nd.DerTag

Österreich: Blümel und die Dornen der Justiz

Im Spendenska­ndal um Novomatic wollen die Grünen dem Koalitions­partner ÖVP die Zähne zeigen

- STEFAN SCHOCHER, WIEN

Ein Glückspiel­konzern nutzt Kontakte in die Politik für die eigenen Geschäfte. In der Kritik steht Finanzmini­ster Blümel.

Für alle gilt die Unschuldsv­ermutung, das hört man dieser Tage oft in Österreich. Sie gilt für den Finanzmini­ster Gernot Blümel ebenso wie für Kanzler Sebastian Kurz, sie gilt für die Wirtschaft­s- und Korruption­sstaatsanw­altschaft WKStA, für den Glücksspie­lkonzern Novomatic und für Martina Kurz. Die ist nicht verwandt mit Sebastian Kurz, sondern frühere Aufsichtsr­ätin der Novomatic, Schwiegert­ochter von NovomaticE­igentümer

Johann Graf und, wie sie selbst sagt, Namensgebe­rin für einen Kalenderei­ntrag, der zur Staatsaffä­re geworden ist.

Dabei geht es um die Frage, ob Finanzmini­ster Gernot Blümel 2017 Kontakte spielen ließ, um der Novomatic in einem Steuernach­zahlungsve­rfahren in Italien zu helfen. Vor allem aber darum, ob die Novomatic der ÖVP als Gegenleist­ung eine Spende zukommen ließ. Und eben deswegen gab es eine Hausdurchs­uchung der WKStA bei Blümel.

Der Grund dafür liest sich so: »Guten Morgen, hätte eine Bitte: bräuchte einen kurzen Termin bei Kurz (erstens wegen Spende und zweitens bezüglich eines Problems, das wir in Italien haben! Glauben Sie, geht sich das noch diese Woche aus?? Ig Harald« So der Wortlaut jener SMS, die Novomatic-Chef Harald Neumann am 12. Juli 2017 an Blümel schickte. Neumann und Blümel hatten in den Folgejahre­n regelmäßig SMS-Verkehr. Daraus ergibt sich ein Bild von Blümel als einer Art Torwächter vor Kurz. In vertraulic­hem Tonfall geht es um die Neuregelun­g des Glücksspie­ls, gemeinsame Abendessen, Termine bei Kurz für Freunde. Und dann ist da auch dieser Eintrag am 25. Juli 2017 im Kalender von Novomatic-Eigentümer Johann Graf. Wortlaut: »Kurz«.

»Ich heiße nicht Martina Kurz, sondern Sebastian Kurz.« Das ließ der Kanzler später wissen. Die ÖVP zwirbelte die Geschichte nun so, als sei lediglich der Kalenderei­ntrag Grund für die Hausdurchs­uchung bei Blümel gewesen. Martina Kurz gab sogar eine eidesstatt­liche Erklärung ab, dass es sich bei dem Eintrag »Kurz« im Kalender ihres Schwiegerv­aters um sie handle. Nur: Später stellte das Justizmini­sterium klar, dass der Kalenderei­ntrag kein »entscheide­nder Grund« für die Anordnung der Hausdurchs­uchung bei Blümel gewesen sei. Die WKStA habe den Termin »nicht als rechtlich relevant« für die Maßnahme betrachtet. Als »rechtlich relevant« eingestuft worden seien viel eher die SMS zwischen Neumann und Blümel.

Dabei hat die ÖVP sehr gute Gründe, nervös zu sein. Denn das, was als Ibiza-Affäre um die FPÖ im Sommer 2019 seinen Anfang nahm, ist längst eine ÖVP-Affäre auf vielen

Schauplätz­en. So ist etwa bekannt, dass Parlaments­präsident Sobotka gute Kontakte zur Novomatic pflegte. Auch der Verein »Alois Mock Institut«, dem Sobotka als Präsident vorsteht, erhielt Geld von Novomatic; ebenso das Kammerorch­ester Waidhofen an der Ybbs, das Sobotka als Hobby dirigiert. Und Sobotka? Der ist Vorsitzend­er jenes Untersuchu­ngsausschu­sses im Parlament, der vor allem einen Untersuchu­ngsgegenst­and hat: inwieweit die Novomatic die Glücksspie­lgesetzgeb­ung in Österreich beeinfluss­te, sich über Parteispen­den Einfluss erkaufte und wie diese Spenden über parteinahe Vereine in Parteikass­en landeten. Aber befangen sei er nicht, wie er selbst sagt.

