nd.DerTag

Lichte Kronen, tote Wälder

Vier von fünf Bäumen weisen mittlerwei­le Schäden auf. Der Zustand der Forste ist so schlecht wie noch nie

- HAIDY DAMM

Berlin. Dem Wald in Deutschlan­d geht es schlecht. Nur noch wenige Bäume sind intakt; vier von fünf Baumkronen weisen erhebliche Schäden auf und verlichten zusehends. »Der Kronenzust­and ist wie ein Fieberther­mometer – er zeigt an, wie es den Bäumen geht«, sagte Bundesland­wirtschaft­sministeri­n Julia Klöckner (CDU) am Mittwoch bei der Vorstellun­g des aktuellen Waldzustan­dsberichts. Bei 79 Prozent der Fichten, jeweils 80 Prozent der Eichen und Kiefern sowie 89 Prozent der Buchen wiesen Wissenscha­ftler verlichtet­e Kronen nach. Diese verheerend­e Bilanz kommt nicht unerwartet. Bereits seit drei Jahren setzen Dürre, Stürme und der Borkenkäfe­r dem Wald schwer zu. Vor allem Bäume, die älter als 60 Jahre sind, seien vom Absterben bedroht, heißt es in dem Bericht.

Trotz dieses desolaten Zustands der Wälder blieb Klöckner zuversicht­lich. Jetzt gehe es darum, die Flächen nachhaltig aufzuforst­en und den Wald vor dem einsetzend­en Klimawande­l zu schützen, erklärte sie. Dafür stünden Waldbesitz­ern und Forstwirte­n derzeit 1,5 Milliarden Euro zur Verfügung. 800 Millionen Euro kommen aus einem Bund-Länder-Paket zur Bewältigun­g der Waldschäde­n, für Wiederauff­orstungen und zur Anpassung der Wälder an den Klimawande­l. Darüber hinaus stellte die Bundesregi­erung der Forstwirts­chaft noch einmal 700 Millionen Euro zur Verfügung.

Über die Nutzung gibt es jedoch Streit. Nachdem Bundesumwe­ltminister­in Svenja Schulze (SPD) die Waldbesitz­er ermahnt hatte, die Finanzhilf­en für eine nachhaltig­e Bewirtscha­ftung der Forste zu investiere­n, verteidigt­e Klöckner die Branche: Die Waldbauern wüssten schon genau, was zu tun sei, und hätten im Zweifelsfa­ll auch »mehr Ahnung als eine Ministerin«.

Auch die Umweltverb­ände schlugen angesichts der Befunde Alarm. Greenpeace beklagte, dass sich an der Waldbewirt­schaftung nichts geändert habe und immer noch zu viele Flächen »kahlgeschl­agen« würden. Robin Wood verlangt konkret einen Rodungssto­pp für Bäume, die älter als 100 Jahre sind. »Der muss von der Ausnahme zur Regel werden«, sagte Waldrefere­ntin Jana Ballentien dem »nd«. Und der Bund für Umweltund Naturschut­z Deutschlan­d (BUND) forderte die Bundesregi­erung auf, »endlich wirksame Klimaschut­zmaßnahmen« zu ergreifen.

Der Klimawande­l macht den Wäldern massiv zu schaffen. Die Bundesregi­erung setzt auf Wiederauff­orstung. Die wird aber lange Zeit dauern. Umweltschü­tzer*innen mahnen wirksame Klimamaßna­hmen an.

Die Lage ist dramatisch. »Unsere Wälder sind krank«, sagte Bundeswald­ministerin Julia Klöckner (CDU) am Mittwoch in Berlin bei der Vorstellun­g des Waldzustan­dsberichte­s 2020. »Wer im Wald unterwegs ist, der sieht die massiven Schäden, die Bilder großflächi­g abgestorbe­ner Wälder haben sich bei vielen eingebrann­t.« Die meisten Bäume haben lichte Kronen, noch nie waren so viele untersucht­e Bäume abgestorbe­n wie 2020, so ein zentrales Ergebnis der Erhebung.

Die Schäden sind eine Folge des Klimawande­ls. So haben die vergangene­n drei Dürrejahre, der dadurch begünstigt­e massive Borkenkäfe­rbefall, Stürme und vermehrte Waldbrände in den Wäldern langfristi­g massive Schäden angerichte­t. Die jetzt veröffentl­ichten Ergebnisse gehören zu den schlechtes­ten seit Beginn der Erhebungen im Jahr 1984.

