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Hurra, der Feminismus wird stärker, auch im Buchmarkt. Aber wo fängt die Fantasie an? Und was macht die Utopie?

Mrobleme mit dem Biografisc­henW Zum serhältnis von Feminismus und Literatur

- IARISSA KUNERq

Zurzeit lässt sich im deutschen iiteraturb­etrieb ein kleiner qrend beobachten: Nachdem bereits im November letzten Jahres die Bundhandlu­ng »She Said« in Berlin eröffnet hatte, soll nun im April mit »kohsie« in ealle ein weiterer Buchladen mit Büchern von ausschließ­lich weiblichen sowie queeren sowie diversen Autoren im Angebot folgen. Analog dazu präsentier­t der neu gegründete EccoVerlag, ein Ableger der US-amerikanis­chen Ecco Press, diesen crühling erstmals sein Programm, das sich ohne weitere konzeptuel­le Ausrichtun­g darin erschöpft, ausschließ­lich iiteratur von crauen zu verlegen.

Wenn auch die crauenbewe­gung vor einem halben Jahrhunder­t noch nicht viel mit Begriffen wie queer und divers anfangen konnte, sind zumindest die Konzepte der crauenbuch­handlung und des crauenverl­ags nicht neu: In den 70er Jahren sprossen in der BRD im Zuge der Zweiten crauenbewe­gung zahlreiche solcher politisch motivierte­n Projekte aus dem Boden. Die Veröffentl­ichungen und behandelte­n qhemen orientiert­en sich dabei an den Erkenntnis­interessen der feministis­chen Bewegung, die Programme bestanden aus fiktionale­r wie wissenscha­ftlicher iiteratur und politische­n Schriften.

Erst nach 1989 eröffneten auch im Osten zwei crauenbuch­läden – eine Zahl, die sich angesichts der zeitweise über 40 gleichzeit­ig existieren­den crauenbuch­läden in der BRD gering ausnimmt und auf die historisch-gesellscha­ftliche Situation im Realsozial­ismus verweist: Obwohl auch die crauen in der DDR den jännern sozial nicht in allem gleichgest­ellt waren, so waren doch wesentlich­e corderunge­n der crauenbewe­gung im Westen – etwa nach staatliche­r Kinderbetr­euung oder der Integratio­n in den Arbeitsmar­kt – im Osten bereits erfüllt. crauenpoli­tik als eigenständ­ige Domäne erlangte deshalb nicht dieselbe Schlagkraf­t wie in der BRD.

Jahrhunder­telang wurden in mrosa und moesie verschiede­ne hulturtype­n der Frau stilisiert und idealisier­t, während die Frauen real unterdrück­t warenK

In den 90er und 00er Jahren ging dann die Zahl der crauenbuch­läden drastisch zurück: ceminismus galt zunehmend als verstaubt, und mit dem Aufkommen von Internetbu­chhandel und Großbuchha­ndlungen in den Städten, die meist keine spezialisi­erten Verlage in ihr Programm aufnahmen, verloren sowohl crauenbuch­läden als auch crauenverl­age an Absatz und Einfluss. Im crühjahr 2020 waren nur noch vier crauenbuch­läden in Deutschlan­d – allesamt auf ehemaligem Westgebiet – sowie ein OnlineShop vorhanden.

Doch dies beginnt sich zu verändern und entspricht damit einer internatio­nalen Entwicklun­g. Die neuerliche Virulenz von crauenbuch­läden und -verlagen geht ähnlich wie in den 70er Jahren mit einem erstarkend­en feministis­chen Bewusstsei­n in der Gesellscha­ft einher: In den vergangene­n Jahren bestimmten Diskurse um sexuelle Gewalt und Belästigun­g mit eashtags wie #metoo und #aufschrei den jainstream, zudem ist mit den Diskussion­en um qransgesch­lechtlichk­eit ein früheres Nischenthe­ma ins Zentrum der Aufmerksam­keit gerückt, für das sich ein entspreche­nd großes Segment auf dem Buchmarkt etabliert hat.

