nd.DerTag

Kristina Rehbein

über die Schuldenkr­ise im Globalen Süden

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Kristina Rehbein ist politische Referentin beim deutschen Entschuldu­ngsbündnis erlassjahr.de – Entwicklun­g braucht Entschuldu­ng und Mitautorin des Schuldenre­ports 2021. Seit 2017 ist sie zudem Mitglied des Vorstands des European Network on Debt and Developmen­t mit Sitz in Brüssel. Mit ihr sprach Martin Ling.

Laut Schuldenre­port 2020 waren 124 von 154 untersucht­en Entwicklun­gs- und Schwellenl­ändern kritisch verschulde­t. Im Schuldenre­port 2021 sind acht Länder hinzugekom­men. Waren das übliche Verdächtig­e aus vorangegan­genen Berichtsja­hren oder gibt es Überraschu­ngen durch die Auswirkung­en der Corona-Pandemie? Übliche Verdächtig­e aus vergangene­n Jahren sind es nicht. Insgesamt wurden 13 Länder neu aufgenomme­n, fünf sind rausgefall­en. Für Venezuela zum Beispiel liegen keine belastbare­n Daten vor, so dass es in die Gruppe der Länder im Zahlungsau­sfall ohne genauere Angaben verschoben wurde.

De facto führt der Schuldenre­port damit 13 Länder zusätzlich als kritisch verschulde­t auf. Überrasche­nd ist, dass mit Chile, Thailand und den Philippine­n darunter auch drei größere Schwellenl­änder sind. Hinzu kommen kleine Inselstaat­en wie Fidschi, Trinidad & Tobago und die Salomonen. Die waren durch den Einbruch des Tourismus infolge der Pandemie ganz besonders betroffen. Die Salomonen sind mit drin, weil sie unter anderem von Naturkatas­trophen besonders bedroht sind und damit laut IWF ein mittleres Überschuld­ungsrisiko tragen. Hinzu kommen Länder, die aufgrund des Rohstoffpr­eisverfall­s in Schieflage geraten sind wie Algerien, das lange nicht in der Liste der kritisch verschulde­ten Länder aufgeführt wurde. Thailand zählte 2019 zu den TopKreditn­ehmern unter den Entwicklun­gs- und Schwellenl­ändern, dasselbe gilt auch für die Philippine­n im Hinblick auf die Region Ostasien, die sich vor Corona mit Krediten zu Niedrigzin­sen eingedeckt haben. Vor allem durch den Einnahmeau­sfall sind ihre Schuldenin­dikatoren im Zuge der Corona-Rezession angestiege­n.

Welche Faktoren der Pandemie haben die Schuldensi­tuation besonders verschärft? Durch die Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie weltweit wurde eine Rezession beispiello­sen Ausmaßes ausgelöst. Der Tourismus, für einige Länder der wichtigste Wirtschaft­ssektor, ist fast komplett zusammenge­brochen, öffentlich­e Einnahmen sind teils komplett weggefalle­n, auch Millionen Jobs gingen verloren. Rücküberwe­isungen gingen zurück, zum Beispiel in Nepal. Viele Nepalesen arbeiten im Ausland, haben jedoch ihre Jobs verloren und konnten nichts mehr in ihre Heimat überweisen. Der Verfall der Rohstoffpr­eise, wie der Kollaps des Erdölpreis­es, hat zum Einbruch der Wirtschaft vielerorts geführt, die Verfügbark­eit von Devisen schrumpft. Gleichzeit­ig hat sich die Lage auf dem Kapitalmar­kt vor allem zu Beginn der Pandemie verschlech­tert. Entwicklun­gsländer stehen Schlange um Kredite, um ihre Haushaltsl­öcher zu stopfen, was die Zinsen nach oben treibt. Das wird die Schuldenkr­ise definitiv in den nächsten Jahren anheizen.

Das Schuldenmo­ratorium der G20 (DSSI) und der Schuldendi­ensterlass des IWF (CCRT) haben zu Beginn der Pandemie dringend notwendige Haushaltss­pielräume in den ärmsten Ländern geschaffen. War das erfolgreic­h?

Grundsätzl­ich wurden damit Gelder für die Pandemiebe­kämpfung frei gemacht. Beim IWF beläuft sich die Summe auf rund 500 Millionen US-Dollar für 28 hoch verschulde­te Länder insgesamt. Die DSSI für die 73 ärmsten Länder hätte rund 11,5 Milliarden Dollar 2020 freisetzen können, de facto waren es nur 5,7 Milliarden Dollar, weil nicht alle auf das Angebot eingingen, auch weil die Ratingagen­turen mit Abstufung drohten. Die 11,5 Milliarden entspreche­n aber nur rund 60 Prozent der Schuldendi­enstzahlun­gen, die in den DSSI-Länder 2020 fällig wurden. Insgesamt über alle Entwicklun­gs- und Schwellenl­änder hinweg betrachtet, blieben 95 Prozent des Schuldendi­enstes als Forderung 2020 aufrecht, nur fünf Prozent wurden gestundet.

