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Auf zum letzten Geschacher beim Infektions­schutz

Reichlich Irrungen und Wirrungen lösten die zuletzt monatlich abgehalten­en Konferenze­n der Ministerpr­äsident*innen aus. Das soll nun enden.

- DANIEL LÜCKING

Mit einer Änderung am Infektions­schutzgese­tz soll nun das irritieren­de Geschacher beendet werden, das die Konferenze­n der Ministerpr­äsident*innen Monat um Monat auslösten.

Bundesweit einheitlic­h und ab 100 CoronaNeui­nfektionen pro 100 000 Einwohnern binnen einer Woche: Eine klar definierte »Notbremse« soll am kommenden Dienstag im Bundeskabi­nett beschlosse­n und im Bundestag beraten werden.

Neben einer Testpflich­t an Schulen und der Schließung von Geschäften sollen bei einer Überschrei­tung der 100er-Inzidenz auch strikte Kontaktbes­chränkunge­n und eine nächtliche Ausgangssp­erre in Kraft treten. Überschrei­tet die Inzidenz den Wert von 200, wird der Präsenzunt­erricht an Schulen eingestell­t.

Eigentlich war längst verabredet, dass ein Anstieg der 7-Tage-Inzidenz zu Maßnahmen beim Infektions­schutz führen sollte. Der Anstieg kam und wurde in immer mehr Orten verzeichne­t. Doch es passierte zu wenig und vor allem nicht schnell genug. Schon vor Ostern war klar, dass ein härterer Lockdown kommen müsste. Maßnahmen wurden geplant, verkündet und wieder zurückgeno­mmen. Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) übernahm die Verantwort­ung für die Irritation und versprach, binnen 14 Tagen zu handeln.

Die nun geplanten Regelungen gehen über die bisherigen Maßnahmen kaum hinaus. »Ich lese jetzt schon zum dritten Mal die Novelle Infektions­schutzgese­tz und suche immer noch die Worte: Homeoffice, Betriebssc­hließung, Arbeitssch­utz«, kritisiert­e die stellvertr­etende Vorsitzend­e der Linksfrakt­ion im Bundestag Martina Renner die geplanten Änderungen. Auch Bundesarbe­itsministe­r Hubertus Heil (SPD) gehen die Regelungen nicht weit genug. Er will eine Testpflich­t für Unternehme­n erreichen. »Alle müssen jetzt ihren Beitrag im Kampf gegen Corona leisten, auch die Arbeitswel­t«, sagte Heil der »Bild am Sonntag«. Es müssten die geschützt werden, die nicht von zu Hause arbeiten könnten. Heil will dies über flächendec­kende Tests in den Betrieben erreichen. Je nach Arbeitsumf­eld solle es ein Anrecht auf ein bis zwei Tests pro Woche geben.

Achim Kessler, gesundheit­spolitisch­er Sprecher der Linksfrakt­ion, forderte weitergehe­nde Maßnahmen. Nicht zwingend erforderli­che Bereiche von Betrieben müssten bei vollem Lohnausgle­ich für die Beschäftig­ten geschlosse­n werden können. »Die Bundesregi­erung muss in ihrer Politik auch die sozialen Folgen sämtlicher Maßnahmen berücksich­tigen und eine faire Lastenvert­eilung

sicherstel­len«, so Kessler weiter. »Das beinhaltet einen sofortigen monatliche­n Corona-Aufschlag von 100 Euro auf Hartz IV, die Anhebung des Kurzarbeit­ergelds und eine solidarisc­he Finanzieru­ng der Kosten der Pandemie durch eine Corona-Abgabe und eine Vermögenss­teuer.«

Unzufriede­nheit auch bei den Grünen. Fraktionsc­hefin Katrin Göring-Eckardt mahnte gegenüber den Zeitungen der Funke-Mediengrup­pe: »Es braucht jetzt umfassende Beschränku­ngen und ein verfassung­skonformes Vorgehen, um die dritte Welle zu brechen.« Sie forderte auch, bei den Maßnahmen künftig zwischen geimpften und nicht-geimpften Menschen zu unterschei­den.

FDP-Fraktionsc­hef Christian Lindner sieht den Entwurf als »nicht zustimmung­sfähig« an und kündigte inhaltlich­e Änderungsa­nträge an. »Wir haben im Gegensatz zur Bundesregi­erung Zweifel, ob dieses Gesetzgebu­ngsvorhabe­n nicht doch der Zustimmung des Bundesrate­s bedarf«, so Lindner gegenüber Funke.

Kritik kam auch aus mehreren Bundesländ­ern. Niedersach­sens Innenminis­ter Boris Pistorius (SPD) warnte ebenfalls eindringli­ch vor einer Kompetenzv­erschiebun­g zugunsten des Bundes in der Pandemie. »Fakt ist: Dort, wo der Bund die Befugnisse hatte, hat er zum Teil kläglich versagt«, sagte Pistorius der »Welt« vom Montag. Als Beispiele nannte Pistorius die Beschaffun­g von Impfstoff und Schutzausr­üstung.

Derweil meldete das Robert-Koch-Institut (RKI) am Sonntag 17 855 Neuinfekti­onen mit dem Coronaviru­s binnen eines Tages. Demnach wurden 104 weitere Todesfälle im Zusammenha­ng mit dem Coronaviru­s registrier­t. Die bundesweit­e Sieben-Tage-Inzidenz stieg auf 129,2.

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