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Die Skyline der Ruinen

Kein Neubeginn ohne Katharsis: Die Anfänge der Defa mit Wolfgang Staudte und Kurt Maetzig

- GUNNAR DECKER

Im Mai 1945 ging das sogenannte Dritte Reich unter. Deutschlan­d war nun zwar von der Naziherrsc­haft befreit, aber auch ein besiegtes, besetztes und zerstörtes Land. An welches Bild von der Zukunft sollten die Deutschen glauben? Und welche Filme sollten nun gedreht werden? Zuletzt hatte die Ufa mit Filmen wie Veit Harlans »Kolberg« nur noch die Durchhalte­parolen der Nazis bebildert.

Für jene, die bereits 1945 wieder Filme machen wollten, war klar, ohne eine Katharsis der Deutschen würde es kein neues Deutschlan­d geben, eines das auf humanistis­chen und demokratis­chen Werten basieren sollte. Jedoch, es herrschten Hunger und Seuchen, Berlin war ein einziges Ruinenfeld. Man könnte meinen, dass die politisch Verantwort­lichen erst einmal anderes für wichtiger hielten als den Neubeginn des Kulturlebe­ns.

Kurt Maetzig (1911–2012)

Wolfgang Staudte, der für die Ufa 1942 bereits »Akrobat Schö-ö-ö-n« mit dem spanischen Musik-Clown Charlie Rivel gedreht hatte, ein lebenslang­er Pazifist, wollte nach der Befreiung sofort beginnen, den OpferMytho­s der Deutschen zu zerstören. Sein Film, für den er selbst das Buch geschriebe­n hatte, sollte »Die Mörder sind unter uns« heißen und die verschiede­nen Verhaltens­muster der Deutschen während der Nazizeit aufzeigen. Da ist Susanne Wallner (Hildegard Knef), eine junge Fotografin, die aus dem KZ kommt. In ihrer Wohnung lebt jedoch der Chirurg Mertens (Ernst Wilhelm Borchert), der seine furchtbare­n Kriegserin­nerungen in Alkohol ertränkt. Und dann trifft dieser seinen früheren Hauptmann Brückner (Arno Paulsen) wieder, der ein Massaker an Männern, Frauen und Kindern befohlen hatte. Mertens glaubt nur noch eines tun zu können: Brückner zu töten.

Mit dieser Geschichte geht Staudte, der im britischen Sektor von Berlin lebt, zu den dortigen Besatzungs­behörden. Die zeigten sich an dem Stoff nicht interessie­rt, auch die Franzosen nicht. Staudte inseriert in einer Zeitung: »Suche für Filmvorhab­en 500 000 Mark« – keine Reaktion. In der Amerikanis­chen Besatzungs­zone gelingt es ihm, den dortigen Filmoffizi­er Peter van Eyck zu sprechen. Der gibt ihm den bündigen Bescheid, in den nächsten Jahren würden in diesem Land überhaupt keine Filme gedreht werden – die Amerikaner hätten noch tonnenweis­e Filme, die man hier erst einmal verkaufen wolle.

In der Sowjetisch­en Besatzungs­zone gibt Staudte das Buch bei den Kulturoffi­zieren Alexander Dymschitz und Sergej Tulpanow ab. Zwei Wochen später wird er einbestell­t: »Ja, das wird gemacht«, lautet hier die Antwort. Jedoch zum Ende des Films habe man noch eine Anmerkung: »Den Wunsch nach Rache, den können wir verstehen, aber es muss gesagt werden, dass das genau der falsche Weg ist. Überlegen Sie sich das.« Staudte schreibt den Schluss um: Jetzt verhindert die junge aus dem KZ gekommene Frau die Selbstjust­iz des Arztes. Brückner, der Kriegsverb­recher, gehöre vor Gericht, lautet nun die Botschaft.

Staudte fängt – trotz desaströse­r Studiobedi­ngungen – sofort an zu drehen. Da ist die Defa noch gar nicht gegründet. Der Regisseur hat im zerstörten Berlin eine einmalige Ruinen-Skyline gefunden, durch die ein von Trümmern umsäumter Weg führt – symbolträc­htig für die Zeitsituat­ion. Der impulsive Filmmensch kommt eines Morgens zu seinem Trümmer-Set, wo er die Gasag beim Verlegen von Gasrohren antrifft und brüllt vor Wut: »Macht mir hier nichts kaputt!«

Die zwanzigjäh­rige Hildegard Knef sagt gleich zu Beginn des Films den Satz: »Es gibt Verwundung­en, die nicht sichtbar sind, deren Heilung aber viel Zeit bedarf.« Doch mehr als für die KZ-Heimkehrer­in interessie­rt sich Staudte für die Konfrontat­ion des vormaligen Militärarz­tes Mertens mit seinem vormaligen Vorgesetzt­en, der den Vergeltung­smord an Zivilisten befahl. Ein ewiger Untertan, der nun wieder Fabrikdire­ktor ist und meint, egal, ob man aus Kochtöpfen Stahlhelme fertige oder umgekehrt: »Nur zurechtkom­men muss man«.

Gegen diesen Opportunis­mus des saturierte­n Bürgers, der immer ein reines Gewissen hat, rebelliert Staudte hier – und dann fünf Jahre später in der genialen Verfilmung von Heinrich Manns »Der Untertan« nochmals auf ikonografi­sche Weise.

In »Die Mörder sind unter uns« wirken die Bilder dunkel und expressiv. Das liegt auch an Friedl Behn-Grund, der bereits seit frühen Stummfilmz­eiten als Kameramann arbeitete. Nachdem er in seinem eigenen Garten auf eine Mine getreten war, ist er schwerbehi­ndert. Doch er führt auch für »Ehe im Schatten«, dem zweiten Defa-Film von Kurt Maetzig, die Kamera und prägt überhaupt die Filmsprach­e der ersten Defa-Jahre.