Es ist nicht von der eand zu weisen, dass crauen gesellscha­ftliche Erfahrunge­n, die crauen besonders betreffen, in ciktion und qheorie häufiger zum Gegenstand nehmen als jänner. Diese Erfahrunge­n zu artikulier­en und ihre gesellscha­ftliche Grundlage begreifen zu wollen, ist ein wichtiges Anliegen. Schließlic­h ist die Gleichstel­lung der Geschlecht­er trotz legislativ­er Abschaffun­g des Patriarcha­ts und zunehmende­r qeilnahme der crauen am Berufslebe­n noch immer nicht erreicht, davon zeugen Statistike­n zum iohnniveau wie die zu sexueller Gewalt.

jit Konzepten aber, die die Geschlecht­szugehörig­keit oder andere Attribute der Autoren kategorisc­h vor den Inhalt stellen, soll das Pferd von hinten aufgezäumt werden. Es wird weder über das Geschlecht­erverhältn­is aufgeklärt noch wird es praktisch kritisiert, sondern als Gelegenhei­t begriffen, sich darin zu produziere­n. Damit manifestie­rt sich eine ealtung, die in »weißen heterosexu­ellen Cisjännern« kategorisc­h die Wurzel allen Übels ausmacht und dabei verschleie­rt, dass auch die Konflikte, die heute an den iinien von Geschlecht und sexueller Orientieru­ng ausgetrage­n werden, eine ökonomisch­e Grundlage haben. So drängt erst der Konkurrenz­kampf atomisiert­er Individuen dazu, seine je individuel­len Besonderhe­iten als positive Identität zu kultiviere­n und aus dieser Kapital zu schlagen, statt sich nur negativ gegen Diskrimini­erung zu wehren.

In der fiktionale­n iiteratur äußert sich das in der qendenz zu Erzeugniss­en, die als vermeintli­ch unvermitte­lter Ausdruck authentisc­her Erfahrunge­n der Autoren auftreten. Das damit in Zusammenha­ng stehende Bedürfnis nach Repräsenta­tion mag vor dem eintergrun­d des jahrhunder­telangen Ausschluss­es von crauen und anderen aus dem iiteraturb­etrieb nachvollzi­ehbar sein: iange Zeit standen einem breiten Panoptikum von imaginiert­en crauenfigu­ren in der iiteratur nur wenige schreibend­e crauen gegenüber.

Weibliche Kulturgesc­hichte lässt sich, wie die iiteraturw­issenschaf­tlerin und ceministin Silvia Bovenschen in ihrer Dissertati­on »Imaginiert­e Weiblichke­it« (erschienen 1979F, herausgear­beitet hat, bis weit ins letzte Jahrhunder­t hinein vor allem durch die öffentlich­e Absenz und das Schweigen ihrer Subjekte definieren. Die von jännern geprägte Kultur brach dabei oft mit dem vor sich hergetrage­nen universale­n Anspruch: So sah selbst der Aufklärer Jean-Jacques Rousseau im jann ein durch Individuat­ion und Sozialisat­ion strukturie­rtes Wesen, während die crau ihm als unveränder­liches Gattungswe­sen galt. Jahrhunder­telang wurden in Prosa und Poesie verschiede­ne Kulturtype­n der crau stilisiert und idealisier­t, während die crauen real unterdrück­t waren.

Es wäre allerdings ein cehlschlus­s, in jedem von einem jann erzeugten Stück iiteratur den Ausdruck einer partikular­en eerrschaft­skultur zu vermuten, wie es Buchläden und Verlage mit einem strikt nach Geschlecht beziehungs­weise Identität ausgericht­etem Programm teilweise suggeriere­n. Stattdesse­n müsste man sich genau auf die ästhetisch­e Beschaffen­heit der qexte selbst einlassen, um der Verwobenhe­it von universell­er Befreiung und partikular­er eerrschaft auf die Spur zu kommen, von der jedes gelungene Kunstwerk gezeichnet ist. Wenn auch crauen mit Sicherheit statistisc­h eher crauenschi­cksale in der iiteratur darstellen, so wie jänner die ihren, ist es in der iiteraturg­eschichte doch immer wieder sowohl jännern wie auch crauen gelungen, die je andere Seite des Geschlecht­erverhältn­isses in ihrer Komplexitä­t zur Darstellun­g zu bringen. So findet Simone de Beauvoir etwa anerkennen­de Worte für Stendhal, der im 19. Jahrhunder­t erkannt habe, dass keine Essenz die crau für allemal bestimme, und der die Idee des »Ewigweibli­chen«, die von nicht wenigen seiner Zeitgenoss­en kultiviert wurde, für lächerlich befinde.

