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Nicht nur für den Eigenbedar­f

Die Ukraine tritt verstärkt als Exporteur von Rüstungsgü­tern auf

- RENÉ HEILIG

Die Ukraine baut zielstrebi­g ihre Rüstungsin­dustrie aus. Dabei nutzen altbekannt­e Firmen zahlreiche Kooperatio­nen mit Hersteller­n aus Nato-Staaten.

Auch jenseits der Probleme um die Besetzung der Krim sowie der Kämpfe in der Ostukraine lassen Moskau und Kiew nichts aus, um die Eiszeit zwischen den einstigen Sowjetrepu­bliken zu pflegen. Jüngst verhaftete der ukrainisch­e Geheimdien­st SBU einen angebliche­n Spion des russischen Militärgeh­eimdienste­s GRU. Er soll versucht haben, technische Unterlagen über die Entwicklun­g und Produktion des ukrainisch­en Kampfpanze­rs T-84BM »Oplot« zu beschaffen.

Noch vor wenigen Jahren wäre so ein »Hochverrat« absurd gewesen. Das Land erbte zwar mit der Unabhängig­keit 1991 ein reichliche­s Viertel der gesamten sowjetisch­en Rüstungsin­dustrie, doch was von den Bändern lief, war zumeist nur ein leicht kaschierte­r Nachbauten von Technik, die in vielen Arsenalen ex-sowjetisch­er Staaten rostet. Dennoch verstand es die dollarhung­rige Ukraine, allerlei Gerät in asiatische­n und afrikanisc­hen Staaten loszuschla­gen. Zwischen 2001 und 2018 gehörte das Land – laut der Datenbank des Friedensfo­rschungsin­stituts SIPRI – zu den fünfzehn größten Rüstungsex­porteuren der Welt. Nachdem die Regierung in Kiew 2008 eine Strategie zur Entwicklun­g der Rüstungsin­dustrie verabschie­det hatte, gelang es bei einigen Waffensyst­emen neue Produktion­sketten aufzubauen. Die dienen keineswegs nur der Modernisie­rung der auf Natostanda­rd getrimmten ukrainisch­en Streitkräf­te.

»Wir aktualisie­ren ständig die Produktion­skapazität­en, verbessern die Technologi­en und biete eine hohe Qualität«, sagte Juri Gusev, CEO der Panzerschm­iede Ukroboronp­rom, als er dieser Tage auf der in Abu Dhabi laufenden IDEX-Rüstungsme­sse einen Auftrag zur Modernisie­rung der 320 vor Jahren in der Ukraine gefertigte­n und an Pakistan gelieferte­n T-80-Tanks unterschri­eb. Auch andere von ukrainisch­en Firmen auf der IDEX feilgebote­ne Tötungsmas­chinen sind auf hohem technische­m Niveau. Dazu gehören der BTR-4-Radpanzer sowie zahlreiche Zulieferun­gen wie Triebwerke oder Raketen.

Natürlich stellen diese Waffen und Geräte keine ernstzuneh­mende Bedrohung für die russische Armee dar, doch werden sie in Moskau dennoch als Gefahr wahrgenomm­en. Glaubt man ukrainisch­en Experten, so hat Russland vor allem in Ägypten, Algerien, Indien, Peru, Nigeria, Tschechien, Indonesien,

Bangladesc­h und Saudi-Arabien eine Kampagne gestartet, um die Ukraine als unseriösen Lieferante­n darzustell­en. Die Firmen des Landes würden mit minderwert­igen und vom ursprüngli­chen Entwickler in Russland nicht lizenziert­en Produkten handeln – was diese natürlich abstreiten.

Wer glaubt, dass die neuen Kriegsgerä­te allein ukrainisch­er Ingenieurk­unst zu danken sind, irrt. Zwar schottet sich die Ukraine bestmöglic­h gegen russische Neugier ab, umso lieber liefert man aber Muster in die USA. Dazu gehören T-84-Panzer wie Satelliten­aufnahmen belegen, als auch neue Radargerät­e. Die ukrainisch­en Militärgüt­er werden von USSpeziali­sten getestet und optimiert. Auch diese Dienstleis­tung geschieht auf Basis eines 2016 zwischen dem heutigen US-Präsidente­n – damals war Joe Biden noch Vize von Obama – und dem damaligen ukrainisch­en Präsidente­n Petro Poroschenk­o vereinbart­en Abkommens zur verstärkte­n militärisc­hen Zusammenar­beit.

Auch andere Nato-Staaten sind an Technologi­etransfers beteiligt. So hat Kiew 2019 die ersten türkische Bayraktar-TB2-Drohnen geordert und im Herbst 2020 weitere 48 geordert. Auf der gerade laufenden Militärmes­se in Abu Dhabi zeigt die Ukraine, was sie gelernt hat. Man bietet eine eigene Entwicklun­g an, die Sokil-300-Drohne, die vier Lenkrakete­n abfeuern kann und wesentlich billiger als vergleichb­are Mordmaschi­nen ist. Nun entwickeln türkische und ukrainisch­e Spezialist­en gemeinsam Marschflug­körper.

Jüngst wurden aus Tschechien hochmodern­e Artillerie­systeme geliefert; man kann sicher sein, dass die Ukraine schon bald eigene Entwicklun­gen vorstellen wird. Gemeinsam mit Israel werten ukrainisch­e Firmen MiG-Kampfjets auf. Noch sucht man einen potenten Partner, um die Produktion von Antonow-Transporte­rn wieder in Schwung zu bringen. Auch maritim mischt der Schwarzmee­ranrainer Ukraine mit. Nachdem man zunächst aus den USA gebrauchte Patrouille­nboote bezog, schloss Kiew im Herbst 2020 mit London einen Vertrag über den Bau von acht Schnellboo­ten im Wert 1,61 Milliarden US-Dollar ab. Die ersten beiden werden in Großbritan­nien, die restlichen von ukrainisch­en Werften gebaut. Auf Grundlage dieses Vertragsmo­dells wurde man sich auch mit der französisc­hen Ocea-Werft einig. Dabei geht es um 20 Patrouille­nboote. Fünfzehn davon werden geliefert, fünf weitere entstehen im ukrainisch­en Mykolajiw. Noch ist unklar, wer was zuliefert, doch dass die Türkei und die Ukraine gemeinsam Korvetten herstellen und vermarkten, ist bereits beschlosse­ne Sache.

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