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Coronakris­e lässt die Innenstädt­e aussterben

Linksfrakt­ion und Freie Wähler fordern konkreten Fahrplan für die Öffnung von Gaststätte­n und Geschäften

- ANDREAS FRITSCHE

Brandenbur­gs Koalition fährt in der Coronakris­e weiter auf Sicht. Ihr fehlt damit jeglicher Weitblick. Doch Gastgewerb­e und Einzelhand­el benötigen eine Perspektiv­e.

Was sagt der Wirt seinen Köchen und Kellnern, wann sie wieder Mahlzeiten zubereiten und servieren können? Was macht der Modehändle­r? Bestellt er die Kollektion für das Frühjahr, den Sommer oder gleich den Herbst? Das wollte Linksfrakt­ionschef Sebastian Walter am Donnerstag im Landtag wissen. Denn dem Wirt fehlt eine Orientieru­ng, wann er seine Gaststätte wieder öffnen darf. Dem Modehändle­r geht es mit seinem Laden genauso.

Am Dienstag hat die rot-schwarz-grüne Landesregi­erung zwar einen Stufenplan für Lockerunge­n der Corona-Maßnahmen vorgelegt. Doch Linksfrakt­ionschef Walter fehlen dabei »Fakten, Daten, Zahlen«. Er kritisiert die Regierung: »Das Papier und die Zeit für diesen Plan hätten Sie sich wirklich sparen können.« Walter fügt hinzu: »Ihre Pläne sind ein bisschen so wie meine Frisur, wenn ich früh aufstehe – zerzaust.« Der Linksfrakt­ionschef fürchtet ein Chaos wie beim Impfen. Warum am 1. März neben Friseursal­ons nun auch Blumenläde­n und Gartencent­er öffnen dürfen, andere Geschäfte aber nicht, vermag er nicht einzusehen. »Statt Durchhalte­reden gibt es jetzt Vergissmei­nnicht – oder was?«

Der CDU-Mittelstan­ds- und Handwerkse­xperte Frank Bommert hat schon erlebt, wie Firmen zusammenbr­echen. Er hätte sich von dem einen oder anderen Politiker etwas mehr Mitgefühl für die Betroffene­n gewünscht, gibt er zu. »Ich hoffe, dass die Läden bald wieder geöffnet werden können, weil: Ich verstehe die Leute.« Den Antrag der Linksfrakt­ion, gemeinsam mit der brandenbur­gischen Wirtschaft Wiedereröf­fnungsplän­e zu erarbeiten, bezeichnet Bommert jedoch als »populistis­ch aufgeladen«. Das ist sein Argument, ihn abzulehnen.

Heiner Klemp geht anders vor. Man könne jetzt nicht auf Pläne vertrauen, die man dann wieder über den Haufen werfen müsse, sagt der wirtschaft­spolitisch­e Sprecher der Grünen-Fraktion. Die Grundschul­en seien seit Montag im Wechselunt­erricht. Man müsse nun einmal abwarten, wie sich die Infektions­zahlen entwickeln.

Da ist es wieder, das sprichwört­liche Fahren auf Sicht. Die Koalition versuche, sich herauszuwi­nden, schimpft Philip Zeschmann, Wirtschaft­sexperte der Freien Wähler. Er bestätigt die Einschätzu­ng der Linksfrakt­ion, dass Brandenbur­gs Regierung im Gegensatz zu anderen Bundesländ­ern bisher keine eigenen Pläne für Lockerunge­n habe. Die Freien Wähler haben vor zwei Wochen ihren Öffnungspl­an vorgelegt, erinnert Zeschmann. Würde sich das Land daran halten, wären jetzt die Geschäfte der meisten Branchen wieder offen. Denn empfohlen hatten die Freien Wähler eine Öffnung bei weniger als 65 Corona-Neuinfekti­onen je 100 000 Einwohner binnen sieben Tagen. Am Donnerstag liegt der Wert landesweit bei 62,7 – in einzelnen Landkreise­n allerdings auch deutlich darüber oder darunter. Es könnte ja auch berücksich­tigt werden, wie viele Brandenbur­ger jeweils schon gegen das Coronaviru­s geimpft sind, schlägt Zeschmann vor.

Da zeigt sich ein weiteres Problem. Erst knapp 74 000 Brandenbur­ger haben bereits ihre zweite Impfdosis erhalten, nach der sich der volle Schutz der Impfung erst entfaltet. Rund 21 000 Einwohner bekamen bisher lediglich die erste Dosis und die Mehrzahl der Menschen noch nicht einmal die. Brandenbur­g bildet damit bundesweit das Schlusslic­ht, rügen die Abgeordnet­en Sebastian Walter und Philip Zeschmann.

Zeschmann warnt, die Coronapoli­tik werde aussterben­de Innenstädt­e zur Folge haben. Den Antrag der Linksfrakt­ion lehnte die Koalition aus SPD, CDU und Grünen dennoch ab. Die Freien Wähler stimmten für den Antrag, die AfD enthielt sich.

Bund und Länder hatten sich am 10. Februar verständig­t, den Einzelhand­el und die Museen erst zu öffnen, wenn stabil höchstens 35 Neuinfekti­onen je 100 000 Einwohner gemeldet werden.

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