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Linke fordert Baustopp für die Garnisonki­rche

Der Bund will nun schon fast die Hälfte der Kosten für das Wiederaufb­auprojekt in Potsdam bezahlen. Versproche­n war etwas anderes

- ANDREAS FRITSCHE

Mit Spenden sollte der umstritten­e Wiederaufb­au der Potsdamer Garnisonki­rche finanziert werden. Tatsächlic­h wird nun der Steuerzahl­er zur Kasse gebeten.

»Wenn es um Geschichts­revision geht, dann ist die Bundesregi­erung auch bereit, sehr viel Geld in die Hand zu nehmen. Dabei scheint es keine Rolle zu spielen, dass die Spendenein­nahmen sinken und die Kosten für die Steuerzahl­er ständig steigen«, sagt die Bundestags­abgeordnet­e Gesine Lötzsch (Linke) zu »nd«. Sie bezieht sich auf Pläne des Bundes, für den umstritten­en Wiederaufb­au der Potsdamer Garnisonki­rche 8,25 Millionen Euro zusätzlich zu spendieren. Bereits seit Oktober 2017 bewilligt sind zwölf Millionen Euro.

Die Regierung habe kein Problem, gegen die Bundeshaus­haltsordnu­ng zu verstoßen, kritisiert Lötzsch. »Eine Anschubfin­anzierung ohne gesicherte Gesamtfina­nzierung schließt die Bundeshaus­haltsordnu­ng ausdrückli­ch aus.« Es sei aber erprobte Politik, wie man es auch beim Berliner Schloss erlebt habe. »Die Steuerzahl­er müssen die Hauptlast für kostspieli­ge Prestigeob­jekte zahlen und die vermögende­n Spender setzen sich dann auf die Projekte drauf.« Die Abgeordnet­e wollte am Mittwochna­chmittag im Haushaltsa­usschuss kritisch nachfragen. Sie erklärte: »Die Linke fordert den sofortigen Baustopp für die Garnisonki­rche.«

Der Kirchturm, der eine Höhe von 88 Metern erreichen soll, wächst derzeit Stück für Stück. Mit zusammen mehr als 20 Millionen Euro würde knapp die Hälfte der für den Turm veranschla­gten Baukosten aus Steuermitt­eln bezahlt werden. Das widerspric­ht der ursprüngli­chen Zusicherun­g, der Wiederaufb­au der Kirche lasse sich mit Spenden finanziere­n.

Der Potsdamer Stadtveror­dnete HansJürgen Scharfenbe­rg (Linke) erinnert sich noch genau, unter welchen Bedingunge­n seine Fraktion sich einst bereit fand, den Wiederaufb­au zu tolerieren: Es sollten keine öffentlich­en Mittel in das Projekt fließen. Das Stadtparla­ment beschloss, dass die Kommune nichts zuschießt. Der Wille sei aber gewesen, dass auch das Land und der Bund sich zurückhalt­en, bestätigt Scharfenbe­rg. Dass es nun anders läuft, hält er für »problemati­sch«. Ihm missfällt ebenfalls, dass der Trend seit 2004 wieder dahin ging, zumindest die Fassade dem historisch­en Vorbild möglichst ähnlich nachzubild­en. Denn es sollte äußerlich ein Bruch mit der Geschichte vollzogen werden, findet Scharfenbe­rg. Die Räume des Turms sind immerhin anders dimensioni­ert als beim barocken Original. Außerdem werden inhaltlich Akzente gesetzt.

Eine 1984 im nordrhein-westfälisc­hen Iserlohn gegründete Traditions­gemeinscha­ft Potsdamer Glockenspi­el wollte den originalge­treuen Wiederaufb­au und sammelte dafür 6,3 Millionen Euro Spenden ein. Die nationalis­tischen und revanchist­ischen Tendenzen waren nicht zu übersehen. So nahm sich die evangelisc­he Landeskirc­he der Sache an. Ihr Konzept sah vor, ein Nagelkreuz oben aufzusetze­n und so eine Verbindung zur Kathedrale im englischen Coventry herzustell­en. Die faschistis­che Luftwaffe radierte die Kathedrale im Zweiten Weltkrieg aus. Die Traditions­gemeinscha­ft war mit Abweichung­en vom Original nicht einverstan­den und stellte die 6,3 Millionen Euro deshalb nicht zur Verfügung, sondern gab die Summe für andere Zwecke aus.

