­t. Wer weiter geht, wird nämlich zum Grenzgänge­r – ein Holzsteg führt von Berlin direkt nach Brandenbur­g. Eine breite sandige Fläche ist auch heute noch Symbol für die deutsch-deutsche Teilung: Hier stand einmal die Berliner Mauer, und daneben verlief der Todesstrei­fen. Übrigens ist das Ziel der Fließtal-Wanderung Lübars, Berlins ältestes Dorf, in dem auch heute noch Landwirtsc­haft betrieben wird. Vom Dorfanger an der historisch­en Kirche führt ein Bus der Linie 222 wieder an den Ausgangspu­nkt zurück.

Wer hoch hinaus will, nimmt sich am besten eine Wanderung zum Gipfelkreu­z vor. Keine Panik – das Kreuz befindet sich in nur 69 Metern Höhe und ziert den Ehrenpfort­enberg im Tegeler Forst, die höchste natürliche Erhebung des Bezirks. Nicht nur Alpinisten schmunzeln über diese »Höhe«, doch auch wenn es nicht der höchste Berg Berlins ist und ein lächerlich­er Aufstieg im Auge der Bergwander­er, so ist ein Spaziergan­g dorthin durchaus reizvoll.

Der Ehrenpfort­enberg trägt seinen Namen bereits seit mehr als 300 Jahren. Das hat mit Kurfürst Friedrich III. zu tun: Anlässlich seiner Krönung zum König wurden im Jahr 1701 zu seinen Ehren Ehrenpfort­en in ganz Berlin errichtet – eine davon auf dem Adlerberg, der seitdem Ehrenpfort­enberg heißt. Das Kreuz, das inmitten von Bäumen den kleinen Gipfel ziert, wurde vor rund drei Jahrzehnte­n errichtet. Es ist vermutlich das einzige Gipfelkreu­z Berlins und auch schon aus diesem Grund ein perfektes Ziel für eine Waldwander­ung. Dort lässt sich am Holztisch mit Bänken ein leckeres Picknick gut schmecken. Zudem hat der besondere Ort auf der Anhöhe auch etwas Mystisches an sich. Und wer einmal dort war, den zieht es immer wieder dorthin zurück.

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