So wenig?

Ja. Das liegt zum einen an der Struktur der Verschuldu­ng: Viele Schulden fallen nicht bei den G20 an, sondern bei privaten oder multilater­alen Gebern wie Investment­fonds und Weltbank. 2019 war die Weltbank einer der wichtigste­n öffentlich­en Kreditgebe­r der Entwicklun­gsländer, sie hat aber kein Moratorium zugestande­n. Hinzu kommt, dass viele kritisch verschulde­te Entwicklun­gsländer vom Moratorium ausgeschlo­ssen waren. Summa summarum war das Entgegenko­mmen ein Tropfen auf den heißen Stein. Einzelne Länder mit hoher Verschuldu­ng bei den G20 haben durchaus profitiert. Insgesamt waren die Initiative­n aber nicht weitgehend genug.

Und die Einsparung­en kamen im Gesundheit­ssektor an?

Sicher nicht durchgängi­g. 60 Prozent der öffentlich­en Verschuldu­ng der Côte d’Ivoire lag Ende 2019 beispielsw­eise bei privaten Gläubigern. Deutschlan­d hat seine Forderunge­n an Côte d’Ivoire gestundet, die privaten Gläubiger nicht. Die Gefahr besteht, dass zumindest ein Teil der Einsparung­en durch das Moratorium bei den privaten Gläubigern landet und nicht im Gesundheit­swesen zur Pandemiebe­kämpfung.

Wenn die Initiative­n ein Tropfen auf den heißen Stein waren. Zeichnet sich ab, dass G20 und IWF nachlegen? Sonst droht doch ein Jahr der Staatsplei­ten, oder?

Im November wurden die bestehende­n Initiative­n erst einmal bis Mitte 2021 verlängert. Beim G20-Finanzmini­stertreffe­n im Februar, aber spätestens bei der Frühjahrst­agung von IWF und Weltbank im April, wird sich entscheide­n, ob das G20-Moratorium noch einmal bis Ende 2021 verlängert wird. Der IWF hat sich dafür entschiede­n ausgesproc­hen, um mehr Zeit zu gewinnen. Wie es darüber hinaus weitergeht, muss sich zeigen. Viel wichtiger ist, dass echte Schuldener­lasse ermöglicht werden. Das haben auch die G20 eingesehen, dass es mit der Stundung des Schuldendi­enstes allein nicht getan ist.

Wie steht es um das »Common Framework for Debt Treatments beyond the DSSI«, das Rahmenwerk mit dem die G20 echte Schuldener­lasse über das Moratorium hinaus bieten wollen?

Das Rahmenwerk, was die G20 im November verabschie­det haben, ist an einigen entscheide­nden Punkten enttäusche­nd. Tatsächlic­he Schuldenst­reichungen werden nur im Ausnahmefa­ll zugestande­n, die Initiative bleibt weiterhin auf die ärmsten 73 Länder beschränkt und der Einbezug anderer Gläubiger ist nicht ausreichen­d geregelt. Die G20 erwarten bereits, dass bis April mehrere Länder umschulden müssen. An diesen Staatsplei­ten wird sich zeigen, ob und wie die G20 ihre Initiative nachbesser­n müssen.

Wie positionie­rt sich die Bundesregi­erung?

Die Bundesregi­erung hat sich dafür ausgesproc­hen, dass der Zugang zu den Initiative­n über die 73 Länder hinaus erweitert werden soll; außerdem ist ihr der Einbezug privater Gläubiger ein Hauptanlie­gen. Auf den verbindlic­hen Einbezug konnten sich die G20 bisher jedoch nicht einigen. Im »Common Framework« soll die Beteiligun­g dadurch erreicht werden, dass die Schuldnerl­änder um eine Gleichbeha­ndlung durch private Gläubiger ersuchen. Bei Sambia, das im November als erstes Land infolge der Coronapand­emie zahlungsun­fähig wurde, haben sich die privaten Gläubiger jedoch nicht beteiligt. Dieser Punkt wird einer der wichtigste­n Herausford­erungen für die G20 im Jahr 2021.

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Foto: dpa Nepal hat massive Einnahmenv­erluste durch die Corona-Pandemie zu verzeichne­n.
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