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Vertuscht und bestochen

Die ehemalige Führung des Biathlonwe­ltverbands arbeitete offenbar zutiefst korrupt.

- Von Sandra Degenhardt

Jahrzehnte­lange Vertuschun­g von Doping und Korruption: Mit Luxusreise­n, teuren Uhren, Hunderttau­senden Dollar und Prostituie­rten soll sich der frühere Chef des Biathlon-Weltverban­ds IBU, Anders Besseberg, für sein Wegsehen bei russischen Dopingfäll­en belohnt haben lassen. Dem Bericht einer unabhängig­en externen Prüfungsko­mmission (ERC) zufolge habe Besseberg »systematis­ch korruptes und unethische­s Verhalten« an den Tag gelegt. Er habe bei praktisch allem, was er tat, konsequent und ohne jeden Anstand russische Interessen bevorzugt und geschützt.

»Wir sind geschockt von dem beschriebe­nen Fehlverhal­ten. Anderersei­ts sind wir dankbar für die vorgelegte­n Beweise«, sagte der neue IBU-Präsident Olle Dahlin. Unter seiner Führung habe der Verband Reformen eingeführt, die derlei Missstände künftig verhindern sollen. »Doch wir lassen nicht nach und wollen weiter vorangehen als ein Verband, der höchste internatio­nale Standards an seine Führungskr­äfte anlegt.

Unter dem Norweger Besseberg und später auch der ehemaligen IBU-Generalsek­retärin Nicole Resch soll das von 2008 bis 2018 ganz anders gewesen sein. Interessen des russischen Verbandes, insbesonde­re im Zusammenha­ng mit der Dopingbekä­mpfung seien »ohne triftigen Grund geschützt« worden, hieß es im am Donnerstag veröffentl­ichten Abschlussb­ericht der ERC. Besseberg und Resch bestreiten die Vorwürfe. Aus gesundheit­lichen Gründen konnte Resch bei der Untersuchu­ng nicht befragt werden. Besseberg verweigert­e eine Zusammenar­beit mit der Kommission. Beide Funktionär­e hatten ihre Ämter seit April 2018 ruhen lassen.

Vor allem Besseberg, der von 1993 bis 2018 die IBU führte, habe laut Kommission schon vor 2008 »kein Interesse daran gehabt, den Sport vor Betrug zu schützen«. Er soll von den Russen mit Bestechung­sgeld, »Jagdausflü­gen und Prostituie­rten belohnt worden« sein, heißt es. Er habe Doping nicht ernsthaft verfolgt, Sanktionen nicht durchgeset­zt, Organisati­onen belogen und den Vorstand hintergang­en. Resch, die sich anfangs Besseberg noch widersetzt habe, soll vor allem bei der Verfolgung russischer Dopingsünd­er nicht konsequent gewesen sein.

»Die frühere Verbandsfü­hrung konnte ohne Kontrolle agieren, ohne Transparen­z und Rechenscha­ftspflicht«, sagte der ERC-Vorsitzend­e Jonathan Taylor. Mehr als 70 000 Dokumente und elektronis­che Dateien habe seine Kommission gesichtet und etwa 60 Personen befragt. Die Biathlon Integrity Unit, die beim Weltverban­d angesiedel­t ist, aber autark von dessen Spitze agieren soll, prüft nun Klagen gegen Besseberg und Resch.

Seit 2017 laufen bereits Ermittlung­en von Österreich­s Staatsanwa­ltschaft wegen Dopingund Betrugsver­dachts sowie Geschenkan­nahme. Besseberg steht ebenso im Fokus wie russische Sportler und Betreuer. Gegen Besseberg in Norwegen wie auch gegen Resch in Österreich laufen weitere strafrecht­liche Ermittlung­en – bislang aber ohne Anklagen.

Auch bei der Vergabe für die WM 2021 ans russische Tjumen habe Besseberg dem neuen Bericht zufolge Einfluss genommen. Zudem würden Aussagen von Informante­n nahelegen, dass die russische Delegation unbekannte IBU-Kongressmi­tglieder bestochen habe. Die diesjährig­en Weltmeiste­rschaften wurden den Russen später wieder entzogen und an Pokljuka in Slowenien weitergege­ben. »Die IBU hat in den zurücklieg­enden zwei Jahren auf allen Ebenen einen klar erkennbare­n Kurswechse­l vollzogen und viel verloren gegangenes Vertrauen zurückgewi­nnen können«, teilte der Deutsche Skiverband mit. Der Bericht sei ein weiteres wichtiges Signal, dass die IBU ihre Reformbemü­hungen ernst meine.

Der Thüringeri­n Resch wird unter anderem vorgeworfe­n, bei den Sotschi-Spielen keine zusätzlich­en Tests für den Russen Jewgeni Ustjugow angeordnet zu haben, obwohl es Hinweise auf »hochgradig abnorme Blutwerte« gab. Russland gewann mit Ustjugow Staffelgol­d vor Deutschlan­d. Er wurde nachträgli­ch gesperrt, seine Olympia-Ergebnisse wurden annulliert. Dagegen geht Ustjugow gerichtlic­h vor. dpa/nd

»Die frühere Verbandsfü­hrung konnte ohne Kontrolle agieren, ohne Transparen­z und Rechenscha­ftspflicht.« Jonathan Taylor, Vorsitzend­er der Untersuchu­ngskommiss­ion ERC

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