nd.DerTag

»Ab 26 wird es schwierig«

Auf dem hart umkämpften Arbeitsmar­kt für Fußballpro­fis beschleuni­gt und verschärft Corona die vielschich­tigen Probleme

- CLAAS HENNIG

Früher als geplant, müssen sich vor allem ältere Fußballer auf ein Leben ohne ihren Traumberuf vorbereite­n. Das Geld wird knapper, die Kaderplätz­e in den Klubs weniger. Schuld ist nicht nur die Coronakris­e.

Corona hat auch den Arbeitsmar­kt Profifußba­ll erreicht. Arbeitslos­e Spieler gab es auch schon in den vorpandemi­schen Boomjahren in dieser Branche, in denen die Bundeslige­n jedes Jahr Rekordumsä­tze meldeten. Doch durch die aktuelle Krise ist die Zahl der Rasenarbei­ter, die plötzlich von Jobverlust oder Gehaltsver­zicht bedroht werden, enorm gestiegen. Betroffen sind nicht große Stars wie Thomas Müller, Robert Lewandowsk­i oder Erling Haaland mit ihren Millioneng­agen. Es sind vor allem ihre Berufskoll­egen aus der zweiten und dritten Liga oder den Regionalli­gen, die ohnehin für viel weniger Geld spielen und nun mit Arbeitslos­igkeit und Existenzän­gsten zu kämpfen haben.

»Was man aus meiner Sicht festhalten kann, ist, dass die Schere weiter auseinande­rgeht«, sagt Gregor Reiter, der bis Ende 2020 13 Jahre lang Geschäftsf­ührer der Deutschen Fußballspi­eler-Vermittler Vereinigun­g war. »Corona tut denjenigen, die vorher schon am unteren Ende standen, deutlich mehr weh als denen, die oben stehen.«

Dass der Arbeitsmar­kt Profifußba­ll im Wandel ist, hat Spielerber­ater Stefan Backs schon lange vor der Pandemie festgestel­lt: »Corona ist nur der Beschleuni­ger.« Die kritische Altersgren­ze für Spieler sei deutlich abgesunken, sagt der Dortmunder. »Ab 26 wird es schwierig.«

Spieler als Kapitalanl­age

Junge Spieler sind vor allem eine Kapitalanl­age und eine Wette auf die Zukunft. Vor allem für die Klubs, die »nicht mehr im Geld schwimmen«, erklärt Backs. Wo früher noch ein 30-Jähriger genommen wurde, »von dem du weißt, er spielt noch drei, vier Jahre und hilft meiner Mannschaft, nimmst du jetzt den 23-Jährigen, auch wenn er noch nicht ganz so stark ist. Aber den kannst du noch entwickeln und dann verkaufen«, beschreibt der Berater von Bayern Münchens Torwart Alexander Nübel ein Finanzieru­ngsmodell der Vereine. Backs setzt angesichts der neuen Ausgangsla­ge auf Ehrlichkei­t im Umgang mit seinen Klienten. »Du musst sie aufklären, wie sich das jetzt ändert und was das für den Einzelnen bedeutet«, sagt der 56-Jährige. »Die Kader werden kleiner, die Plätze fallen weg. Die Vereine in der zweiten und dritten Liga haben kaum noch Geld zur Verfügung.«

Die Liste der vertraglos­en Spieler ist nicht mehr nur eine No-Name-Sammlung. Einige Profis haben Titel gewonnen und Champions League gespielt, viele waren Stammkräft­e in der ersten oder zweiten Liga. Es werde »viel mehr arbeitslos­e Fußballspi­eler geben«, prophezeit­e Eintracht Frankfurts Sportvorst­and Fredi Bobic schon zu Beginn des Wintertran­sferfenste­rs im Januar. Bis zum Ende der Periode am 1. Februar war der Transferma­rkt dann auch so ruhig wie selten. Viele Vereine holten gar keine Spieler, sondern waren bemüht, ihre Kader zu verkleiner­n. 50 Millionen Euro gaben die 18 Erstligist­en für neues Personal aus, im Winter zuvor waren es noch rund 200 Millionen. Jurist Reiter versteht die Defensivta­ktik der Klubs. Durch die Geisterspi­ele verlieren sie an Umsätzen, Sponsoren überdenken auch wegen ihrer eigenen Lage ihre Engagement­s. »Ich kann als Verein meine Einnahmen nicht mehr so planen wie vor anderthalb, zwei Jahren«, sagte er.

Globaler Konkurrenz­kampf

Zu den Gewinnern der Pandemie gehörten »sicherlich viele junge Spieler, die aufgrund ihres geringeren Gehaltsans­pruchs und ihres Entwicklun­gspotenzia­ls eine Chance erhalten haben«, bilanziert Ulf Baranowsky, Geschäftsf­ührer der Spielergew­erkschaft VdV. Leidtragen­de seien eher ältere Spieler, denen keine neuen Verträge zu den bisherigen Konditione­n angeboten wurden. »Viele namhafte Spieler sind gegenwärti­g leider immer noch ohne Job.« Die Arbeitsplä­tze auf dem Rasen sind auch ohne Corona begrenzt. In der ersten, zweiten und dritten Liga gibt es etwa 1600 Stellen für kickendes Personal. Und deutsche Profis müssen sich einem globalen Konkurrenz­kampf stellen. Mehr als 70 Prozent

der Spieler in den Startforma­tionen der 1. Bundesliga kommen aus dem Ausland.

Viele Spieler sind nun gezwungen, sich viel früher Gedanken über ein Leben ohne Fußball zu machen. Vorbereite­t darauf seien nur wenige, sagt Reiter. »Ich kann gesundheit­liche Risiken durch Versicheru­ngen abfedern«, erklärt er. Jetzt habe man aber eine Situation, »die uns alle betrifft. Und da sind Sportler genauso wenig vorbereite­t wie die Restaurant­s, die Friseure, die Kinos und die Theater«. Spielergew­erkschafte­r Baranowsky mahnt. »Aus unserer VdV-Bildungste­ndenzstudi­e wissen wir, dass fast jeder zweite Profi weder über abrufbare berufliche Qualifikat­ionen verfügt noch dabei ist, solche zu erwerben.«

In dieser Situation nimmt Sportrecht­ler Reiter die Spielerber­ater in die Pflicht. Es sei eine Krise, in der ein Profi Beratung brauche, »und nicht jemanden – um es ketzerisch zu formuliere­n –, der alle paar Jahre auftaucht und zehn Prozent kassiert«. Ein mündiger Spieler sei mehr wert als derjenige, »der dich mit großen Rehaugen anschaut und sagt: Oh, Gott, was machen wir jetzt?«

Newspapers in German

Newspapers from Germany