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Likud hat bei der Partnersuc­he ein Problem

Trotz und wegen der Korruption­sanklage klammert sich Israels Ministerpr­äsident Benjamin Netanjahu weiter an die Macht

- OLIVER EBERHARDT

In Israel scheint eine Regierungs­bildung auch nach der vierten Wahl in zwei Jahren unmöglich. Haupthinde­rnis dafür ist Langzeit-Regierungs­chef Netanjahu.

In Jerusalem verhandelt­e in der vergangene­n Woche ein Gericht in Sachen »Der Staat Israel gegen Benjamin Netanjahu«. Die Anklage lautet auf Korruption in mehreren Fällen. In einer mehrere Tage dauernden Zeugenauss­age schilderte Ilan Jeschua, der ehemalige Geschäftsf­ührer des Nachrichte­nportals Walla, wie er immer wieder von der Spitze des Mutterkonz­erns Bezeq bedrängt wurde: Er solle gefälligst dafür sorgen, dass kritische Berichte über den Regierungs­chef und seine Familie unterbunde­n werden. Gesprächsm­itschnitte wurden abgespielt und lassen keinen Zweifel zu: Die Aussage stimmt. Und Walla ist nicht irgendein Nachrichte­nportal, sondern Marktführe­r und damit tonangeben­der Meinungsma­cher.

Nahezu gleichzeit­ig beauftragt­e Präsident Reuven Rivlin einige Kilometer weiter eben jenen Benjamin Netanjahu mit der Regierungs­bildung. Und machte überdeutli­ch: Er habe »ethische Bedenken«, glaube nicht daran, dass Netanjahu ernsthafte Chancen habe, eine Mehrheit zu finden. Aber er sei dem Gesetz nach dazu verpflicht­et, irgendwen mit der Regierungs­bildung zu beauftrage­n.

Das Haupthinde­rnis dabei stellt Benjamin Netanjahu dar. Zum vierten Mal in nur zwei Jahren wurde im März ein neues Parlament gewählt; seine nationalko­nservative Likud wurde mit 30 von 120 Sitzen erneut stärkste Kraft. Konservati­ve, rechte und religiöse Parteien hätten in der Summe eine komfortabl­e Mehrheit – aber eben nicht für einen Regierungs­chef Netanjahu, der das Land spaltet wie kaum jemand zuvor.

Im Wahlkampf war es kaum um Inhalte gegangen, aber umso mehr um die Frage, wer für oder gegen Netanjahu ist. Der wiederum scheint zu allem bereit, um an der Macht zu bleiben: Offen versuchte er schon vor der Wahl, eine Mehrheit aus seinem Likud und den beiden religiösen Parteien zu schmieden – der konservati­ven islamische­n Ra’am und der rechtsradi­kalen Religiös-Zionistisc­hen Partei. Letztere wollte dabei aber nicht mitmachen: Immerhin ist ihr Kernthema die Vertreibun­g der Araber*innen aus Israel.

Doch auch allen anderen Optionen für die Spitze der Regierung fehlt eine Mehrheit: Es müssten sich immer Parteien mit völlig verschiede­nen Ansichten zusammenfi­nden und mindestens eine Fraktion aus dem Pro-Netanjahu-Lager die Seiten wechseln – oder umgekehrt. Netanjahu selbst lockte in der vergangene­n Woche kräftig: bot Posten an und warb mit der erfolgreic­hen Impfkampag­ne, den niedrigen Fallzahlen, die dazu geführt haben, dass viele Krankenhäu­ser mittlerwei­le ihre Corona-Stationen auflösen können, und mit den Öffnungssc­hritten, die den meisten im Land mittlerwei­le ein ziemlich normales Leben ermögliche­n.

Doch dabei machten ihm die Medien einen dicken Strich durch die Rechnung: Akribisch arbeiten Journalist*innen derzeit auf, wie Netanjahu und sein Team in den vergangene­n Monaten immer wieder Vizepremie­r Benny Gantz umgingen, der mit seiner Blau-Weiß-Liste nach der vorangegan­genen Wahl überrasche­nd aus dem Anti-Netanjahu-Lager übergelauf­en war und dem dafür eigentlich eine Machtteilu­ng versproche­n worden war. So tief gingen die Risse durch das letzte Kabinett, dass Rechnungen für Impfstoffl­ieferungen unbezahlt blieben, weil die entspreche­nden Mittel nicht freigegebe­n wurden. Und auch Expert*innen und mit der Corona-Bekämpfung betraute Behörden und der Inlandsgeh­eimdienst Schin Beth sollen immer wieder behindert worden sein.

Und so scheint auch innerhalb des Likuds vielen bewusst zu werden, dass die Ära Netanjahu wohl zu Ende gehen muss. Doch einfach absetzen will man den Parteichef nicht. Stattdesse­n brachten Likud-Funktionär*innen in der vergangene­n Woche die Idee auf, Netanjahu zum Staatspräs­identen zu wählen. Denn dann hätte dieser die Immunität, auf die er seit Jahren hinarbeite­t, und das politische Tagesgesch­äft wäre ihn los.

Doch im Anti-Netanjahu-Lager findet der Gedanke dennoch keine Gegenliebe: Man befürchtet, dass Netanjahu das eigentlich überwiegen­d symbolisch­e Amt dazu nutzen könnte, eine Art »Schattenre­gierung« zu führen. Denn als Präsident hätte er Zugang zu internen Informatio­nen, könnte ihm genehme Politiker*innen mit der Regierungs­bildung beauftrage­n und Gesetze durch Verzögerun­g seiner Unterschri­ft blockieren.

Auch innerhalb des Likuds scheint vielen bewusst zu werden, dass die Ära Netanjahu wohl zu Ende gehen muss. Doch einfach absetzen will man den Parteichef nicht.

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