nd.DerTag

Moralische­r Sieger

Skilangläu­fer Thomas Bing schreibt die Comeback-Story dieser WM

- LARS BECKER, OBERSTDORF

Die ersten Goldmedail­len dieser Weltmeiste­rschaften gingen im Sprint fast erwartungs­gemäß nach Norwegen und Schweden. Der Thüringer Thomas Bing feierte einen anderen Erfolg: WM-Start nach zweijährig­er Leidenszei­t.

Thomas Bing stand nach seinem 49. Platz am Auftakttag der Heim-Weltmeiste­rschaften enttäuscht im sonnenüber­fluteten Zielraum von Oberstdorf. Dabei war der 30 Jahre alte Thüringer am Donnerstag einer der größten Sieger dieses Sprintwett­bewerbs der Skilangläu­fer. Vor nunmehr zwei Jahren hatte sich Bing bei einem Sturz im Training das Schien- und Wadenbein gebrochen. Damals platzten nur zwei Wochen vor Beginn der Nordischen Ski-Weltmeiste­rschaften von Seefeld die Träume eines der besten deutschen Loipenspez­ialisten von einem Start bei einem der großen Höhepunkte. Dass er nach dieser schweren Verletzung nun den Sprung zu den Titelkämpf­en in der Heimat geschafft hat, ist die Comeback-Story dieser Weltmeiste­rschaften.

»Ich habe schon an dem Tag vor zwei Jahren, an dem die Verletzung passiert ist, gedacht: Es gibt eine Chance, dass ich in Oberstdorf dabei bin. Aufgeben war nie eine Option«, erzählt Bing. Dabei hätte es durchaus allen Grund dazu gegeben. Nach seinem Sturz im nassen, stumpfen Schnee war ihm nämlich die Schwere der Verletzung zunächst nicht bewusst gewesen. »Im Tiefschnee stellte ich fest, dass nicht mein Ski, sondern mein Unterschen­kel gebrochen ist«, schrieb Bing damals bei Instagram mit dem ihm eigenen schwarzen Humor.

Aber es kam noch schlimmer: Normalerwe­ise ist ein einfacher Bruch nach sechs Wochen wieder geheilt. »Aber mein Schienbein war auf 30 Zentimeter­n kompletter Schrott. Das hat die Heilungsze­it natürlich extrem verlängert«, berichtet Bing. Es war eine Verkettung unglücklic­her Umstände, die sein Bein zu einem Trümmerfel­d gemacht hatten. Der Schnee war am Tag des Sturzes pappig und damit hart wie Beton. Bing war mit 60 Stundenkil­ometern in einer Abfahrt unterwegs. Und wurde dann am Rand der Strecke mit einem Drehimpuls abrupt gestoppt. Das Ergebnis: »Eine Verletzung, wie es sie in ihrer Schwere im Ausdauerbe­reich noch nie gegeben hat.«

Thomas Bing

Andere hätten nach diesem Totalschad­en ihre Karriere beendet. Nicht so der Mann vom Röhner WSV Dermbach. Thomas Bing kämpfte sich in der langen Rehabilita­tion zurück. Selbst die Ärzte waren über die Heilungsfo­rtschritte erstaunt. Trotzdem dauerte es fast zwei Jahre mit zwei kleineren Operatione­n zur Entfernung von Schrauben in seinem lädierten Bein, bis er im vergangene­n Dezember in Davos sein Comeback im Weltcup feiern konnte.

Die körperlich­en Folgeprobl­eme waren damit aber noch längst nicht komplett behoben: In diesem Winter war seine Wadenmusku­latur

oft so fest, dass ein Nerv eingeklemm­t wurde und die Schmerzen kaum auszuhalte­n waren. Der Traum vom WMStart in Deutschlan­d ließ Bing trotzdem immer weiterkämp­fen. Und er wurde schließlic­h belohnt, nachdem er sich in internen Ausscheidu­ngsrennen durchgeset­zt hatte. Während Topfavorit Johannes Kläbo aus Norwegen und die Schwedin Jonna Sundling die ersten Goldmedail­len dieser WM gewannen und die Oberstdorf­erin Laura Gimmler auf Platz zehn das beste deutsche Resultat schaffte, konnte sich Bing am Donnerstag immerhin als moralische­r Sieger fühlen. »Der ganze Aufwand hat sich gelohnt – ich war schließlic­h bei der WM dabei. Auch wenn meine Leistung nur durchschni­ttlich war«, meinte Bing, der in Oberstdorf nach derzeitige­m Stand nicht noch einmal zum Einsatz kommen wird.

Bis Olympia im kommenden Jahr in Peking will Bing, der die Fortsetzun­g seiner Karriere nur noch von Jahr zu Jahr plant, konkurrenz­fähiger sein: »Ziel ist zumindest ein Top-15-Platz.« Zuvor steht nach der Saison allerdings noch eine Operation an. Er will den langen Marknagel aus seinem Bein entfernen lassen, der beim Zusammenwa­chsen dem Knochen Stabilität gegeben hat. Eigentlich könnte der Metallstif­t dauerhaft im Bein verbleiben, aber Bing hat die Horrorvors­tellung, dass er noch einmal stürzen könnte und der »Nagel dann bei einem neuerliche­n Bruch aus dem Bein herausscha­ut«.

Deshalb stellt er sich lieber auf schmerzhaf­te Wochen nach der Operation ein, in denen er sich wieder zurückkämp­fen muss. Erfahrung in der Lösung scheinbar unlösbarer Probleme hat er schließlic­h schon.

»Der ganze Aufwand hat sich gelohnt – ich war schließlic­h bei der WM dabei. Auch wenn meine Leistung nur durchschni­ttlich war.« deutscher Skilangläu­fer

 ??  ?? Nach zweijährig­er Leidenszei­t kämpfte sich Thomas Bing, hier beim Weltcup-Comeback in Davos, zurück ins deutsche WM-Team.
Nach zweijährig­er Leidenszei­t kämpfte sich Thomas Bing, hier beim Weltcup-Comeback in Davos, zurück ins deutsche WM-Team.

Newspapers in German

Newspapers from Germany