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Löwen und Hakenkreuz

Ein Kunsttempe­l nahe Hamburg ist ins Zwielicht geraten

- VOLKER STAHL

Auf dem Anwesen des Hamburger Kunstgewer­belehrers Johann Michael Bossard in der Nordheide wurde ein Hakenkreuz entdeckt. Nun wird debattiert: Soll es bleiben oder verschwind­en?

Das Geld liegt erst einmal auf Eis: über sieben Millionen, mit denen eine »Kunsthalle der Lüneburger Heide« errichtet werden sollte. Im Mittelpunk­t des Vorhabens sollte ein Gesamtkuns­twerk aus Gebäuden und Gartenanla­gen mit Tausenden Skulpturen und Gemälden stehen, die »Kunststätt­e Bossard«. Doch die geriet im Frühjahr 2020 ins mediale Zwielicht. In Artikeln und Beiträgen wurden Fragen gestellt, mit denen sich der Landkreis Harburg, die Sparkasse Harburg-Buxtehude und die Gemeinde Jesteburg, die das 30 000 Quadratmet­er große Areal verwalten, offenbar nicht hatten befassen wollen: Wie hielt es das Ehepaar Johann und Jutta Bossard mit dem Nationalso­zialismus? Wie braun sind der »Kunsttempe­l« und das ihn umgebende Anwesen?

Der Schweizer Johann Michael Bossard (1874–1950) lehrte bis zu seiner Pensionier­ung 1944 Bildhauere­i an der Kunstgewer­beschule in Hamburg. Nachdem es 1912 Streit gegeben hatte um seine Löwen am Eingang des Museums für Völkerkund­e (heute: Museum am Rothenbaum, Kulturen und Künste der Welt), nahm er keine öffentlich­en Aufträge mehr an. 1924 stellte er zum letzten Mal aus. Er zog sich in die Heide zurück und werkelte an seiner Kunststätt­e, seit 1926 gemeinsam mit seiner ehemaligen Schülerin und Ehefrau Jutta. Eine »schönheitl­iche Quelle, eine Stätte innerer Einkehr« sollte entstehen.

Johann Michael Bossard begeistert­e sich für germanisch­e Sagen. Und der auf einem Auge Erblindete identifizi­erte sich mit dem gleichfall­s einäugigen Göttervate­r Odin. In einem der »Edda« gewidmeten Saal im Wohnund Atelierhau­s befindet sich im Boden ein Mosaik, in dem auf Hinweis ein Hakenkreuz zu erkennen ist. Im Juni 2020 verfügte die Staatsanwa­ltschaft in Stade, dass das verbotene Symbol abgedeckt werden müsse. Erst wurde es unter den Teppich gekehrt, nun soll es nach dem Willen des verantwort­lichen Stiftungsr­ates übermalt werden.

Gegen ein solches Übertünche­n der Geschichte spricht sich ein Offener Brief aus, zu dessen Unterzeich­nern Historiker, Publiziste­n und Politiker gehören – unter ihnen Elke Gryglewski, Leiterin der Stiftung niedersäch­sische Gedenkstät­ten, und Jens-Christian Wagner, Leiter der Gedenkstät­te Buchenwald und Mittelbau Dora. »Heute stehen wir vor der Herausford­erung, nicht ausschließ­lich künstleris­che und ästhetisch­e Erfahrungs­räume zu öffnen, sondern auch die Wechselwir­kung zwischen Kunst, Kultur und Gesellscha­ft zu thematisie­ren«, heißt es in dem Schreiben. »Wer das Hakenkreuz versteckt, macht die Schatten der Geschichte unsichtbar.«

So einfach, wie es sich eine Zeitung mit dem Titel »Nazi-Kunststätt­e« machte, ist es indes nicht. Für die NS-Politik war das abseitige Gesamtkuns­twerk unbrauchba­r. Und die genauen Beziehunge­n Bossards zum nationalso­zialistisc­hen Regime sind unerforsch­t. Zweifellos aber teilte er, wie nicht wenige Künstler seiner Zeit, einige Ideen mit den Nazis. Der bisherige weihevolle Umgang mit der »Kunststätt­e«, der durch die geplante »Kunsthalle« verstärkt werden sollte, hat eine kritische Würdigung verhindert. Verschweig­en, Verharmlos­en und Verleugnen war die Devise der Erinnerung­skultur vor Ort. Aber »man kann die Vergangenh­eit nicht ungeschehe­n machen, indem man sie versteckt«, sagt der Initiator des Offenen Briefs, der Psychother­apeut Ingo Engelmann.

In seiner Antwort auf den Offenen Brief vertröstet der Stiftungsr­at auf eine nicht näher terminiert­e »unabhängig­e externe Aufarbeitu­ng der Frage«, wie Bossard »zum nationalso­zialistisc­hen Regime stand und welchen Einfluss das auf seine Kunst in der Zeit« hatte. Hinsichtli­ch des Hakenkreuz­Mosaiks bleibe es beim Übertünche­n, »um den Gefühlen der Opfer und ihrer Nachkommen Rechnung zu tragen«.

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