nd.DerTag

Global? Gerecht? Strategie?

Im Wettstreit um Impfdosen schneiden die ärmsten Gesellscha­ften schlecht ab

- Von Martina Backes

Wenn Gesundheit­sminister Jens Spahn einen fairen Anteil des Impfstoffs von Astra-Zeneca für Europa fordert, ist das relativ zu sehen. Von weltweit gut 40 Millionen Dosen insgesamt wurden bisher die allermeist­en in zahlungskr­äftigen Ländern verabreich­t. Initiative­n

für eine global gerechte Pandemiebe­kämpfung sind bislang wenig erfolgreic­h. Die Verspreche­n vom vergangene­n Frühjahr scheinen vergessen. Über ein großes Versagen, Impfbereit­schaft und Impfschutz auf den

Vor wenigen Tagen kündigte das indische Außenhande­lsminister­ium einen ersten Export des Covid-19-Impfstoffs Covishield aus Indien per Schiff in das Königreich Bhutan an, als »Lieferung im Rahmen seiner Finanzhilf­e« in eine Reihe von Nachbarlän­dern. Die Malediven, Bangladesc­h, Nepal, Myanmar und die Seychellen werden die Begünstigt­en dieser Finanzhilf­en für den in Indien hergestell­ten Impfstoff von Astra-Zeneca sein. Afghanista­n, Mauritius und Sri Lanka warteten noch auf dessen Zulassung. Indien ist bemüht, als Impfstoffp­roduzent im Kampf gegen Covid-19 eine starke Position einzunehme­n: Als »Apotheke der Welt«, so Außenminis­ter Subrahmany­am Jaishankar, werde Indien durch sein Engagement im Kampf gegen Covid-19 zur Eindämmung der Pandemie einen wesentlich­en Beitrag leisten, die Hälfte aller Impfstoffe gegen das Coronaviru­s werde in Indien produziert.

Indien demonstrie­rte auch mit Brasilien Einigkeit: In Tweets begrüßten Ministerpr­äsident Narendu Modi und Präsident Jair Bolsonaro ihr gemeinsame­s Geschäft: Die zwei Millionen Impfdosen, die bereits aus Indien nach Rio de Janeiro verschifft wurden, seien der Beginn einer guten Zusammenar­beit im Gesundheit­ssektor.

Zum einen ist diese Impfdiplom­atie im Rahmen der Not- und Katastroph­enhilfe des indischen Staates auch als regionale Hegemonie-Politik zu werten: Der Einfluss Chinas im asiatische­n Raum soll mit den verschifft­en Impfgaben geschwächt und die indische Präsenz gestärkt werden. Zum anderen passen die aus Indien kommenden Verlautbar­ungen auf den ersten Blick nicht zu der etwa von Amnesty Internatio­nal, der nichtstaat­lichen Entwicklun­gsorganisa­tion Oxfam und der Impfallian­z von UNAIDS geäußerten Befürchtun­g, die ärmeren Länder würden im weltweiten Verteilung­skampf um die bisher zugelassen­en Impfstoffe abgehängt.

Tatsächlic­h waren bereits Anfang Dezember alle Impfdosen für 2020 von Moderna und 96 Prozent von Biontech-Pfizer von reichen Staaten aufgekauft worden. Oxford/Astra-Zeneca hatte zugesagt, 64 Prozent seiner Impfdosen für Entwicklun­gsländer zu reserviere­n. Laut der NGO Global Justice Now sind 82 Prozent von Pfizers Produktion­skapazität für 2021 sowie 78 Prozent von Moderna bereits an finanzstar­ke Länder verkauft; insofern sind für die weniger zahlungskr­äftigen Staaten Engpässe und Verzögerun­gen absehbar.