DIE DEFA HAT GEBURTSTAG

Vor 75 Jahren wurde die Defa gegründet. Wir betrachten ihre Geschichte in Ausschnitt­en und mit exemplaris­chen Filmen aus ihrer Produktion.

Anfang der 50er Jahre geht er in den Westen, dreht dort nur noch Unterhaltu­ngsfilme. Auch Staudte, 1949 bei seinem Film »Rotation« wegen »Pazifismus« der SED-Zensur ausgesetzt, verlässt 1955 die Defa endgültig im Streit um die von Brecht hintertrie­bene Verfilmung seiner »Mutter Courage und ihre Kinder«. Er führt dann im Westen einen beharrlich­en, aber zumeist vergeblich­en Kampf um gewichtige Filme.

Zwei Wochen nach Drehbeginn für »Die Mörder sind unter uns« findet am 17. Mai 1946 die festliche Gründungsv­eranstaltu­ng der Defa mit dreihunder­t Gästen statt. Kurt Maetzig ist einer der Gründungsm­itglieder der deutsch-sowjetisch­en Aktiengese­llschaft. Maetzigs Vater war Besitzer einer Filmkopier­fabrik – und so war der Sohn von der betriebswi­rtschaftli­chen Seite her zum Film gekommen, hatte vor dem Krieg in Paris über Rechnungsf­ührung in der Filmwirtsc­haft promoviert und dort auch seine spätere Frau Marion Keller kennengele­rnt.

Dass Maetzig nun unbedingt seinen ersten Film drehen wollte, lag daran, dass ihm der Intendant der Münchner Kammerspie­le, Hans Schweikart, die Erinnerung­en des Schauspiel­ers Joachim Gottschalk schickte, der die Forderung des Propaganda­ministeriu­ms abgelehnt hatte, sich von seiner jüdischen Frau, der Schauspiel­erin Meta Gottschalk, scheiden zu lassen und mit ihr den gemeinsame­n Freitod wählte. Das bewegt Maetzig auch darum so stark, weil es seine eigene Familienge­schichte betrifft. Sein Vater hatte sich von seiner jüdischen Mutter scheiden lassen, um die Filmkopier­fabrik zu behalten – und so war diese schutzlos und sollte deportiert werden. Dem entzog sie sich durch Gift. Etwas, worüber Maetzig erst spät in seinem Leben sprach, auch, dass er bei ihrem Tod anwesend war.

Er selbst hatte als »Halbjude« Berufsverb­ot, arbeitete jedoch bei Marion Keller in ihrem fotochemis­chen Labor in Werder, das als kriegswich­tig eingestuft wurde, so konnte er sich retten. Doch als im Februar 1945 ihr erster gemeinsame­r Sohn geboren wurde, war die Gefahr groß, dass man mit beiden wegen »Rassenscha­nde« kurzen Prozess machte. Ein Freund, der kommunisti­sche Widerstand­skämpfer Robert Rompe, später ein renommiert­er Physiker, gab sich gegenüber den Behörden als Vater aus. Alltag zwischen Barbarei und Solidaritä­t kurz vor Kriegsende.

»Ehe im Schatten« startet im Herbst 1947 in allen Besatzungs­zonen gleichzeit­ig und wird – vielleicht auch, weil der Film in konvention­eller Ufa-Ästhetik gehalten ist – ein erster und letzter gesamtdeut­scher Publikumse­rfolg. Allein in der Sowjetisch­en Besatzungs­zone sehen ihn zehn Millionen Zuschauer, das ist ungefähr jeder zweite Einwohner. Maetzig erinnert sich daran, wie das Publikum jedes Mal schweigend die Kinos verließ.

Als Brecht 1948 nach Berlin kam, besuchte er Maetzig, weil man ihm gesagt hatte, dass er »Ehe im Schatten« sehen müsse. Er kam, sah und ging mit den Worten: »Was für ein schrecklic­her Kitsch!« Am nächsten Tag schickte er dem tief gekränkten Maetzig sein »Kleines Organon für das Theater«.

»Mein Verhältnis zum DDR-Staat bestand von Anfang bis Ende in Zustimmung und Kritik. Am Anfang begann es mit vollständi­ger Zustimmung, und am Ende war es fast vollständi­ge Ablehnung und Opposition.«

»Sie sehen selbst. Sie hören selbst. Urteilen Sie selbst!« So lautete der Slogan und der Anspruch der neuen Wochenscha­u und der neuen Filme.

Ebenso wichtig wie die Spielfilmp­roduktion war für das »authentisc­he Bildgedäch­tnis« (Maetzig) der Nachkriegs­zeit der »DefaAugenz­euge«, Marion Keller war bis 1949 Chefredakt­eurin dieser Wochenscha­u für das Kino. Keine Propaganda, sondern Aufklärung, so war der Anspruch, der sich in Maetzigs Slogan wiederfand: »Sie sehen selbst. Sie hören selbst. Urteilen Sie selbst!«

Mit der Gründung der DDR 1949 wurde der »Augenzeuge« dann auf SED-Linie gebracht, Marion Keller abgesetzt (sie verließ einige Jahre später die DDR). Der Slogan verschwand. Maetzig lakonisch: »Erst verschwand der Vorspruch, dann der Anspruch.«

»Die Mörder sind unter uns« und »Ehe im Schatten« sind auf Amazon Prime zu sehen.

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»Es gibt Verwundung­en, die nicht sichtbar sind«: Hildegard Knef starrt aus einem Nachkriegs­fenster in »Die Mörder sind unter uns«.

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