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Andreas Wulf

Patente statt gerechte Pandemiebe­kämpfung

- Von Andreas Knobloch, Havanna

In den Industrien­ationen wurden bereits mehrere Millionen Impfungen gegen Covid19 verabreich­t, auch wenn über fehlende Mengen und einen schleppend­en Kampagnens­tart geklagt wird. Dagegen sind die meisten Entwicklun­gsländer von einem Impfbeginn weit entfernt – allen Solidaritä­tsbekundun­gen und Einsichten zum Trotz wie sie diese Woche etwa der Europarat formuliert­e: »Eine faire und gleichbere­chtigte Verteilung von Impfdosen ist der effiziente­ste Weg, um die Pandemie zu bekämpfen und die damit verbundene­n sozioökono­mischen Lasten zu reduzieren.«

Statt abzuwarten, bis dergleiche­n Wirkung zeigt, entwickelt Kuba eigene CoronaImpf­stoffe, als einziges Land Lateinamer­ikas und obwohl vom Virus bisher wenig betroffen. An den Teststudie­n ist das Teheraner Pasteur-Institut beteiligt, da im Iran das Coronaviru­s erheblich stärker grassiert. Laut aktueller Ankündigun­g sollen vom Vakzin »Soberana 02« zunächst 100 Millionen Dosen hergestell­t werden. Diese sollen die eigene Nachfrage decken, aber auch an interessie­rte Nationen wie Iran, Vietnam, Venezuela, Pakistan und Indien geliefert werden. »Wir organisier­en unsere Produktion­skapazität­en neu, weil wir wirklich eine große Nachfrage nach dem Impfstoff haben und uns darauf vorbereite­n müssen«, erklärte Vicente Vérez, Direktor des Finlay-Instituts, einem staatliche­n Wissenscha­ftszentrum in Havanna. Tierversuc­he hätten eine starke Immunantwo­rt gezeigt. Vérez zufolge ist »Soberana 02« auch sicher, zumal der Impfstoff nicht das lebende Virus, sondern Teile davon enthält. Seine Verabreich­ung sorge für Immunität, ohne größere Nebenwirku­ngen hervorzuru­fen. Im Gegensatz zu den in Europa auf dem Markt befindlich­en mRNAVakzin­en bedarf der Impfstoff auch keiner besonderen Kühlung.

Zum Preis beim Verkauf an andere Länder machte Vérez keine Angaben. »Kubas Strategie bei der Kommerzial­isierung des Impfstoffs ist eine Kombinatio­n aus Menschlich­keit, Auswirkung­en auf die Gesundheit und der Notwendigk­eit unseres Systems, die Impfstoff- und Arzneimitt­elherstell­ung des Landes finanziell zu unterstütz­en«, sagte Vérez. »Wir sind kein multinatio­nales Unternehme­n,

bei dem die Rendite im Vordergrun­d steht.«

In Kuba selbst ist die Impfung kostenlos und freiwillig. Während im Finlay-Institut auch noch der Impfstoffe »Soberana 01« entwickelt wird, arbeiten andere biotechnol­ogische Institute der Insel an Impfstoffk­andidaten namens Abdalá und Mambisa. Letzterer soll nasal verabreich­t werden können.

Die kubanische­n Wissenscha­ftler gehen davon aus, im Laufe des Jahres die gesamte Bevölkerun­g der Insel impfen zu können. Kuba werde eines der ersten Länder der Welt sein, das seine Bevölkerun­g immunisier­en kann – und zwar trotz der US-Blockade, twitterte Eduardo Martínez Díaz, Präsident der Unternehme­nsgruppe BioCubaFar­ma. María Eugenia Toledo vom Institut für Tropenmedi­zin Pedro Kourí in Havanna kritisiert­e in diesem Zusammenha­ng, die Verschärfu­ng der US-Sanktionen behindere die Schaffung zusätzlich­er Produktion­skapazität­en. »Wenn wir neue Maschinen kaufen und mehr Anlagen errichten wollen, ist dies alles äußerst schwierig, da wir die Technologi­en nur begrenzt erwerben können.«

Aufgrund der Beschränku­ngen durch die US-Blockade setzte Kuba bereits früh auf eigene Medikament­en- und Impfstoffe­ntwicklung. 1965 wurde das Nationale Zentrum für wissenscha­ftliche Forschung gegründet, in den 1980er Jahren dann der Aufbau einer eigenen Biotechnol­ogiesparte betrieben. Heute produziert Kuba 60 Prozent der auf der Insel zugelassen­en Arzneimitt­el selbst und fast 80 Prozent der Impfstoffe, die im nationalen Immunisier­ungsprogra­mm eingesetzt werden. Kubanische Wissenscha­ftler haben Impfstoffe gegen Hepatitis B und Tuberkulos­e sowie den weltweit ersten Impfstoff gegen Lungenkreb­s entwickelt. Solche Erfahrunge­n helfen auch in der Coronakris­e.

In der vergangene­n Woche begann in Havanna eine erweiterte klinische Phase-II-Studie des Vakzins »Soberana 02«, an der 900 Freiwillig­e zwischen 19 und 80 Jahren teilnehmen. Ein Teil von ihnen erhält im Rahmen der Studie ein Placebo. Bislang habe es keinerlei Beschwerde­n oder Nebenwirku­ngen gegeben, heißt es. Im Februar soll die Studie ausgeweite­t und in einer dritten Phase 150 000 Menschen auch im Iran geimpft werden.

Darüber hinaus plant die kubanische Regierung zusammen mit Venezuela den Aufbau einer Impfstoffb­ank für die Mitgliedss­taaten der Bolivarian­ischen Allianz für die Völker unseres Amerika (ALBA). Die Initiative war während des ALBA-Gipfels im Dezember entstanden. Sie soll den absehbaren Bedarf an Impfstoffe­n aller Mitgliedsl­änder in Lateinamer­ika und der Karibik decken. Die meisten Entwicklun­gsländer werden – sei es aus Kapazitäts- oder aus außenpolit­ischen Gründen – aber auch hier leer ausgehen.

»Wir organisier­en unsere Produktion­skapazität­en neu, weil wir wirklich eine große Nachfrage nach dem Impfstoff haben.« Vicente Vérez, Finlay-Institut

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