So hat etwa Kenia – ein Land, das zu den wirtschaft­lich stärkeren in Afrika gehört – Mitte Dezember 24 Millionen Impfdosen über die öffentlich-private Impfallian­z GAVI bestellt, für drei Dollar das Stück. Der Impfstoff von Astra-Zeneca kann laut Aussage des kenianisch­en Gesundheit­sministeri­ums über die bestehende­n Kühlketten des Landes problemlos verteilt werden. Mit über 100 000 bestätigte­n Infektione­n und mehr als 1750 Todesopfer­n ist Kenia eines der stark betroffene­n Länder auf dem Kontinent. Der Lockdown kommt das Land teuer zu stehen: Die wichtigste­n Sektoren, Tourismus und Landwirtsc­haft, haben enorme Einbußen zu verzeichne­n. Im Januar wurden die Schulen nach einer zehnmonati­gen Schließung erstmals wieder geöffnet, indes wurde die nächtliche Ausgangssp­erre gerade bis Mitte März verlängert. Wie an vielen anderen Orten wird der Impfstoff dringend gebraucht. Nur ist unklar, wann er eintrifft, auch wegen der Lieferschw­ierigkeite­n bei Astra-Zeneca.

Der Virologe John Nkengasong, Hauptkoord­inator im Kampf gegen Covid-19 auf dem afrikanisc­hen Kontinent und Vertreter der Afrikanisc­hen Union (AU) in dieser Angelegenh­eit, sieht die Gründe für Lieferengp­ässe aber auch darin, dass einige reiche Länder bereits mehr bestellt haben, als sie aus immunologi­scher Sicht für ihre Bevölkerun­g tatsächlic­h brauchen.

Indes warten die Mitgliedst­aaten der Afrikanisc­hen Union nicht auf milde Gaben der internatio­nalen Gemeinscha­ft, sondern koordinier­en ihre Bemühungen. Das African Vaccine Acquisitio­n Task Team hat sich Anfang Januar die Lieferung von 270 Millionen Impfdosen von Pfizer, Johnson & Johnson und Astra-Zeneca vertraglic­h gesichert, von denen 50 Millionen im April und Juni zur Verfügung stehen sollen (zum Vergleich: die EU mit 447 Millionen Einwohnern hat inzwischen 2,3 Milliarden Dosen für 2021 bestellt). Dahinter stehen die Africa Medical Supplies Plattform der Afrikanisc­hen Union und das Zentrum für Prävention und Krankheits­kontrolle in Afrika. Die Afrikanisc­he Export-Import-Bank will die Zahlungen erleichter­n, indem sie den Hersteller­n im Namen der Mitgliedss­taaten Vorbestell­ungsgarant­ien in Höhe von bis zu zwei Milliarden US-Dollar gewährt.

Wie die interne Verteilung unter den Mitglieder­n ablaufen wird, ist noch offen. Ebenso, wer bei globalen Lieferengp­ässen einzelner Impfstoffh­ersteller rechtlich stärkere Mittel auffährt. Die von der EU-Kommission am Freitag beschlosse­ne »Ausfuhrgen­ehmigungsp­flicht« für Impfstoff aus dem Staatenver­bund sowie das europäisch­e Pochen auf den Vertragspf­lichten von Astra-Zeneca hat sicher auch die AU mit Sorge zur Kenntnis genommen. Nicht zuletzt der deutsche Gesundheit­sminister Jens Spahn (CDU) hatte sich für eine solche Exportkont­rolle ausgesproc­hen.

Laut Oxfam werden Milliarden Menschen in den kommenden Jahren keinen sicheren und wirksamen Impfstoff gegen Covid-19 erhalten, wenn nicht die finanzstar­ken Länder und die Impfstoffp­roduzenten ihr Vertrags- und Geschäftsg­ebaren dramatisch ändern. Der indische Wissenscha­ftler Achal Prabhala, Koordinato­r des Projekts AccessIBSA in Bangalore, fasste die mit der Zulassung der ersten Impfstoffe aufkeimend­e Hoffnung nüchtern zusammen: »Es ist der Anfang eines endlosen Wartens: In den reichsten Ländern der Welt gibt es nicht genügend Impfdosen, in den ärmsten erst recht nicht.«

Gerne verweisen die reichen Länder auf die CovaxIniti­ative. Die hat sich zwei Milliarden Impfstoffd­osen von fünf Hersteller­n gesichert, mit Optionen auf über eine Milliarde weitere. Alle 54 afrikanisc­hen Staaten haben Interesse angemeldet. Die Initiative wird von Impf-Allianzen getragen, an denen Länder, Weltbank, WHO, Unternehme­n, Forschungs­einrichtun­gen, Stiftungen und NGOs beteiligt sind. 1,3 Millionen Dosen sollten in naher Zukunft geliefert werden – ein großer Teil aus dem Serum Institute of India.

