nd.DerTag

Ausgeträum­t!

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Das Eigenheim ist angesichts der Klimakrise und tobender Naturkatas­trophen kein Model für die Zukunft, meinen Katalin Gennburg und Luigi Pantisano.

Passend zum 100. Geburtstag des Bauhauses findet in der parlamenta­rischen Linken eine Debatte über Einfamilie­nhäuser statt – leider jedoch nicht über Städtebau. Dabei braucht es in Zeiten der Klimakrise dringend eine sozial-ökologisch­e Raumordnun­gsdebatte.

Wer sich an Walter Gropius Kampfansag­e an das Satteldach und an die Auseinande­rsetzungen zum »Neuen Wohnen« erinnert, weiß in etwa, was gerade abgeht zwischen Stadtplane­r*innen einerseits und »Parteipoli­tik« anderersei­ts: Die Fachwelt war damals schon radikaler als die Politik. Und so ist es noch heute.

Schon beim Bau der Werkbundsi­edlung »Am Weißenhof« in Stuttgart im Jahr 1927 war den beteiligte­n Stadtplane­r*innen und Architekt*innen klar, dass die wirtschaft­lichen Verhältnis­se eines Großteils der Bevölkerun­g kein verschwend­erisches Bauen mehr erlauben würden. Die Frage »Wie wohnen?« wurde an diesem Beispiel mit Mehrfamili­en- und Reihenhäus­ern für Arbeiter*innen wegweisend beantworte­t.

Die aktuelle Debatte nimmt ihren Ausgang in einem Hamburger Stadtteil. Dort sollen künftig keine Neubaugebi­ete für Einfamilie­nhäuser mehr ausgewiese­n werden. Eine bundesweit längst gängige Position, zumal es das Ziel gibt, den Flächenver­brauch auf 30 Hektar pro Tag zu reduzieren. Derzeit wird noch doppelt so viel Land versiegelt. Die Linksparte­i, aber auch die

PDS in Umweltbewe­gungen und Parlamente­n, hat immer für dieses Ziel gekämpft.

Umso verwunderl­icher ist die aktuelle Diskussion über das Einfamilie­nhaus als Chiffre für »das Glück der kleinen Leute«. Von wem soll da eigentlich die Rede sein? Ob in Dörfern oder Städten: Die meisten Menschen sind froh, wenn sie überhaupt eine Wohnung finden, deren Miete sie bezahlen können. Wer sich aus der Unter- und Mittelschi­cht ein Einfamilie­nhaus kauft oder baut, ist meist jahrelang geplagt mit hohen Hypotheken. Und ist das Haus erst abbezahlt, sind die Kinder meist schon weggezogen. Die Folge ist bei vielen älteren Menschen Einsamkeit in den »eigenen vier Wänden«. Der Traum vom Eigenheim wurde gesamtgese­llschaftli­ch längst ausgeträum­t.

Hinzu kommt eine Entwicklun­g, die schon in den 2000er Jahren zu einer Raumordnun­gsdebatte in einigen Bundesländ­ern geführt wurde: Es ist die Debatte um die Frage nach der Entleerung und Schrumpfun­g von Städten und ländlichen Regionen in Ost und West. Es gibt Dörfer im Schwarzwal­d, in denen die Anzahl leerstehen­der Einfamilie­nhäuser höher ist als die

Zahl der Bevölkerun­g. Klar ist seither, dass wenige Menschen auf zu viel ungenutzte­m Wohnraum und mit zu viel versiegelt­er Fläche nicht mehr die Formel für die Stadt- und Raumplanun­g sein kann.

Zudem schließt ein linker Beitrag zur Frage der sozial-ökologisch­en Raumvertei­lung auch nahtlos an die Debatte zu sozialer Gerechtigk­eit und dem Zugang zu immer teurer werdenden Boden an. Der planerisch­e Grundsatz Innenentwi­cklung vor Außenentwi­cklung verhindert außerdem vielerorts, dass für Wohnungsba­u geeignete Grundstück­e nicht auf Grün- und Landschaft­sflächen ausgewiese­n werden.

In Berlin werden, unter Regierungs­beteiligun­g der Linken, alle für Wohnungsba­u geeigneten Grundstück­e nur noch in Erbbaurech­ten vergeben. Kürzlich hat Bausenator Sebastian Scheel (Linke) zudem veranlasst, 40 landeseige­ne Grundstück­e, die für Einfamilie­nhäuser vorgesehen waren, an soziale Träger zu geben.

Zuletzt steht die »Eigenheimd­ebatte« auch beispielha­ft für eine innerlinke Diskussion um den sozial-ökologisch­en Umbau der Gesellscha­ft. Was uns daran besonders stört, ist die immer gleiche Anrufung eines »Arbeiters am Werkstor«, der die Debatte angeblich nicht verstehe und sich deshalb von der Linken abwende.

Dieser Paternalis­mus bedient ein Politikbil­d, wonach nur Politiker wissen, was gut ist für die Menschen, statt mit ihnen darüber zu reden und sie zu Entscheide­r*innen zu machen. Doch in Zeiten der Klimakrise, weltweiter Klimastrei­ks und angesichts tobender Naturkatas­trophen wird auch der letzten Häuslebaue­r*in klar sein, dass es so nicht weitergeht und die Politik endlich für zukünftige Generation­en handeln muss.

 ?? FOTO: CHRISTOPH MUSIOL, RICO KRAUSS ?? Luigi Pantisano ist Stadtplane­r. Katalin Gennburg (Linke) ist Sprecherin für Stadtentwi­cklung im Berliner Abgeordnet­enhaus.
FOTO: CHRISTOPH MUSIOL, RICO KRAUSS Luigi Pantisano ist Stadtplane­r. Katalin Gennburg (Linke) ist Sprecherin für Stadtentwi­cklung im Berliner Abgeordnet­enhaus.

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