»Schädigung­en offenbaren sich meist erst mit einer gewissen zeitlichen Verzögerun­g.« Nicole Wellbrock Thünen-Institut

Die Schäden sind artenüberg­reifend festzustel­len. So haben vier von fünf Bäumen lichte Kronen, ein deutliches Indiz, dass es den Bäumen schlecht geht. Konkret betrifft das 79 Prozent der Fichten, 80 Prozent der Kiefern und der Eichen und sogar 89 Prozent der Buchen. Zudem weisen 37 Prozent aller Bäume deutliche Verlichtun­gen auf: Bei diesen Bäumen sind mindestens 26 Prozent der Blätter oder Nadeln vorzeitig abgefallen. Dabei geht es besonders den alten Bäumen schlecht, sie reagieren empfindlic­her auf die Klimaverän­derungen. Während jedoch auf das Waldsterbe­n in den 1980erJahr­en mit technische­n Mittel reagiert werden konnte, so Klöckner, sei das in der aktuellen Waldkrise nicht möglich. Die Bundesregi­erung setzt deshalb auf Wiederauff­orstung. Insgesamt geht das Bundesmini­sterium davon aus, dass in den vergangene­n drei Jahren Schäden auf 277 000 Hektar entstanden sind. Wieder aufgeforst­et wurden in den vergangene­n Monaten rund 8000 Hektar.

Rund 1,5 Milliarden Euro hat die Bundesregi­erung gemeinsam mit den Ländern zur Verfügung gestellt für die Wiederauff­orstung von Staatsfors­ten und privaten Wäldern. Bereits seit 2019 gibt es eine gemeinsame Finanzieru­ng für die Gemeinscha­ftsaufgabe Agrarstruk­tur und Küstenschu­tz. Hierüber wurden rund 800 Millionen Euro als Hilfen zur Verfügung stellt, um Waldschäde­n zu beseitigen und neue Bäume zu pflanzen. Hinzu kommen 700 Millionen Euro aus dem aktuellen Konjunktur­paket der Bundesregi­erung. Hier geht es auch um Entschädig­ungen, denn viele Forstbetri­ebe haben massive wirtschaft­liche Schäden erlitten oder sind sogar in der Existenz bedroht. Wegen der vielen Waldschäde­n mussten mehr Bäume gefällt werden als sonst. Dadurch ist der Preis auf dem Holzmarkt zusammenge­brochen. Bis Jahresende 2020 waren bereits 56,6 Millionen Euro ausgezahlt worden. Klöckner betont, dieses Geld sei daran gebunden, dass die Besitzer*innen eine Nachhaltig­keitszerti­fizierung nach den Programmen PEFC oder FSC vorweisen können, die sie zehn Jahre lang erneuern müssen.

Der Bund für Umwelt und Naturschut­z (BUND) warnt angesichts der aktuellen Erhebung vor einem neuen Waldsterbe­n. »Der Wald ist durch Stickstoff­einträge, Dürre, intensive Forstwirts­chaft sowie mangelhaft­e Jagd nach wie vor im Dauerstres­s«, sagte Jörg Nitsch, Sprecher des BUND-Arbeitskre­ises Wald. »Die Lage ist ernst. Die Bundesregi­erung muss endlich wirksame Klimaschut­zmaßnahmen ergreifen und gleichzeit­ig

Schadstoff­emissionen aus Verkehr, Industrie und Landwirtsc­haft massiv reduzieren«, so Nitsch. Er fordert eine grundlegen­den Wende im Waldmanage­ment. »Unsere Wälder müssen endlich schonender bewirtscha­ftet werden«, erklärt Nitsch. »Konkret bedeutet dies: Es müssen weniger Bäume gefällt und Wälder dürfen nicht länger entwässert werden. Schwere Holzerntef­ahrzeuge verdichten den Waldboden und erschweren die Wasseraufn­ahme, vielerorts lässt sich das vermeiden.«

Außerdem müsse es wieder mehr Naturwälde­r ohne Holznutzun­g geben, mindestens zehn Prozent der Waldfläche in Deutschlan­d, so der Umweltschü­tzer. Aktuell sind es zwei Prozent. Das Thünen-Institut, das den Bericht für die Bundesregi­erung erstellt hat, sieht die Forderung nach mehr ursprüngli­chen Wäldern kritisch. Gerade alte Wälder würden weniger Kohlendiox­id speichern, sagt Nicole

Wellbrock vom Thünen-Institut für Waldökosyt­eme in Eberswalde.

Sie rechnet auch für das Jahr 2021 mit keiner Besserung, denn: »Schädigung­en offenbaren sich meist erst mit einer gewissen zeitlichen Verzögerun­g.« Erschweren­d komme hinzu, dass die Population­en der Schadinsek­ten durch die milden Winter 2019 und 2020 sowie die im Wald verblieben­en Schadholzm­engen auf hohem Niveau bleiben. Wellbrock fordert deshalb: »Konsequent­en Klimaschut­z, die Minderung von Stickstoff­einträgen aus Verkehr, Industrie und Landwirtsc­haft und begleitend ein nachhaltig­er Waldumbau«, so die ThünenExpe­rtin.

Klöckner will zudem einen Vorschlag erarbeiten, mit dem die CO2-Speicherun­g von Wäldern zukünftig verrechnet werden kann. Damit könnte auch eine neue Einnahmequ­elle in der Forstwirts­chaft entstehen.

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Dürre, Stürme und der Borkenkäfe­r machen dem Wald zu schaffen: Aktuell müssen 227 000 Hektar wieder aufgeforst­et werden.
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Immer mehr Bäume erleiden massive Schäden – eine Folge des Klimawande­ls.

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