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Kinder in den Mittelpunk­t

Isabelle Vandre und Norbert Müller plädieren für eine Neuausrich­tung der Kinderund Jugendpoli­tik in Deutschlan­d.

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Selten ging es in den vergangene­n Monaten in politische­n Diskussion­en um die Situation von Kindern und Jugendlich­en. Von deren Interessen ist die (erwachsene) Politik weit entfernt. Wenn überhaupt, ging es um die Arbeitsfäh­igkeit der Eltern und schulische­n Erfolg. Die Frage, was Kinder und Jugendlich­e brauchen, spielt(e) in Pandemieze­iten kaum eine Rolle: Begegnung, Spiel, die erste Liebe, Freizeiten, Freunde, Sport etc.

Junge Menschen haben ein anderes Zeitempfin­den, sind sie doch in ständiger Entwicklun­g. An das, was vor einem Jahr, vor den Lockdowns war, können sie nicht mehr anknüpfen. Für Kinder und Jugendlich­e bedeutet die Zeit den Verlust eines ganzen Lebensabsc­hnitts. Zudem sind diejenigen, die jungen Menschen Orientieru­ng geben, Eltern, Lehrer oder andere Bezugspers­onen, kaum noch in der gewohnten Rolle präsent.

Eine der ersten Studien zu Auswirkung­en der Coronakris­e auf Kinder und Jugendlich­e – beauftragt durch die Linksfrakt­ion und vom Kindheitsw­issenschaf­tler Prof. Dr. Michael Klundt ausgeführt – diagnostiz­ierte, dass sich Kinder und Jugendlich­e Zuhause eingesperr­t fühlen. Es heißt, Kindern werden systematis­ch ihre Rechte vorenthalt­en: Die Orte, an denen sie üblicherwe­ise gehört werden, wo sie am gesellscha­ftlichen Leben teilnehmen, sind ihnen verwehrt. Die ohnehin schwache Beteiligun­gskultur gegenüber Kindern und Jugendlich­en ist zusammenge­brochen.

Die Folgen der gegenüber den Interessen von Kindern und Jugendlich­en gleichgült­igen Krisenpoli­tik sind gravierend. Chancenung­erechtigke­it im Bildungssy­stem und soziale Spaltung haben sich verschärft. Kinder, die sich mit Geschwiste­rn ein Zimmer teilen müssen – 14 Prozent haben nicht einmal das – oder über kein eigenes digitales Endgerät verfügen, haben es doppelt schwer. Vereinsamu­ng, Kinderarmu­t und Jugendarbe­itslosigke­it haben zugenommen. Das alles hat gravierend­e Auswirkung­en auf die Psyche.

Auch die aktuelle Debatte um Kinderrech­te im Grundgeset­z zeigt: Es gibt besonders in konservati­ven Kreisen eine tiefsitzen­de Angst, Kinder und Jugendlich­e zu beteiligen und ihnen garantiert­e Rechte einzuräume­n. Mitsprache­rechte werden ihnen vorenthalt­en. Kinder werden als Anhängsel ihrer Eltern betrachtet, Jugendlich­e in ihrer wachsenden Autonomie misstrauis­ch beäugt.

Es bedarf einer Neuausrich­tung der Kinderund Jugendpoli­tik, welche die Bedürfniss­e von Kindern und Jugendlich­en in den Mittelpunk­t stellt, auch auf Landes- und Bundeseben­e echte Partizipat­ion ermöglicht und die Infrastruk­tur von Kindern und Jugendlich­en krisenfest gestaltet.

Die eigene Umwelt entdecken, hinterfrag­en und demokratis­che Entscheidu­ngsprozess­e ausprobier­en – das wird seit Jahren in Jugendverb­änden, -klubs, -bildungsst­ätten und Kinder- und Jugenderho­lungszentr­en, in Musikschul­en und Sportverei­nen gelebt. Warum wurde nicht, wie in Betrieben, Schulen und Kindergärt­en, versucht, wenigstens Begegnung zu ermögliche­n? Hier werden Kinder und Jugendlich­e unterstütz­t, selbstsich­ere und kritische Menschen zu werden. Es muss darum gehen, unterschie­dliche Bedürfniss­e und daraus entwickelt­e Forderunge­n z. B. mittels Schüler*innenvertr­etungen und Kinderund Jugendparl­amenten in die Erwachsene­nund Politikwel­t zu übermittel­n und Kindern und Jugendlich­en echte Befugnisse einzuräume­n. Lehre aus der Coronakris­e muss sein, Partizipat­ion auszubauen und sie für Kinder und Jugendlich­e erfahrbar zu machen. Weder Stundenplä­ne in den Schulen noch die finanziell­e Situation der Elternhäus­er dürfen Kinder und Jugendlich­e daran hindern. Wir brauchen ihre Beteiligun­g. Sie ist unabdingba­r, um Kinder und Jugendlich­e aus der Krise heraus zu begleiten. Wir müssen es nur wollen und die notwendige­n Ressourcen bereitstel­len!

 ?? FOTO: DIE LINKE BRANDENBUR­G ?? Isabelle Vandre ist jugendpoli­tische Sprecherin der Linken im Landtag Brandenbur­g
FOTO: DIE LINKE BRANDENBUR­G Isabelle Vandre ist jugendpoli­tische Sprecherin der Linken im Landtag Brandenbur­g
 ?? FOTO: DIE LINKE BRANDENBUR­G ?? Norbert Müller ist jugendpoli­tischer Sprecher der Linksfrakt­ion im Bundestag
FOTO: DIE LINKE BRANDENBUR­G Norbert Müller ist jugendpoli­tischer Sprecher der Linksfrakt­ion im Bundestag

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