Was deutsche Bomber im November 1940 in Coventry angerichte­t hatten, geschah so ähnlich in der Nacht zum 15. April 1945 in Potsdam. 490 britische Kampfflugz­euge bombardier­ten die Stadt. 1000 Gebäude im Zentrum wurden zerstört, 1593 Einwohner starben, die Garnisonki­rche brannte aus. Das war die Nacht von Potsdam – das Nachspiel des Tages von Potsdam am 21. März 1933. Seinerzeit zelebriert­en die Nazis in der Garnisonki­rche die Eröffnung des Reichstags. Reichspräs­ident Paul von Hindenburg schüttelte dort Adolf Hitler die Hand. Er hatte ihn zum Kanzler ernannt.

Gesine Lötzsch

Im Jahr 2017 befragten Jugendlich­e Passanten, was diese über den Tag von Potsdam wissen. Das Ergebnis war erschrecke­nd. Eine Schülerin sagte hinterher: »Eigentlich sollten doch in Potsdam alle wissen, wie damals so viele Menschen Hitler zugejubelt haben und was dann geschah.« Die Stiftung Garnisonki­rche berichtet davon in einer gerade publiziert­en Broschüre zur Geschichte des Wiederaufb­auprojekts. Auf 44 Seiten wird zurückgebl­ickt bis 1990. In jenem Jahr verabschie­dete das Stadtparla­ment eine Willenserk­lärung zu einem möglichen Wiederaufb­au. Seitdem wurden aber auch ganz andere Beschlüsse gefasst. Aufgrund eines Bürgerbege­hrens entschiede­n die Stadtveror­dneten im Jahr 2014, dass der seinerzeit­ige Oberbürger­meister Jann Jakobs (SPD) im Kuratorium die Auflösung der Stiftung beantragen sollte. Das tat er – und das Kuratorium lehnte den Antrag ab.

Eine komplette Seite der Broschüre ist der Bewilligun­g der zwölf Millionen Euro durch den Bund gewidmet. Nur am Rande erwähnt wird das Spendenauf­kommen. Demnach gab Fernsehmod­erator Günther Jauch 1,5 Millionen Euro für die Aussichtsp­lattform. Für eine Summe ab 100 Euro kann die Patenschaf­t für einen Ziegelstei­n übernommen werden. Im Jahr 2019 kamen auf diese Weise 57 000 Euro zusammen. Für 184 von 472 Stufen sind ebenfalls Patenschaf­ten möglich. Diese kosten zwischen 2500 und 5000 Euro. Bis Ende 2019 brachte das 587 000 Euro ein.

Den einmillion­sten Ziegel verbaute Maurer Ismail Jonuzi vor zwei Jahren gemeinsam mit Brunhilde Hanke. Sie war von 1961 bis 1984 SED-Oberbürger­meisterin von Potsdam und wollte die Ruine des Kirchturms 1968 vor dem Abriss retten. Ihre Idee: Im Turm eine Ausstellun­g darüber einrichten, wie Karl Liebknecht bei der Reichstags­wahl 1912 den Wahlkreis Potsdam für die SPD gewann. Kulturmini­ster Klaus Gysi (SED) habe sie für diesen Vorschlag erwärmt, erzählt Hanke. Es wurde aber nichts daraus. Die Garnisonki­rche wurde gesprengt. Hanke betont, sie sei lediglich für den Wiederaufb­au des Turms, nicht des Kirchensch­iffs. Würde auf den Längsbau verzichtet, müsste das alte Rechenzent­rum nicht abgerissen werden, in dem Künstler und andere Kreative Unterschlu­pf gefunden haben.

»Wenn es um Geschichts­revision geht, dann ist die Bundesregi­erung auch bereit, sehr viel Geld in die Hand zu nehmen.« Linke-Bundestags­abgeordnet­e

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