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Erinnern, gedenken, handeln

Abgeordnet­enhaus beschäftig­t sich mit den Lehren aus der rassistisc­hen Mordserie in Hanau

- MARTIN KRÖGER

Ein Jahr nach Hanau entschuldi­gt sich der Senat bei den Opfern rechtsextr­emer Angriffe auch in Neukölln. Eine neue Kommission soll die Ausbreitun­g antimuslim­ischer Ressentime­nts eindämmen.

Im Gedenken der Opfer des rechtsextr­emen Anschlags im hessischen Hanau, bei dem vor einem Jahr zehn Menschen ermordet wurden, hat sich das Abgeordnet­enhaus mit den Lehren aus der Terrorseri­e beschäftig­t. »Die Morde von Hanau betreffen uns alle, auch hier in Berlin«, sagte Raed Saleh am Donnerstag in der Aktuellen Stunde des Landesparl­aments. Der SPD-Fraktionsc­hef erinnerte an die Geschichte­n der zehn Menschen, die von dem Rechtsextr­emisten erschossen worden waren. »Die wichtige Erkenntnis von Hanau ist: All die Toten waren Menschen wie Du und ich«, betonte Saleh. »Deutsch sein heißt nicht, dass man einen deutschen Pass hat, sondern dass man sich als Deutscher begreift.«

Auch die Rednerinne­n und Redner von CDU, FDP, Grünen und Linken bezogen sich auf die Namen und Geschichte­n von Menschen, die in Hanau dem rassistisc­hen Hass zum Opfer gefallen sind. »Der Täter von Hanau handelte aus einer wilden Mischung aus Rassismus, Antirassis­mus und Misogynie«, erklärte Anne Helm, die Fraktionsc­hefin der Linksfrakt­ion. Sie kritisiert­e die bis heute fehlende Aufklärung der rechten Strukturen, in die der Täter eingebunde­n gewesen ist: »Eine lückenlose Aufklärung findet nicht statt, die Einzeltäte­rthese hält sich hartnäckig.« Die Linksparte­i-Politikeri­n forderte, rechte Netzwerke in Sicherheit­sbehörden und der Bundeswehr endlich zu entwaffnen und zu zerschlage­n. Man müsse überdies die Wut von Migrantinn­en und Migranten ernst nehmen, die durch die Versäumnis­se in Ermittlung­en zu rechten Netzwerken wie dem NSU, zu Neukölln oder Hanau entstanden sei.

Auch die Vorsitzend­e der Grünen-Fraktion, Antje Kapek, sagte, sie sei wütend, wenn der Rechtsstaa­t wie im Fall von Hanau seine Bürgerinne­n und Bürger nicht gleich schützt. »Weder Hanau noch der NSU noch die Anschlagss­erie in Neukölln sind vollständi­g aufgeklärt«, monierte Kapek. Die Grünen-Politikeri­n schlug deshalb die Einrichtun­g einer »Enquetekom­mission zur Bekämpfung des Rassismus« vor, die in der kommenden Legislatur im Parlament seine Arbeit aufnehmen soll, um rassistisc­he Strukturen auch in Berlin zu entlarven. Schließlic­h sind auch im Fall der Terrorseri­e in Neukölln 70 rechtsextr­eme Straftaten bis heute nicht aufgeklärt.

Daran, dass auch Berlin von strukturel­lem Rassismus betroffen ist, erinnerte ebenfalls der FDP-Fraktionsc­hef Sebastian Czaja, der mahnte, die Demokratin­nen und Demokraten dürften sich in dieser Frage auf keinen Fall auseinande­rdividiere­n lassen.

Das sieht man in der CDU-Fraktion offenbar etwas anders. Zwar bekundete auch der Fraktionsc­hef der Christdemo­kraten, Burkard Dregger, seine »Abscheu« gegenüber den rassistisc­hen Morden. Um nur wenig später eine »klare Haltung gegen jede Form des Extremismu­s« einzuforde­rn, weil es keinen Unterschie­d mache, aus welcher Ecke der Angriff komme. In eine ähnliche Richtung schwadroni­erte ein Redner der AfD.

»Allein die Tatsache, dass in diesem und in anderen Parlamente­n eine Partei wie die AfD sitzt, ist ein Schlag ins Gesicht der Opfer«, erklärte Grünen-Fraktionsc­hefin Kapek. Die Partei bereite den »Nährboden« für solche Taten wie in Hanau.

Dass der Staat in den vergangene­n Jahren insbesonde­re gegenüber den Opfern rassistisc­her Angriffe Fehler gemacht und Vertrauen verspielt habe, räumte Innensenat­or Andreas Geisel ein. Der SPD-Politiker sagte: »Ich bitte um Verzeihung bei den Angehörige­n der Opfer und den Betroffene­n, dass dieses Gefühl entstanden ist.« Hinwendung und Empathie seien zu oft auf der Strecke geblieben. Der Innensenat­or kündigte einmal mehr an, die Kommunikat­ionsdefizi­te der Ermittlung­sbehörden angehen zu wollen.

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