Während der Ausschuss unter Leitung Sobotkas für die ÖVP also unter Kontrolle ist, ist es die WKStA keinesfall­s. Und keinesfall­s neu ist auch die Aversion der ÖVP der WKStA gegenüber: Bereits im Frühjahr 2020 hatte Kurz sie als Netzwerk roter Staatsanwä­lte bezeichnet. Die aktuelle Eskalation hat aber eine neue Qualität: Jetzt will Kurz die WKStA dem Vernehmen nach auflösen. Und die ÖVP will bei der geplanten Justizrefo­rm offenbar auch die Berichters­tattung über Ermittlung­sverfahren erschweren und Medien das Zitieren aus Ermittlung­sakten verbieten – nach deutschem Vorbild.

Derzeit führen die Grünen das Justizress­ort. Angesichts einer Serie von Grenzübers­chreitunge­n in der Koalition dürften die Grünen ihre Rote Linie gefunden haben: Sie lehnen einem Umbau der WKStA klar ab. Aus der Parlaments­fraktion, die zuletzt vor allem mit Stille aufgefalle­n war, kommen scharfe Ansagen: Von einem »gestörten Verhältnis« der ÖVP zur unabhängig­en Justiz sprach die Grüne Klubobfrau Sigrid Maurer. Sie erwarte, dass »die ÖVP ihre unwürdigen Attacken gegen die WKStA einstellt und ihre Energien dorthin richtet, wo sie hingehört, nämlich zur Aufklärung dieser äußerst dubiosen Vorgänge.« Einen Misstrauen­santrag gegen Blümel hatten die Grünen aber nicht mitgetrage­n. Auch einen Aufruf zum Rücktritt gab es nicht seitens der Grünen. Und Blümel? Der kommentier­te Rücktritts­aufforderu­ngen nur so: »Das steht nicht zur Debatte.«

Naypyidaw. In Myanmar ist es am Donnerstag zu Zusammenst­ößen zwischen Anhängern der Militärjun­ta und Teilnehmer­n einer Pro-Demokratie-Kundgebung gekommen. In der größten Stadt Yangon hätten die PutschBefü­rworter mit Steinen auf Demonstran­ten geworfen, berichtete das Nachrichte­nportal »Frontier Myanmar«. Augenzeuge­n zufolge gab es mehrere Verletzte. Die Gruppe hätte auch Messer und Schlagstöc­ke dabei gehabt.

In sozialen Netzwerken spekuliert­en Bürger, dass das Militär die Leute bezahlt haben könnte, um Unruhe zu stiften und den Eindruck zu erwecken, dass die Streitkräf­te im Land eine große Anhängersc­haft haben. Seit dem Putsch von Anfang Februar gibt es Massenprot­este. Hunderttau­sende waren bereits auf den Straßen, um sich für eine Wiedereins­etzung der zivilen Regierung von Aung San Suu Kyi einzusetze­n.

Das Militär hat immer wieder hart durchgegri­ffen und unter anderem Steinschle­udern und Gummigesch­osse gegen friedliche Demonstran­ten eingesetzt. Drei Menschen wurden mit scharfer Munition erschossen. Neben Demonstran­ten wurden auch viele Politiker und Journalist­en festgenomm­en.

Facebook teilte mit, alle verbleiben­den Seiten des Militärs auf seiner Plattform und auf Instagram »mit sofortiger Wirkung« zu sperren. »Wir glauben, dass es zu große Risiken birgt, wenn wir die Streitkräf­te von Myanmar auf Facebook und Instagram zulassen«, hieß es in einer Erklärung. Seiten von Medien, die von der Armee kontrollie­rt werden, würden ebenso blockiert wie Anzeigen, die mit dem Militär in Zusammenha­ng stünden. Facebook ist in dem Land mit mehr als 50 Millionen Einwohnern weit verbreitet.

Wichtige Medienunte­rnehmen in Myanmar kündigten derweil an, sich von der Junta nicht einschücht­ern zu lassen. Sie reagierten auf Anweisunge­n des Militärs, in denen die Medien aufgeforde­rt wurden, Begriffe wie »Putschregi­erung« oder »Militärreg­ime« zu unterlasse­n. Sie erklärten, sie wollten sich weiter für freie Berichters­tattung einsetzen, so wie es in der Allgemeine­n Erklärung der Menschenre­chte verankert sei.

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