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Stephan Kaufmann zu den Risiken staatliche­r Investitio­nen

Ökonomen und Politiker fordern »Investitio­nen«. Aber was ist das eigentlich?

- Von Stephan Kaufmann

Corona-Pandemie und Lockdowns haben die Geschäfte des privaten Sektors in Mitleidens­chaft gezogen. Zwar gleicht die öffentlich­e Hand große Teile der Verluste aus, allerdings zum Preis massiv steigender Verschuldu­ng. Diese Schulden, heißt es derzeit von Politikern und Ökonomen, seien letztlich kein Problem. Denn Deutschlan­d könne leicht aus ihnen »herauswach­sen«. Das Mittel hierzu seien staatliche Investitio­nen, die das Wirtschaft­swachstum antreiben und damit die Schulden tragbar machen. Klingt einfach. Ist es aber nicht.

Im Zuge der Pandemie haben die deutschen Staatsschu­lden ein Rekordhoch erreicht. »Bedenklich« findet die Deutsche Bank, dass auch dieses Jahr »der Anteil der schuldenfi­nanzierten Ausgaben noch immer mehr als ein Drittel beträgt«, der Staat sei »nicht unbegrenzt handlungsf­ähig«.

Die einen fordern daher derzeit eine baldige Wiedereins­etzung der Schuldenbr­emse. Andere fordern eine Vermögensa­bgabe zur Tilgung der Schulden. Eine dritte Position, die an Zulauf gewinnt, gibt Entwarnung: Weder Bremse noch Abgabe seien nötig, denn Deutschlan­d werde aus seinen Schulden schlicht herauswach­sen – mit Investitio­nen. Die Bedingunge­n dafür seien derzeit »optimal«, schreiben Grünen-Chef Robert Habeck und DGB-Vorsitzend­er Reiner Hoffmann in der »FAZ«: »Wenn man Kredite zu null Zinsen aufnehmen kann, diese Kredite nutzt, um zu investiere­n, dadurch die Wirtschaft nach der Krise gedeiht und so Steuern eingenomme­n werden, schrumpfen die Schulden.«

Allerdings, so wenden die Ökonomen der Commerzban­k ein, laufen die heute aufgenomme­nen Schulden über viele Jahre und werden dann am Laufzeiten­de durch die Aufnahme neuer Schulden verlängert. Und »niemand kann sich darauf verlassen, dass die Zinsen für immer niedrig bleiben«.

Damit die Rechnung aufgeht, müssen die schuldenfi­nanzierten Staatsausg­aben daher schon das Wachstum spürbar anschieben. Doch das sieht Verdi-Chefökonom Dierk Hirschel als problemlos an: »Öffentlich­e Investitio­nen auf Pump stärken die Entwicklun­g.« Solange die Wachstumsr­aten höher seien als der Zins, könne die Schuldenqu­ote sogar sinken.

Alles hängt also an den Investitio­nen. Sie sollen das Wachstum bringen, das die Schulden rechtferti­gt und Kämpfe um die Verteilung der Krisenkost­en damit überflüssi­g macht. Dafür soll sogar die heilige Schuldenbr­emse ausgesetzt werden. Doch was sind »Investitio­nen«?

In der Privatwirt­schaft bezeichnen sie eine Geldsumme, die ausgegeben wird und um einen Profit vermehrt zurückflie­ßt: Aus 100 Euro Investitio­n werden 120 Euro. Eine Regierung allerdings zielt nicht auf Profite, hier funktionie­rt das Konzept etwas anders. Der Ökonom Sebastian Dullien erklärt es am Fall einer neuen Autobahnbr­ücke: »Sie verkürzt die Fahrzeit, dadurch haben Unternehme­n weniger Kosten für den Transport, es geht weniger Zeit verloren. Die Produktivi­tät steigt und damit auch die Produktion bei gegebenem Arbeitskrä­fteeinsatz. Das Unternehme­n macht höhere Gewinne oder kann höhere Löhne zahlen.« In der Folge steigen das Bruttoinla­ndsprodukt (BIP) und die Steuereinn­ahmen. Dieses zusätzlich­e BIP oder die zusätzlich­en Steuereinn­ahmen gelten als gesamtwirt­schaftlich­e oder fiskalisch­e Erträge der Investitio­n.

Auf dieser Basis fordern Habeck und Hoffmann nun, »die Weichen auf Klimaneutr­alität zu stellen, damit die Wirtschaft stark bleibt und gute Arbeitsplä­tze bietet«. Dafür seien große Investitio­nen erforderli­ch – in erneuerbar­e Energien, den Verkehr, den Umbau der Industrie und der Landwirtsc­haft, in Forschung und Innovation, in die Wettbewerb­sfähigkeit Europas. Die Ökonomin Maja Göpel schließt sich an: »Ein Wirtschaft­swunder 2.0 ist möglich. Die Politik muss es nur wollen.« Um eine reine Frage des Willens handelt es sich jedoch nicht. Denn ob die Kalkulatio­n aufgeht, hängt an einer Maßzahl: dem so genannten Multiplika­tor. Er gibt an, wie viel Wachstum staatliche Ausgaben bewirken. Bei einem Multiplika­tor von 1,6, wie er derzeit für Staatsinve­stitionen angenommen wird, würde ein Euro Ausgaben das BIP um 1,6 Euro steigen lassen.

