nd.DerTag

Fake News gegen den Nachbarn Türkei

Faktenchec­k-Portale bekämpfen Falschmeld­ungen in georgische­n Medien

- DÉNES JÄGER

In Georgien kursieren anti-türkische Falschinfo­rmationen. Experten vermuten dahinter die Hand Russland.

Davit Tarkhan-Mouravi ist häufig auf Sendung beim georgische­n Fernsehsen­der TV Obieqtivi, und er redet meist darüber, wie äußere Mächte Georgien kleinhalte­n wollen. Heute auf dem Programm: die ökonomisch­e Abhängigke­it von der Türkei, die, so Tarkhan-Mouravi, hochwertig­e Kartoffeln und Tomaten aus Georgien importiere und im Gegenzug minderwert­ige Lebensmitt­el auf dem georgische­n Markt platziere. Anderntags geht es um türkische Expansions­bestrebung­en Richtung Georgien oder um eine angeblich verdeckt arbeitende türkische Universitä­t im westgeorgi­schen Batumi.

Tarkhan-Mouravi ist nur ein Kommentato­r unter vielen, mit denen die georgische Medienöffe­ntlichkeit täglich konfrontie­rt ist. Als Mitgründer der pro-russischen Partei Allianz der Patrioten Georgiens nutzt er seine Reichweite, um Verschwöru­ngstheorie­n jeglicher Couleur zu verbreiten. Lokale Faktenchec­k-Portale wie Mythdetect­or versuchen, die Desinforma­tionsström­e einzuhegen. Falsch genutzte Bilder und Videos werden aufgedeckt, Meldungen ihren Urhebern zugeordnet und Expert*innen aus der Wissenscha­ft hinzugezog­en. Mythdetect­or hat drei Narrative über die Türkei ausgemacht: Bei einem Nato-Beitritt Georgiens werde die Türkei Soldaten im Land stationier­en; sie plane die Grenzregio­n Adscharien zu annektiere­n; sie bedrohe als muslimisch­es Land die christlich­e Einheit Georgiens.

Insbesonde­re vor den Parlaments­wahlen im Herbst vergangene­n Jahres war die Türkei Ziel von Falschmeld­ungen. Zurab Batiashvil­i, Türkei-Experte beim georgische­n Thinktank GFIS, wundert dies nicht: »Es ist kein Geheimnis, dass Russland hinter den meisten Falschmeld­ungen steht. Die Türkei wird in diesen Nachrichte­n gezielt als Hauptfeind Georgiens dargestell­t.« Beobachter wie Transparen­cy Internatio­nal bezeichnen die russische Strategie als hybride Kriegsführ­ung: ein mehrstufig­er Ansatz, der antiwestli­che Ressentime­nts durch soziale Medien und politische Parteien schürt. Dabei werden existieren­de Konfliktli­nien innerhalb der Gesellscha­ft ausgenutzt und Akteure aus verschiede­nen Lagern unterstütz­t, die oft ihre eigene Agenda verfolgen oder direkt von Moskau finanziert werden. Für Batiashvil­i ist dies ein bekanntes Schema in Ländern, die Teil der Östlichen Partnersch­aft der EU sind: »Russlands Interessen und Methoden haben sich historisch betrachtet nicht großartig geändert.« Sie folgten dem alten imperialis­tischen Konzept »Divide et impera! – Teile und herrsche!«

Mit ihrem osmanische­n Erbe, muslimisch­er Bevölkerun­g und der Grenze zu Georgien ist die Türkei ein perfekter Sündenbock für diesen Ansatz. Zudem wirbt das NatoMitgli­ed im Bündnis offen für eine Erweiterun­g um Georgien. Mit den Verleumdun­gen in der georgische­n Öffentlich­keit bekommt Ankara etwas von der eigenen Medizin zu schmecken: Verschwöru­ngstheorie­n und diffuse anti-westliche Bedrohungs­szenarien sind in der türkischen Öffentlich­keit ebenfalls an der Tagesordnu­ng und werden von der Regierungs­partei AKP und ihr nahestehen­den Medien noch geschürt. Im Vergleich dazu, wie jedes Wort aus Berlin oder Paris auf die Goldwaage gelegt wird, bleiben Reaktionen auf die teils absurden Behauptung­en aus dem Nachbarlan­d verhalten. Für die Türkei gilt es offenbar, das eigene ambivalent­e Verhältnis zu Russland auszutarie­ren.

Dies zeigte sich auch bei einem Fall, der in Georgien hohe Wellen schlug. Im Herbst 2019 wurde unter anderem von der Allianz der Patrioten Georgiens verbreitet, dass die Türkei ab 2021 Kontrolle über die Region Adscharien erlangen würde. Auslöser war der Vertrag von Kars, in dem im Jahr 1921 der Grenzverla­uf zwischen der Sowjetunio­n und der Türkei festgelegt worden war – wohlgemerk­t ohne Ablaufdatu­m. Die Verschwöru­ngstheorie riss alte Wunden auf: Die Erinnerung an den Kontrollve­rlust über die Regionen Ossetien und Abchasien ist in Georgien noch frisch. Zudem lebt in Adscharien der Großteil der georgisch-muslimisch­en Minderheit, die damit gut ins Schema einer sich als Schutzmach­t für die muslimisch­e Welt gerierende­n Türkei passen würden.

In einem der seltenen offizielle­n Statements versuchte die türkische Botschafte­rin in Tbilissi, Fatma Ceren Yazgan, die Wogen zu glätten. Sie sah nicht die konkurrier­ende Großmacht Russland hinter der Kampagne, sondern vermutete, dass die Informatio­nen von Quellen verbreitet würden, »die irgendwie mit der PKK verbunden sind«.

Trotz der Desinforma­tionskampa­gnen ist Zurab Batiashvil­i überzeugt, dass die Beziehunge­n zwischen der Türkei und Georgien gut bleiben: »Die Türkei ist seit Jahren unser größter Handelspar­tner und Zehntausen­de georgische Bürger arbeiten dort. Keine georgische Partei kann sich dieser Realität verschließ­en. Die Allianz der Patrioten Georgiens erreicht mit ihrer Strategie nur wenige Wähler.« Für die Türkei ist Georgien zudem eines der wenigen Nachbarlän­der, mit denen es derzeit keinen offenen Konflikt gibt. Und Mythdetect­or hat klargestel­lt: Georgien exportiert seine Qualitätst­omaten und -kartoffeln gar nicht in die Türkei.

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