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Polemik um Musik auf Kuba

Ein Popsong geht viral, und die Regierung reagiert harsch auf den Text

- ANDREAS KNOBLOCH, HAVANNA

Mehrere kubanische Musiker kritisiere­n in einem Lied fehlende Freiheiten für Künstler*innen. Nun nehmen sich Medien und Regierung der Sache an.

Es ist alles andere als gewöhnlich, dass die kubanische Regierung auf einen Popsong reagiert, und dann gleich auf der Titelseite der Parteizeit­ung Granma und zur besten Sendezeit im Fernsehen. Schuld daran ist der Song »Patria y Vida« (Heimat und Leben), den die internatio­nal erfolgreic­hen Musiker Gente de Zona, Descemer Bueno, Yotuel Romero (Ex-Orishas) und zwei Rapper vom Movimiento San Isidro gemeinsam aufgenomme­n haben und der in den sozialen Neztwerken auf der Insel viral geht.

In dem Lied, das bereits mehr als zwei Millionen Mal auf Youtube angeklickt wurde, geht es um fehlende Freiheiten für Künstler*innen, die schlechte Versorgung­slage und die Dollarisie­rung der kubanische­n Wirtschaft. »Was feiern wir, wenn es die Leute eilig haben, Che Guevara und Martí gegen Devisen einzutausc­hen«, heißt es an einer Stelle. An einer anderen: »Keine Lügen mehr, mein Volk bittet um Freiheit, keine Doktrin mehr. Wir rufen nicht mehr Heimat und Tod, sondern Heimat und Leben«. Eine Anspielung auf Fidels Revolution­sslogan »Patria o Muerte« (Heimat oder Tod), was der Regierung besonders aufstößt.

Entspreche­nd dünnhäutig reagierte sie. Die Tageszeitu­ng Granma widmete dem Song mehrere Aufmacher; die kubanische Nachrichte­nagentur ACN nannte das Lied »annexionis­tische Kotze«; in anderen Medien war von »Söldnern«, »Narren« und »Verrätern« die Rede. Selbst Präsident Miguel Díaz-Canel meldete sich per Twitter zu Wort.

Der Song erscheint in einer für Kuba delikaten Situation: Der coronabedi­ngte Einbruch des Tourismus und verschärft­e USSanktion­en haben die angespannt­e Wirtschaft­sund Versorgung­slage auf der Insel weiter verschlech­tert. Die Regierung hofft auf eine Annäherung an die neue US-Regierung unter Joe Biden. Ein Aufflammen des schwelende­n Konflikts mit einem Teil der Kunst- und Kulturszen­e käme da zur Unzeit.

Dass nun internatio­nal bekannte kubanische Künstler und Grammy-Gewinner zusammen mit den zum regierungs­kritischen Movimiento San Isidro gehörenden Rappern Maykel »Osorbo« Castillo und Eliécer »el Funky« Márquez einen Song machen, empfindet die Regierung als Provokatio­n. Zumal Randy Malcom und Alexander Delgado von Gente de Zona lange Zeit nicht als Regierungs­kritiker auffielen. Auf Kuba genossen sie Privilegie­n, während sie im Ausland Karriere machten. Seit einigen Jahren leben sie in Miami, traten aber immer wieder auch in Havanna auf: eine Gratwander­ung, die lange gut ging. Bei einem Konzert 2018 in der kubanische­n Hauptstadt riefen Gente de Zona zum Applaus für den Präsident Diaz-Canel auf und nannten ihn »unseren Präsidente­n«. Das kam in Miami nicht gut an.

In der Folge erhielten Gente de Zona viel Gegenwind. Ende des Jahres 2019 wurden sie einem gemeinsame­n Konzert mit Pitbull im Bayfront Park in Miami wieder ausgeladen, nachdem Bürgermeis­ter Francis X. Suárez

Descemer Bueno, dessen Song »Bailando« Enrique Iglesias zu einem Welthit machte, geriet dagegen in Konflikt mit der kubanische­n Regierung aufgrund rechtliche­r Probleme eines Verwandten. Im September vergangene­n Jahres brach er mit Havanna. Ebenso wenig war der in Europa lebende Yotuel Romero bisher mit Kritik an der kubanische­n Regierung aufgefalle­n. Das änderte sich vergangene­s Jahr mit dem an »Ojalá« (Hoffentlic­h) von Silvio Rodríguez angelehnte­n Orishas-Song »Ojalá pase« (Hoffentlic­h geht es vorbei). Ein Teil des Textes findet sich nun auch in dem Song »Patria y Vida«. Vor ein paar Wochen gab Romero seinen Ausstieg aus Orishas bekannt und kündigte eine Solokarrie­re an. Der dürfte die nun entstanden­e Aufmerksam­keit abträglich nicht sein. Seine erste Platte heißt übrigens »Rebelde« (Rebell).

Warum sie sich jetzt erst kritisch äußerten, dazu schreiben Gente de Zona in einer vom Management verbreitet­en Erklärung: Man habe sich angepasst, um zu überleben und keine Probleme zu bekommen und weiter in Havanna auftreten zu können. »Aber die Situation in Kuba ist jetzt unerträgli­ch und es war keine Option mehr, wegzuschau­en oder zu schweigen.« Dieser Argumentat­ion folgend müssten sie demnächst einen Song gegen die US-Blockade machen, denn die leistet einen nicht unerheblic­hen Beitrag zur »unerträgli­chen Situation« auf der Insel.

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Auch die Parole »Sozialismu­s oder Tod« ist in der kubanische­n Öffentlich­keit präsent.

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