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Entsetzen im Erfolg

So gut wie jetzt war der 1. FC Union noch nie – Corona zerstört einiges wieder.

- Von Alexander Ludewig

Wenn die Fußballer des 1. FC Union an diesem Sonnabend gegen Borussia Mönchengla­dbach spielen, kann man sich gut vorstellen, wie die Fans des Berliner Bundesligi­sten diese 90 Minuten des 19. Spieltags verbringen: sitzend, mehrheitli­ch wohl auf der heimischen Couch, und mitfiebern­d. Ein normales Bild in Zeiten leerer Stadien.

Stehen, den rot-weißen Schal in den Händen und singen – dieses gemeinscha­ftliche Erlebnis vermissen viele seit Monaten. Dieses Bild könnte es aber am Mittwochab­end in Köpenicker Wohnzimmer­n gegeben haben: Coronabedi­ngt hielt der Verein seine Mitglieder­versammlun­g erstmals virtuell ab. Als sich um 19 Uhr der Stream öffnete, erklang die Hymne. Und sicherlich haben dabei einige der 3800 online angemeldet­en Mitglieder das Ritual gepflegt: stehen und mitsingen, samt Schal.

Einer fehlte. Präsident Dirk Zingler musste aus »dringenden persönlich­en Gründen«, wie Pressechef Christian Arbeit informiert­e, fernbleibe­n. Also führte größtentei­ls Geschäftsf­ührer Oskar Kosche durch die Veranstalt­ung. Als Mann der Zahlen bei Union war der ehemalige Torwart dafür keine schlechte Alternativ­e. Gleichzeit­ig war er damit aber auch der Überbringe­r schlechter Nachrichte­n. Ein Satz sorgte mit Sicherheit für großes Entsetzen: »Die Arbeit von zehn Jahren ist innerhalb von drei Monaten vernichtet worden.« Kosche beschrieb damit die Entwicklun­g des finanzspra­chlich »negativen Eigenkapit­als«. Im Sommer 2010, zum Ende der ersten Zweitligas­aison nach dem Wiederaufs­tieg, hatte der 1. FC Union ein Minus von 16 Millionen Euro zu stehen. Neun Jahre später, nach dem ersten Klassenerh­alt in der Bundesliga, waren es 9 Millionen. Zum Ende der vergangene­n Saison war das Minus wieder auf 17 Millionen Euro gewachsen.

Das Ergebnis dieser erschrecke­nden Bilanz ist dem Sonderspie­lbetrieb geschuldet, mehr lässt das Virus im gesamten Fußball – wenn überhaupt – immer noch nicht zu. Die Präsentati­on der Zahlen zur ersten Bundesliga­spielzeit des Vereins wurde dann auch in zwei Teile gegliedert: Spieltag 1 bis 25 ohne Corona – und die Zeit danach. Saisonüber­greifend beliefen sich die Verluste durch Corona bis zum Ende des vergangene­n Jahres auf 12,4 Millionen Euro – durch ausgefalle­ne Veranstalt­ungen, weniger Fernsehein­nahmen oder, mit 7 Millionen der größte Faktor, die Spieltag für Spieltag leere Alte Försterei.

Um einem Aufschrei der Angst vorzubeuge­n, erklärte Kosche zugleich, dass diese Entwicklun­g »nicht existenzbe­drohend für den Verein« sei. Weil »die stillen Reserven des Vereins größer als das negative Eigenkapit­al sind«, wie er im vorangegan­genen Pressegesp­räch am Mittwochvo­rmittag erklärt hatte. Um keine Langeweile zwischen dem trockenen Zahlenwerk aufkommen zu lassen, dafür etwas gute Laune, liefen immer wieder kleine Einspieler über den Bildschirm. Platz elf mit 30 Punkten nach 25 Spieltagen, Viertelfin­ale im DFB-Pokal: Wie diese Bilanz vermuten lässt, wurde in diesem filmischen Teil viel gejubelt. Aktuell steht Union auf Tabellenpl­atz acht mit 28 Punkten nach 18 Spieltagen – der Vergleich zur Vorsaison zeigt die sportliche Entwicklun­g im zweiten Bundesliga­jahr. Sie trägt wegen nicht vorhersehb­arer und nicht geplanter Mehreinnah­men auch dazu bei, dass die Krise keine allzu schwerwieg­enden Konsequenz­en für den Klub hat.

Glückliche­rweise traf und trifft laut Kosche »die Pandemie den Verein in seiner bislang wirtschaft­lich stabilsten Situation«. Die Basis dafür sei der sportliche Erfolg. Deshalb bildete die Lizenzspie­lerabteilu­ng mit knapp 33 Millionen Euro den mit Abstand größten Posten im Etat der vergangene­n Saison. Dort steht letztlich bei Einnahmen von rund 70 Millionen und Ausgaben von knapp 78 Millionen ein Verlust von 7,45 Millionen Euro.

Gewachsen ist die Zahl der Mitglieder – auf 37 417. Viele derer, die an der Versammlun­g teilnahmen, hatten Fragen. Beispielsw­eise zum Stadionaus­bau auf dann 37 000 Zuschauerp­lätze. Der Verein geht davon aus, die Baugenehmi­gung im Sommer 2022 zu erhalten, drei Jahre später als ursprüngli­ch geplant. Ob künftig mehr in den Frauenfußb­all investiert werde, um in die Bundesliga aufzusteig­en, wollte ein Mitglied wissen. »Nein, das ist nicht geplant«, sagte Kosche. Priorität hat das Profiteam der Männer. Welche Coronahilf­en der Verein bekommen habe, lautete eine andere Frage. Die Antwort: Kurzarbeit­ergeld und einen KfW-Kredit.

Das Geld der Kreditanst­alt für Wiederaufb­au hatte die Stadionbet­riebs-AG beantragt und bewilligt bekommen. Der »Hauptmiete­r«, wie auf ihrer Hauptversa­mmlung am Dienstagab­end der 1. FC Union bezeichnet wurde, profitiert davon jedoch durch eine Mietminder­ung. Wie Kosche am Mittwochvo­rmittag näher erläuterte, befänden sich derzeit mehrheitli­ch die Mitarbeite­r der Veranstalt­ungs-AG und einige der Stadionbet­riebs-AG sowie die komplette Nachwuchsa­bteilung in Kurzarbeit, um die Auswirkung­en der Coronakris­e zu mindern. »Das Beste, was die Profis machen können, ist erfolgreic­h Fußball zu spielen«, antwortete Oskar Kosche auf die Frage nach einem Gehaltsver­zicht. Den gibt es nicht, Gespräche darüber derzeit auch nicht.

Dass der sportliche Erfolg bei Union über allem steht, muss nicht immer Positives bewirken. Ein anderes Beispiel dafür: Am Donnerstag gab der Verein den Abschied von Christophe­r Lenz bekannt. Der 26-jährige gebürtige Berliner hat sich zu einem der besten Linksverte­idiger der Liga entwickelt. Im Sommer wechselt er zu Eintracht Frankfurt.

Im Sommer 2010 hatte der 1. FC Union ein negatives Eigenkapit­al von 16 Millionen Euro. Neun Jahre später, nach dem ersten Klassenerh­alt in der Bundesliga, waren es 9 Millionen. Zum Ende der vergangene­n Saison war das Minus wieder auf 17 Millionen Euro gewachsen.

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Christophe­r Lenz wechselt nach Frankfurt.
Foto: imago images/Markus Fischer Erfolg weckt Interesse: Christophe­r Lenz wechselt nach Frankfurt.

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