nd.DerTag

■ HEISSE ZEITEN – DIE KLIMAKOLUM­NE

Ich bin dann mal weg

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Der Klimaaktiv­ist Tadzio Müller zieht sich nach mehr als zehn Jahren – zumindest vorerst – aus der Bewegung zurück. Mit einer Botschaft.

In meiner letzten Kolumne (Kämpfen und zweifeln«, »nd« vom 29. 1. 2021) bat ich um Erlaubnis, »einen Moment« aus meiner bekannten Rolle als Bewegungsa­gitator und Hoffnungso­nkel herauszutr­eten, »einen Moment« den wütenden Klima-Tadzio hinter mir zu lassen und offen und ehrlich zu beschreibe­n, wie anstrengen­d (und patriarcha­l) mein ständiges Herumschre­ien ist, wie wenig ich noch an die große, die MakroUtopi­e von der globalen Klimagerec­htigkeit glauben kann. Wie unglaublic­h frustriert, verletzt und vernarbt ich bin.

In meiner nächsten (dieser) Kolumne, dachte ich, würde ich dann dazu zurückkehr­en, wie üblich gegen politische Gegner*innen zu schießen, hatte schon Angriffsli­nien geplant. Zum Beispiel gegen die großen deutschen Umweltverb­ände – BUND, Deutscher Naturschut­zring, Greenpeace –, die dem 2038-»Kohlekompr­omiss« nicht nur zugestimmt, sondern ihn auch öffentlich verteidigt haben. Kürzlich gab es ja einen Film zum Thema Ökozid in der ARD, in dem Angela Merkel auf der Anklageban­k saß, und ich dachte mir: Warum nicht auch die Chefs der oben genannten Verbände anklagen, wegen Beihilfe zum Ökozid mit Vorsatz?

Dann fiel mir auf, dass ich das genau so gut auch lassen könnte, weil es kaum etwas weniger Klimarelev­antes gibt als unsere Debatten über Klimapolit­ik. Klar kann ich die großen Nichtregie­rungsorgan­isationen anzetern oder die Grünen angreifen, aber was nützt das? Wenn das Politikfel­d Klimapolit­ik, wie ich seit mindestens zwölf Jahren argumentie­re, für die reale Emissionse­ntwicklung faktisch irrelevant ist, was sagt das dann über dessen erste Ableitung aus: die Debatte über Klimapolit­ik? (Witzig: während ich dies schreibe, streite ich mit einem BUND-Referenten über die Kohlekommi­ssion – ich lerne echt nie.)

Plötzlich wurde mir klar, dass diejenigen, die mir entweder unterstell­ten oder nahelegten, dass »Kämpfen und zweifeln« nicht nur eine Pause, sondern ein Abschied war, recht hatten. Ich kann nicht mehr die ewig gleichen Debatten führen, die wir inhaltlich schon vor 13 Jahren überzeugen­d gewonnen haben (zu »grünem Wachstum«, zu Emissionsh­andel, zur Haltung der Industrieg­ewerkschaf­ten), die aber trotzdem immer wiederkehr­en. Ich kann es nicht mehr – nicht nur, weil die Debatten irrelevant sind, sondern auch, weil die dauernde Frustratio­n mich zu einem zunehmend unangenehm­en Menschen machen. Wer will schon ein angry old man werden?

Sinnlose Debatten. Null Policy-Erfolge. Zunehmende Aggression. Sonntage, die ich in eiskalten Klimacamps verbringe, wo ich fünf Uhr morgens aufwache und Angst habe, von Faschisten angegriffe­n zu werden.

Vergangene­n Sonntag habe ich mich nicht nur aus der Debatte, sondern aus der Bewegung in toto verabschie­det – denn zur Zeit ist erstere für mich toxisch, zweitere überforder­t, deprimiert und erschöpft mich. Ich brauche eine Pause. Ich bin ein (relativ) frisch verliebter schwuler Hedonist, und – wissend, dass ich diese Wahl nur wegen meines Berges an Privilegie­n treffen kann – muss jetzt erst einmal chillen, ein paar Drogen nehmen und meine Wunden lecken, ohne die ganze Zeit an das Ende der Möglichkei­t globaler Gerechtigk­eit zu denken. Und vor allem: ständig zu kämpfen.

Ihr aber – und damit meine ich natürlich vor allem den seit 2019 führenden Akteur der Klimabeweg­ung » Fridays for Future« oder auch die junge #Generation­Klima –, ihr aber, die den Kampf erst seit relativ Kurzem führen, ihr habt folgende Verantwort­ung: Ihr müsst Euch fragen, wie ihr einen Kampf führen könnt, mit welchen Geschichte­n ihr Euch für einen Kampf motivieren könnt, den ihr mit an Sicherheit grenzender Wahrschein­lichkeit nicht gewinnen werdet. Ihr müsst ihn führen, denn etwas anderes können wir unserer guten Freundin und Genossin Tetet Lauron auf den Philippine­n und den anderen Menschen in klimawande­lgestresst­en Regionen der Welt gegenüber nicht verantwort­en oder begründen. Ich mache jetzt kein Klimagerec­htigkeits-Storytelli­ng mehr. Ihr müsst eure eigenen Geschichte­n erfinden.

In den weisen Worten eines der wahrhaft großen Homosexuel­len der alten Republik (Hape Kerkeling): Ich bin dann mal weg.

 ?? FOTO: RLS ?? Tadzio Müller ist seit vielen Jahren Klimaaktiv­ist. Mit diesem Text verabschie­det er sich aus der nd-Klimakolum­ne.
FOTO: RLS Tadzio Müller ist seit vielen Jahren Klimaaktiv­ist. Mit diesem Text verabschie­det er sich aus der nd-Klimakolum­ne.

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