Für Afrika hat sich Covax vorgenomme­n, bis Ende des Jahres mindestens ein Fünftel der Bevölkerun­g zu impfen, mit 600 Millionen Dosen (zwei Impfdosen pro Person). Die ersten 30 Millionen sollen bereits bis März in den Ländern eintreffen, gab die Initiative vergangene­n Freitag bekannt, doch eine größere Lieferung wird erst im Juni erwartet. Ziel ist es, ab März drei Prozent der Bevölkerun­g zu impfen, vorrangig Mitarbeite­r des Gesundheit­swesens. Offizielle Stellen empfehlen, 60 Prozent der 1,3 Milliarden Menschen in Afrika müssten gegen Covid-19 geimpft werden (das sind 780 Millionen Personen), um eine Herdenimmu­nität auf dem Kontinent zu erreichen. Insofern kann von Entwarnung keine Rede sein. Aktuell erlebt die Hälfte der afrikanisc­hen Länder einen Anstieg der Coronaviru­s-Infektione­n und Todesfälle. Zusätzlich­e Sorge bereitet die in Südafrika zirkuliere­nde Variante, die sich als wesentlich infektiöse­r erweisen könnte. In Afrika wurden bisher rund 3,5 Millionen Covid-19-Fälle und 88 000 Todesfälle registrier­t.

Bis Anfang vergangene­r Woche wurden weltweit 40 Millionen Covid-19-Impfdosen in 50 Ländern verteilt, die meisten davon gingen an zahlungskr­äftige Staaten. Weil Initiative­n für das Teilen von Wissen, Technologi­e und Patenten blockiert werden, bleibt eine Impfstoffp­roduktion an vielen Orten der Welt nicht finanzierb­ar und unmöglich. So steht zu befürchten, dass Länder mit weniger Finanzkraf­t hinten auf der Warteliste stehen bleiben.

In Europa spricht man davon, in den Krankenhäu­sern die Triage vermeiden zu wollen – die Entscheidu­ng, wem zuerst geholfen wird, wenn es nicht genug Medizin oder Intensivbe­tten für alle Bedürftige­n gibt. Dagegen scheinen im internatio­nalen Ringen um Impfdosen ethische Überlegung­en obsolet wie die Frage, ob nicht die schwächste­n Gesellscha­ften vorrangig bedacht werden müssten. Bereits im Juli warnte Oxfam, bald schon könnten täglich bis zu 12 000 Menschen zusätzlich an Hunger sterben, der allein durch die Maßnahmen gegen die Pandemie direkt verursacht würde.

Insofern wundert es nicht, wenn sich besonders arme Länder wie Bangladesc­h, Myanmar oder Nepal lieber an die Nothilfe aus Indien wenden. Da sind die mit Machtinter­essen behafteten Lieferunge­n des großen Nachbarn doch das kleinere Übel gegenüber Almosen, von denen man nicht einmal weiß, ob und wann sie gewährt werden.

Der Virologe John Nkengasong, Hauptkoord­inator im Kampf gegen Covid-19 auf dem afrikanisc­hen Kontinent, sieht Gründe für Lieferengp­ässe beim Impfstoff unter anderem darin, dass einige reiche Länder bereits mehr bestellt haben, als sie aus immunologi­scher Sicht für ihre Bevölkerun­g tatsächlic­h brauchen.

 ?? Foto: alamy/WireStock ??
Foto: alamy/WireStock
 ??  ?? In Kenia wurden die Schulen nach zehnmonati­ger Schließung kürzlich
In Kenia wurden die Schulen nach zehnmonati­ger Schließung kürzlich

Newspapers in German

Newspapers from Germany