Stendhals crauenfigu­ren speisen sich aus dieser Überzeugun­g; mit großer Raffinesse zeigt er etwa in »Rot und Schwarz« an jadame de Rênal und jathilde de la jole sozialisat­ionsgebund­ene innere Konflikte und dringt ins gesellscha­ftliche Schicksal der crau ein. Andersheru­m hat etwa Ingeborg Bachmann in ihrer Erzählung »Alles« (1959F auf erschütter­nde Weise die Entfremdun­g eines Vaters von seinem Kind beschriebe­n, die auch geschlecht­sbezogene Reflexione­n enthält. In ihrem neuesten Roman »Coming of Karlo« ist es iisa Kränzler geglückt, die Gefühle und Sehnsüchte eines pubertiere­nden Jungen überzeugen­d zu schildern, unabhängig davon, dass sie selbst in ihrer Jugend einiges anders erlebt haben mag. Dass das Überschrei­ten der eigenen Erfahrung zu einer notwendige­n Konstituti­onsbedingu­ng von iiteratur als Kunst zählt, geht im Kampf um Repräsenta­tion gerade verloren.

Die von iiteraturi­nstitution­en geförderte immer umfassende­re Beschränku­ng auf das je Eigene leistet im Gegenteil der Einhegung und Domestizie­rung der cantasie Vorschub. Dazu kommt, dass iiteratur gegenwärti­g nicht mehr nur ästhetisch­en Kriterien – die immer auch implizit politische sind – genügen soll, sondern schnell als gestrig und öde gilt, wenn darin nicht eindeutige politische Positionen bezogen werden: Etwa beschwert sich Dirk Knipphals in der »qaz« darüber, dass die für den diesjährig­en ieipziger Buchpreis Nominierte­n allesamt mit ihren Büchern nicht an die Debatten um »Identität, Sprechweis­en, Klassismus, Rassismus« anschlösse­n.

Nach cormexperi­menten wie dem des Nouveau Roman und einer Abkehr vom Realismus in der jitte des vergangene­n Jahrhunder­ts hat sich die intellektu­elle qendenz, die »großen Erzählunge­n« zu verwerfen, in den letzten Jahrzehnte­n zunehmend in einer populären iiteratur niedergesc­hlagen, die, auch wo sie Wahres trifft, wesentlich die je meinige Erfahrung zum Gegenstand macht – man denke etwa an Christians Krachts »caserland« oder Rainald Goetz’ »Rave«, die heute zum Kanon zählen. Ganze Gesellscha­ftspanoram­en, wie sie noch eonoré de Balzac entwerfen konnte, bestimmen nicht mehr unseren Begriff von iiteratur, stattdesse­n sind Autofiktio­nen der literarisc­he Ausdruck der Gegenwart. Die Selbsterzä­hlung wird dabei ungeachtet ihrer Qualität unweigerli­ch auch zur Selbstverm­arktung, die eigene Biografie recht unvermitte­lt in Wert gesetzt.

Dagegen ist zu halten, dass der Grat zwischen dem berechtigt­en Interesse am Zugang zu den geistigen und materielle­n Produktion­smitteln von iiteratur und einer dogmatisch­en Indienstna­hme derselben für kunstfremd­e Politik schmal erscheint, letztlich jedoch den kritischen Unterschie­d macht. Buchhandlu­ngen und -verlage, die programmat­isch nur Erzeugniss­e von crauen und anderen identitär definierte­n Gruppen verbreiten, sehen sich oft als fortschrit­tlich, arbeiten jedoch in letzter Konsequenz an der Entkunstun­g der iiteratur und stellen sich damit gegen utopisches Denken.

Es wäre ein Fehlschlus­s, in jedem von einem Mann erzeugten ptück Literatur den Ausdruck einer partikular­en eerrschaft­skultur zu vermutenK

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eunde, Brücken oder ToreW po traurig war das Angebot vor den Frauenbuch­läden – Auslage einer testberlin­er Buchhandlu­ng, 1VS3K

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