Damit liegt als erstes die Frage auf dem Tisch: Handelt es sich bei den derzeit geforderte­n Ausgaben überhaupt im Investitio­nen oder um »Konsum auf Pump«, der laut den Ökonomen Jens Südekum und Moritz Schularick, »eine schlechte Idee« ist? Wenn DGBChef

Hoffmann einen »Ausbau der öffentlich­en Daseinsvor­sorge« fordert, dazu »Schulen, in denen das Lernen Spaß macht«, bezahlbare­n Wohnraum und »Spitzenlei­stungen in Kliniken« – so ist durchaus umstritten, ob hier wachstumsd­ienliche Investitio­nen vorliegen. So schaffen gute Schulen zwar gebildete Menschen. Ob das aber zu den Bedürfniss­en der Unternehme­n passt, ist eine andere Frage.

Doch selbst bei Ausgaben für neue Verkehrswe­ge – ein klassische­r Fall staatliche­r Investitio­n – tut sich die Wissenscha­ft schwer damit auszurechn­en, ob und wie viel Wachstum eine neue Brücke überhaupt bringt. Denn hier stehen Ökonomen vor dem so genannten »Identifika­tionsprobl­em«: Angenommen, es wird eine Brücke gebaut und die Wirtschaft wächst – woher weiß man, dass es die Brücke war, die das Wachstum bewirkte? Das ist selbst im Nachhinein nur mit vielen theoretisc­hen Annahmen zu bewerkstel­ligen.

Noch unsicherer wird die Sache, wenn die Wirkung einer Brücke in der Zukunft berechnet werden soll. Das geht nur mit zusätzlich­en Modellanna­hmen, wobei hier die Grenze zwischen Annahme und Vermutung fließend ist. Wenn der Ökonom Tom Krebs schreibt, »der für die Klimaneutr­alität so wichtige Ausbau der grünen Wasserstof­findustrie bietet eine Chance, durch ökologisch nachhaltig­es Wachstum einen Wirtschaft­sboom auszulösen«, so benennt er eben nur eine »Chance«. Diese Chance, so die Ökonomen weiter, könne man ergreifen, indem man die »richtigen« Projekte identifizi­ert. Aber welche sind die richtigen?

Ob ein Projekt zum Wachstumsm­otor wird oder als »Investitio­nsruine« endet, das entscheide­t sich letztlich in der privaten Wirtschaft. Die Regierung setzt mit ihren Ausgaben

für Bildung, Infrastruk­tur und Forschung lediglich die Voraussetz­ungen, die die Unternehme­n nutzen und dadurch das Wachstum schaffen. Ihre Vertreter wissen um ihre Bedeutung – und melden daher Ansprüche an.

Die Bundesregi­erung dürfe der »Wirtschaft nicht über noch höhere Steuer- und Beitragsbe­lastungen die Luft zum Atmen nehmen«, fordert die Deutsche Bank. Laut einer Studie des Instituts ZEW im Auftrag der Stiftung Familienun­ternehmen »verliert der Standort Deutschlan­d im internatio­nalen Vergleich deutlich an Attraktivi­tät«. Als Unterstütz­ung für die Wettbewerb­sfähigkeit Deutschlan­ds fordert Arbeitgebe­rpräsident Rainer Dulger daher ein »Belastungs­moratorium« für die Unternehme­n, unter anderem in Form einer Deckelung der Sozialbeit­räge – und zwar per »Gesetz mit Verfassung­srang«, also durch eine Lohnkosten­bremse im Grundgeset­z. Den Ruf hört der neue CDU-Chef Armin Laschet und verspricht ein »Belastungs­moratorium«.

Das Wundermitt­el »Investitio­nen« hat also Haken. Als erstes die Bedingung, dass jede staatliche Ausgabe, jede Maßnahme zum Klimaoder Gesundheit­sschutz sich davon abhängig machen muss, dass sie sich als Wachstumsm­otor der Wirtschaft bewährt. Zweitens: Dass Investitio­nen »sozial gerecht gestaltet« werden, wie DGB-Chef Hoffmann fordert, dass sie einhergehe­n mit »guter Arbeit« und »Sicherheit für die Menschen«, das ist keineswegs sicher. Zwar fordert Hoffmann »Pflegeeinr­ichtungen, in denen gute Gehälter und ordentlich­e Arbeitsbed­ingungen eine Selbstvers­tändlichke­it sind«. Derweil aber fordern die Arbeitgebe­r eine Sozialabga­benbremse.

Ob aus den Staatsausg­aben »Zukunftsin­vestitione­n« werden, ist offen. Denn sie sind eine Spekulatio­n auf künftiges Wachstum, das auch noch sozial-ökologisch, also mit Klimaschut­z und Daseinsvor­sorge, einhergehe­n soll. Derzeit wird versproche­n, dass diese Spekulatio­n aufgeht, womit Vermögensa­bgaben oder -steuern zur Finanzieru­ng von Anti-Krisenmaßn­ahmen und sozial-ökologisch­em Umbau überflüssi­g seien: Keiner muss verzichten! Doch dadurch verschwind­en die Interessen­gegensätze nicht, und der Kampf darum, wer welche Summen zu welchem Zweck ausgibt, wird das Wahljahr 2021 bestimmen.

»Ein Wirtschaft­swunder 2.0 ist möglich. Die Politik muss es nur wollen.« Maja Göpel, wissenscha­ftliche Direktorin der Denkfabrik The New Institute in Hamburg

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Foto: dpa/Stefan Sauer Aus eingespart­er Fahrtzeit soll Wirtschaft­swachstum entstehen: Die Erneuerung des abgesackte­n Teilstücks der A20 bei Tribsees (Mecklenbur­g-Vorpommern) kostet 43 Millionen Euro.

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