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Hohe Erwartunge­n an Prozess um Folter in Syrien

An diesem Mittwoch soll in Koblenz das Urteil gegen einen der Angeklagte­n gesprochen werden

- ANNETTE HAUSCHILD

In Koblenz findet der weltweit erste Prozess um Mord und Folter im Auftrag des syrischen Staates statt. Der syrische Geheimdien­st soll zwei Männer zu Verbrechen angehalten haben.

Menschenre­chtsorgani­sationen erwarten Signalwirk­ung von dem Prozess vor dem Oberlandes­gericht Koblenz, in dem an diesem Mittwoch das erste Urteil gesprochen werden soll. Das seit April 2020 laufende Verfahren ist das weltweit erste gegen syrische Ex-Geheimdien­stmitarbei­ter. Die Bundesanwa­ltschaft wirft dem Mitangekla­gten Eyad A. Beihilfe zu Verbrechen gegen die Menschlich­keit vor. Der Strafsenat entschied am vergangene­n Mittwoch, das Verfahren gegen ihn von jenem gegen den Hauptangek­lagten Anwar R. abzutrenne­n. Sein Prozess wird mindestens bis zum Oktober weiterlauf­en.

Laut Anklage sollen A. und R. Mitarbeite­r von Unterabtei­lungen des syrischen Allgemeine­n Geheimdien­stes gewesen sein, die für das Gouverneme­nt Damaskus zuständig waren. R. hatte demnach eine leitende Position inne, Eyad A. war Hauptfeldw­ebel unter Hafiz el-Maklouf, einem besonders brutalen Kommandier­enden. Der Abteilung 251, für die Anwar R. arbeitete, war das Al-KhatibGefä­ngnis in Damaskus angegliede­rt. Dort sollen 2011 Tausende Gefangene brutal verhört und misshandel­t worden sein, viele starben an den Folgen. R. soll die Wächter und Vernehmer, die Folterknec­hte, zum Dienst eingeteilt und überwacht haben. Die

Bundesanwa­ltschaft wirft ihm 58 Morde und die Verantwort­ung für Folter in 4000 Fällen vor. Als Leiter der Abteilung »Ermittlung­en« sei er Mittäter, auch wenn er nicht selbst gefoltert habe.

Eyad A. ist der Beihilfe zu einem Verbrechen gegen die Menschlich­keit angeklagt. Er habe den Befehl erhalten, 30 gefangene Demonstran­ten ins Gefängnis zum Verhör zu bringen. Die Gefangenen seien schon auf der Fahrt ins Gefängnis misshandel­t und im Gefängnis brutal gefoltert worden. Dass dies in der Haftanstal­t stattfinde­n würde, habe A. vorher gewusst, so die Anklagebeh­örde.

Die Ankläger forderten vergangene Woche für Eyad A. fünfeinhal­b Jahre Haft. Seine Verteidige­r plädierten auf Freispruch. Aufgrund eines »entschuldi­genden Notstandes« habe ihr Mandant die Menschen ins Gefängnis gebracht, weil ihm sonst Gefahr gedroht habe. Außerdem habe er den Befehl, Menschen zu erschießen, nicht ausgeführt.

Die Angeklagte­n waren 2012, auf dem Höhepunkt der Repression gegen die Opposition in Syrien, desertiert, Anwar R. zunächst nach Jordanien. In dieser Zeit nahm er als Mitglied einer Delegation der syrischen Opposition an Friedensve­rhandlunge­n in Genf teil, in welcher Rolle, ist unklar. Durch Vermittlun­g des prominente­n syrischen Exilpoliti­kers Riad Seif kam R. 2014 über ein Programm für besonders schutzbedü­rftige syrische Flüchtling­e mit Hilfe der Bundesregi­erung direkt nach Berlin und erhielt samt Familie Asyl. Ein Teil der Opposition versprach sich damals offenbar von höherrangi­gen Deserteure­n Informatio­nen über das Regime. 2019 bat R. die Polizei um Hilfe, weil er sich vom syrischen Geheimdien­st verfolgt fühlte. Vor Gericht bestritt er, dass es unter seiner Leitung in Al-Khatib Folter gegeben habe. Eyad A. kam erst 2018 nach Deutschlan­d. Seine Aussagen beim Bundesamt für Migration und Flüchtling­e führten dazu, dass das BKA Ermittlung­en gegen ihn aufnahm.

Wichtige Beweismitt­el waren neben den Aussagen von Folteropfe­rn die sogenannte­n »Caesar-Fotos« von Tausenden Leichen ermordeter Zivilisten, die ein Militärfot­ograf zu offizielle­n Dokumentat­ionszwecke­n 2012 und 2013 gemacht hatte, sowie geheime Regierungs­dokumente, die von Opposition­ellen gesammelt und von der Commission for Internatio­nal Justice and Accountabi­lity, einer Non-Profit-Organisati­on, seit 2011 aus Syrien herausgesc­hleust werden.

Weltweit wird dieser Prozess erwartungs­voll verfolgt. Syrische Exilanten, Folterüber­lebende, Organisati­onen wie das European Center for Constituti­onal and Human Rights (ECCHR), das am Zustandeko­mmen der Anklage mitgewirkt hatte und Nebenkläge­rin ist, sowie Amnesty Internatio­nal und Human Rights Watch erhoffen sich eine Signalwirk­ung für weitere Verfahren.

Eigentlich wäre der Internatio­nale Strafgeric­htshof in Den Haag zuständig. Aber Syrien hat sich nicht dem IStGH unterstell­t, und Russland und China verhindert­en mit ihrem Veto, dass der UN-Sicherheit­srat einem Prozess in Den Haag den Weg bahnen konnte. Daher gibt es nur die Möglichkei­t, das sogenannte Weltrechts­prinzip in einem Land anzuwenden. Nach diesem Prinzip können Kriegsverb­rechen, Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlich­keit überall strafrecht­lich verfolgt werden, egal wer sie wo begangen hat.

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